22. März 2001 Todesschüsse an der Mauer: Egon Krenz klagt erfolglos gegen Verurteilung

24. Juni 2021, 12:39 Uhr

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wies am 22. März 2001 die Klage von Egon Krenz, Nachfolger Honeckers als Staats- und Parteichef der DDR, gegen seine Verurteilung wegen der Todesschüsse an der Mauer zurück. Krenz musste weiter in Haft bleiben.

Egon Krenz, im Herbst 1989 Nachfolger Erich Honeckers als Staats- und Parteichef der DDR, sei ganz zu Recht von der bundesdeutschen Justiz wegen der Todesschüsse an der Berliner Mauer zur Rechenschaft gezogen worden. Zu diesem Urteil kamen am 22. März 2001 einstimmig die 17 Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und wiesen damit eine Klage von Krenz ab. Seine Verurteilung durch das Berliner Landgericht verstoße weder gegen die Europäische Menschenrechtskonvention noch gegen DDR-Recht. Auch die Urteile gegen den einstigen DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler und seinen Stellvertreter Fritz Strelitz seien nicht zu beanstanden. Krenz war Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und als Nachfolger Erich Honeckers vom 18. Oktober bis 6. Dezember 1989 Generalsekretär des ZKs der SED und ab Ende Oktober Staatsratsvorsitzender der DDR.

Der Europäische Gerichtshof hatte am 22. März 2001 übrigens erstmals ein Urteil über die Aufarbeitung des DDR-Unrechts durch Gerichte der Bundesrepublik gefällt. Begründet hatte Krenz seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit dem sogenannten Rückwirkungsverbot. Demnach kann niemand für Taten verurteilt werden, die zu ihrer Zeit nicht strafbar waren.

Schießbefehl habe auch gegen die DDR-Verfassung verstoßen

Das sahen die Straßburger Richter freilich ganz anders. Der Schutz des menschlichen Lebens als höchstes Rechtsgut sei nämlich nicht nur in den internationalen Menschenrechtsvereinbarungen garantiert, sondern auch explizit in der Verfassung der DDR und sogar im Grenzgesetz festgeschrieben gewesen, betonte Gerichtspräsident Luzius Wildhaber. Zudem habe die Staatspraxis der DDR, mit einem Schießbefehl die Staatsgrenze rigoros zu verteidigen, auch gegen geltendes DDR-Recht verstoßen. Für den eklatanten Widerspruch zwischen Recht und Praxis in der DDR seien Krenz und die anderen Spitzenpolitiker der SED übrigens ebenfalls mitverantwortlich.

Haftstrafe für Egon Krenz wegen des Schießbefehls an der Mauer

Egon Krenz war im Juni 1993 wegen "Totschlags und Mitverantwortung für das Grenzregime der DDR" an der Berliner Mauer von der Berliner Staatsanwaltschaft angeklagt worden. Ein "verfassungs- und völkerrechtswidriger" Akt, zeterte Krenz damals. Gleichwohl verurteilte ihn das Landgericht Berlin im August 1997 wegen Totschlags in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Krenz legte umgehend Haftbeschwerde ein und kam nach 18 Tagen schon wieder auf freien Fuß.

Im November 1991 aber bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil des Berliner Landgerichts. Krenz warf den Richtern vor, eine "Fortsetzung des Kalten Krieges im Gerichtssaal" zu betreiben und kündigte an, sämtliche juristischen Mittel gegen seine Verurteilung ausschöpfen zu wollen. Am 11. Januar 2000 verwarf jedoch das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde. Zwei Tage später musste der einstige Zögling Erich Honeckers dann tatsächlich seine Haftstrafe antreten. Krenz konnte jetzt nur noch auf ein für ihn günstiges Urteil des Straßburger Menschengerichtshofs hoffen. Aber es kam anders.

Keine "Siegerjustiz" in der Bundesrepublik

Das Urteil aus Straßburg nahmen sowohl Bundesregierung als auch Opposition und frühere DDR-Bürgerrechtler mit einiger Genugtuung auf. Das Bundesjustizministerium wertete die Zurückweisung der Klage generell als eine Bestätigung der Urteile deutscher Gerichte. Das Urteil der vom Berliner Landgericht verhängten und vom Bundesgerichtshof sowie vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Freiheitsstrafe stehe "nunmehr auf gesicherter rechtlicher Grundlage", sagte ein Sprecher des Ministeriums. Zudem hätte nun ein europäisches Gericht den Vorwurf der "Siegerjustiz" entkräftet. Karin Gueffroy, die Mutter des letzten Mauer-Opfers, war erleichtert: "Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass die europäischen Richter die Klage von Egon Krenz abgewiesen haben."

Egon Krenz bleibt in Haft

Egon Krenz hingegen zeigte sich tief enttäuscht und kritisierte das Straßburger Urteil heftig: "Ich habe ein Urteil bekommen, aber kein Recht", sagte er. Zugleich erneuerte er den Vorwurf der "Siegerjustiz". Die politischen Argumente der Bundesrepublik hätten leider mehr Gewicht gehabt als juristische. Ähnlich äußerte sich Hans Modrow, Ehrenvorsitzender der PDS. Er sprach ebenfalls von einem eindeutig "politisch motivierten" Urteil.

Der einstige starke Mann der DDR hatte nun jedenfalls sämtliche juristischen Mittel ausgeschöpft. Die Gefängnistore blieben für ihn geschlossen.

Egon Krenz vorzeitig aus der Haft entlassen

Egon Krenz musste am Ende aber nur vier Jahre hinter Gefängnismauern verbringen. Am 18. Dezember 2003 wurde er aufgrund eines überraschenden Beschlusses des Berliner Kammergerichts vorzeitig entlassen. Allerdings war er schon lange Zeit Freigänger gewesen und nur noch nachts in die Haftanstalt Plötzensee zurückgekehrt. Der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Krenz war nun wieder ein freier Mann. "Ich freue mich, zum Weihnachtsabend zu Hause zu sein", sagte er und kündigte an, sich fortan publizistisch mit der Bundesrepublik auseinandersetzen zu wollen.

Mehr zum Thema

Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | 21. Dezember 2019 | 21:45 Uhr