Kapitän Karsten (Horst Drinda), Matrose Thomas (Günter Schubert) und der Schiffskoch (Bernd Storch).
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK/DRA/ Klaus Zähler

Serie "Zur See" Als die DDR das Traumschiff erfand

11. August 2022, 19:59 Uhr

Eigentlich sollte die Serie "Zur See" pünktlich zum 25. Jahrestag der DDR laufen. Doch daraus wurde nichts – unter anderem, weil die Stasi die Filmcrew so genau durchleuchtete, dass sich die Dreharbeiten um ein Jahr verzögerten. Doch am Ende kam einer der größten Straßenfeger des DDR-Fernsehens heraus: "Zur See" - die DDR-Version des Traumschiffs.

Wahre Seemannsgeschichten, eine Menge Abenteuer, dazu menschliche Konflikte, wie sie auch an Land vorkommen nebst einer Prise Exotik und obendrein erstaunlich wenig Politik – das war das Erfolgsrezept der neunteiligen Kultserie, die das erste Programm des DDR-Fernsehens ab Januar 1977 jeweils freitags zur besten Sendezeit ausstrahlte. Selbst diejenigen, die sonst lieber Westfernsehen sahen, schalteten da ein.

Was früher ging, wäre heute undenkbar

Die meisten Geschichten aus der Serie beruhen auf wahren Begebenheiten – darunter die oft angezweifelte, aufwendige Kolbenreparatur und der Ausbruch eines Stiers, der als blinder Passagier an Bord gelangt war. Die spektakulären Aufnahmen, bei denen der vom Bullen angegriffene Bootsmann über Bord springt und sich an der Reling festhält, wären heute übrigens aus Sicherheitsgründen so nicht möglich.

Und auch mit dem Tierschutz nahm man es damals noch nicht so genau wie heute. Gleich in einer der ersten Szenen bekommt das Publikum Dutzende Käfighühner zu sehen, die in den Laderaum verfrachtet werden. Den beiden Bullen, die in der Serie mitspielen, machte die Seekrankheit derart zu schaffen, dass die Crew sich manchmal kleinerer Handgreiflichkeiten bedienen musste, um sie zu besserer Spielleistung zu animieren.

Mit an Bord: Das "Who is Who" der DDR-Schauspieler

In die Titelrolle des Kapitäns Karsten schlüpfte Horst Drinda – eigentlich ein Theaterschauspieler, der am Deutschen Theater Bühnendialoge von Goethe und Schiller deklamierte, nun aber auch hervorragend mit dem Unterhaltungsstoff des Fernsehens klar kam. Die Filmcrew geht Anfang August 1974 an Bord der "MS Johann Gottlieb Fichte". Das Team nennt sie liebevoll auch "Johann Schrottlieb Fichte", eine Anspielung auf das hohe Alter des Frachters, der in seinem ersten Leben als Truppentransporter zwischen Frankreich und seinen Kolonien Dienst tat, bevor ihn die Deutsche Seerederei Rostock (DSR) aus zweiter Hand kaufte.

Traumschiff der DDR mit kleinen Macken

Dass das Schiff schon mehrfach geflickt werden musste, bekommen auch die Fernsehleute zu spüren – eines schönen Tages läuft das kleine Schwimmbecken aus – das Wasser ergießt sich in die darunter gelegene Offiziersmesse.

Das Schiff war wahrlich nicht mehr im guten Zustand. Das war schon ein alter Dampfer bei den Dreharbeiten in den Siebziger Jahren.

Dr. Kathrin Möller Leiterin Schifffahrtsmuseum Rostock

Zu wenig Platz auf der Scholle

Dabei hätte es durchaus vorzeigbare Alternativen gegeben, um die "Überlegenheit des Sozialismus" auf dem Weltmeeren zu zeigen. Die DSR besitzt in den Siebzigern zwei nagelneue Schnellfrachter, die technisch auf der Höhe der Zeit sind: die "Karl Marx" und die "Friedrich Engels" - mit 20 Knoten Höchstgeschwindigkeit, modernen Dieselmotoren aus der Schweiz und einer Klimaanlage an Bord. Es gibt nur einen Haken: Sie verfügen lediglich über sechs Gäste-Kojen - zu wenig, um das 23 Mann zählende Filmteam unterzubringen. Und so muss und darf es doch die alte "Fichte" werden, die genug Platz für alle bietet.

Filmcrew: Die Mischung machts

Zwei Monate dauert die Reise von Rostock nach Havanna und zurück. An Bord ist neben den Filmcrew auch die eigentliche Besatzung, denn die Dreharbeiten finden nur "nebenbei" statt. Das Schiff soll auf Kuba 6.600 Tonnen Zucker laden. Die Filmcrew ist übrigens ebenso handverlesen wie die echte Schiffsbesatzung – und damit ist nicht nur das fachliche Können gemeint, sondern auch die politische Einstellung. Die ausgiebige Überprüfung des Drehstabs durch die Stasi verzögert den Drehbeginn um ein ganzes Jahr - und dennoch müssen Regisseur Wolfgang Luderer und Schauspieler Ingolf Gorges "unter operative Kontrolle" gestellt werden.

Eine Grußkarte aus Dänemark

Außerdem muss die Reederei zusichern, dass das Schiff "keine Häfen kapitalistischer Länder anläuft", sondern ohne Zwischenstopps Kuba ansteuert. Doch dann kommt es anders – schon kurz nach dem Auslaufen aus Rostock versagt ein Hilfsmotor. Der Kapitän entscheidet sich, aus Sicherheitsgründen den nächsten Hafen anzulaufen – und das ist Aalborg in Dänemark. Die Filmcrew soll zunächst an Bord bleiben, darf dann doch noch eine Besichtigungstour in der Stadt machen – und Requisiteur Harald Meier kann es sich nicht verkneifen, eine Grußkarte an seine Vorgesetzten beim DDR-Fernsehen in Ost-Berlin zu schicken.

"Zur See" hat Fernsehgeschichte geschrieben ...

... und dass nicht nur, weil die neun Folgen einen Hauch Exotik in die Wohnzimmer der "eingemauerten" DDR brachten. Die Serie inspirierte den West-Berliner Fernsehproduzenten Wolfgang Rademann zu einem weiteren Fernsehklassiker: dem "Traumschiff", das 1981, vier Jahre nach der Erstausstrahlung der DDR-Seefahrer-Serie, im Westen auf Sendung ging. Dort ging es aber nicht mehr ums Arbeiten an Bord, sondern ums Reisen als Freizeitvergnügen.

(Der Text wurde erstmals im Juli 2019 veröffentlicht.)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Zur See | 15. August 2022 | 20:15 Uhr