Birgit Breuel
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Ehemalige Präsidentin der Treuhandanstalt im Interview Birgit Breuel über die Treuhand: "Wir haben den Menschen wirklich sehr viel zugemutet"

07. Oktober 2021, 08:16 Uhr

Die Treuhand habe bei der Privatisierung der einstigen DDR-Betriebe Fehler gemacht. Das sagt Birgit Breuel, ehemalige Vorstandsvorsitzende und Präsidentin der Treuhand. Die einstige Wirtschafts- und Finanzministerin von Niedersachsen hat zwei Tage vor der Wiedervereinigung 1990 ihre Arbeit bei der Treuhand in Berlin aufgenommen. Am 13. April 1991 wurde sie zur Präsidentin gewählt und somit zur Nachfolgerin von Detlev Rohwedder, welcher am 1. April 1991 von der RAF ermordet wurde.

Die Idee einer Treuhandgesellschaft brachte im Februar 1990 "Demokratie jetzt" am Runden Tisch ein. Am 1. März 1990 wird die "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" noch unter der Regierung Hans Modrow gegründet. Ziel: Mit so einer Treuhandgesellschaft sollte das bisherige Staatseigentum in Privateigentum umgewandelt werden und es sollten die Anteilsrechte der DDR-Bürger gewahrt werden.

Doch für Millionen Ostdeutsche führte dieser Prozess direkt in die Arbeitslosigkeit. Die Treuhand galt damals als die größte Holding der Welt und sollte 8000 ehemals volkseigene Betriebe und vier Millionen Angestellte in die Marktwirtschaft überführen. Birgit Breuel, Vorstandsvorsitzende und Präsidentin der Treuhand, ist zu diesem Zeitpunkt für 15 Niederlassungen zuständig.

Und dann ging es auf einmal los. Und man stand vor dem Nichts. Wirklich vor dem Nichts. Wir hatten keine Papiere, keine Unterlagen. Es gab viele Mitarbeiter die keiner kannte, die waren da irgendwie noch von Modrow eingestellt worden.

Sanierung contra Marktwirtschaft

Es ist eine Zeit des Aufbruchs, der Chancen. Alles scheint möglich, Konzepte werden geschrieben, es gibt kaum Regeln. Doch die Stimmung kippt sehr schnell. Betriebe können die Löhne nicht mehr zahlen – sie brauchen dringend Kapital. Die Treuhand gewährt Hilfen in Milliardenhöhe. Doch es reicht nicht. In eineinhalb Jahren werden die Arbeitsplätze von 4 auf 1,2 Millionen abgebaut. Innerhalb der Anstalt wird gestritten: Treuhand-Chef Detlef Karsten Rohwedder gilt als Sanierer. Birgit Breuel setzt auf den Markt.

Und da haben wir uns gestritten wie die Kesselflicker. Das muss ich schon sagen. Weil ich natürlich wollte, dass die Privatisierung eine wichtige Rolle dabei spielte. Und nicht nur die Sanierung.

Die Massenprivatisierungsagentur

Nach der Ermordung Detlev Karsten Rohwedders am Ostermontag 1991 übernimmt die Marktwirtschaftlerin Birgit Breuel und wird zur neuen Präsidentin der Treuhand. Historiker Marcus Böick von der Ruhr-Universität Bochum hat die Arbeit der Treuhandanstalt umfassend untersucht. Er sagt: "Unter Birgit Breuel wird die Treuhandanstalt zu dem als was sie heute natürlich berühmt berüchtigt ist: zu einer Massenprivatisierungsagentur." Die Fallzahlen steigen auf bis zu 100 Privatisierungen pro Monat. Rückblickend sagt Birgit Breuel heute:

Wir haben den Menschen wirklich sehr viel zugemutet. Und sie mussten auch leiden darunter. Das ist gar kein Zweifel. Und wir hatten auch nicht die Zeit, uns mit den Lebensbiographien ausreichend zu beschäftigen,

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: D-Mark, Einheit, Vaterland: Das schwierige Erbe der Treuhand | 07. Juli 2020 | 22:10 Uhr

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