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Bildrechte: IMAGO / Winfried Rothermel

31. Dezember 1991Der Tag, an dem die Sowjetunion unterging

01. September 2022, 11:27 Uhr

Am 31. Dezember 1991 hörte die UdSSR auf zu existieren. Das Ende war kurz zuvor von den Staatsoberhäuptern Russlands, Belarus und der Ukraine in einer Staatsdatscha im Urwald von Belowesch in Belarus beschlossen worden.

In einer Staatsdatscha in Wiskuli im Urwald von Belowesch nahe der polnischen Grenze treffen sich am 7. Dezember 1991 auf Einladung des belarussischen Parlamentschefs Stanislaw Schuschkewitsch die Präsidenten von Russland und der Ukraine, Boris Jelzin und Leonid Krawtschuk. Sie wollen mal wieder gemeinsam auf Wildschweinjagd gehen und nebenher über die stockenden Gas- und Öllieferungen aus Russland sprechen. Der Winter ist bitterkalt und den Belarussen gehen langsam die Reserven zur Neige. In der Ukraine sieht es nicht besser aus.

Krawtschuk fordert das Ende der UdSSR

Das Problem mit dem knappen Öl und Gas wird von den Gesprächspartnern zügig gelöst - Jelzin verspricht eine Erhöhung der Liefermengen. Dann wendet man sich einer prinzipiellen Frage zu: der Zukunft der UdSSR. Der russische Präsident Jelzin erklärt in einem Toast, er könne sich ein Fortbestehen der UdSSR unter gewissen Umständen durchaus vorstellen. Die Sowjetverfassung, schlägt er Krawtschuk und Schuschkewitsch vor, könne einfach durch einen neuen Vertrag der Unionsrepubliken ersetzt werden. Der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk lehnt das aber rundheraus ab. Er fordert entschieden ein Ende der UdSSR, bevor ein neuer Staatenverbund gegründet werden könne.

Vom Wodka befeuerte Diskussionen

Es folgen lange und vom Wodka befeuerte Diskussionen. Am Ende muss sich Jelzin Krawtschuk fügen. Es wird beschlossen, der UdSSR den Totenschein auszustellen und anschließend einen neuen Unions-Vertrag auszuarbeiten. Und das nicht irgendwann, sondern hier und heute. Noch in der Nacht entsteht unter Mitarbeit von Experten aus Jelzins und Schuschkewitschs Gefolge ein handgeschriebener Vertragsentwurf, der vorsieht, dass Russland, Belarus und die Ukraine eine "Gemeinschaft demokratischer Staaten" gründen werden. Dieser Staatenverbund solle die UdSSR sobald als möglich ersetzen.

Auf das Ende der UdSSR!

Am Mittag des 8. Dezember sind sich die Gesprächspartner in allen Fragen einig. Insgesamt 14 Artikel hat das Abkommen. Unter anderem heißt es darin, das die drei Staaten gegenseitig ihre territoriale Integrität anerkennen und die Atomwaffen unter gemeinsame Kontrolle stellen werden. Dann tauscht Krawtschuk noch ein Wort aus: Statt "Gemeinschaft demokratischer Staaten" solle der neue Staatenverbund "Gemeinschaft unabhängiger Staaten" heißen. Es gibt keinen Widerspruch. Jelzin trinkt auf jeden einzelnen Artikel ein Glas Wodka. Anschließend richten Bedienstete eilig das weitläufige Treppenhaus der Datscha her - drei Staatsflaggen werden aufgestellt und Tannenzweige aus dem Wald zur Dekoration herbeigeschafft. Exakt um 14 Uhr unterzeichnen die drei Staatsoberhäupter dann das "Belowescher Abkommen". Es ist nun alles geregelt. In der Präambel des Abkommens heißt es: "Die Sowjetunion als Subjekt internationalen Rechts und geopolitischer Realität hat aufgehört zu existieren."

Gorbatschow hört mit

Als das Abkommen unterzeichnet ist, fällt Boris Jelzin ein, das der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew das Dokument eigentlich auch unterzeichnen müsste. Kasachstan ist das zweitgrößte Land der UdSSR, auf dessen Territorium knapp 1.500 atomare Sprengköpfe lagern. Mehr Atomwaffen besitzen nur Russland selbst und die USA. Nasarbajew ist gerade auf dem Weg nach Moskau. Er will Gorbatschow treffen. Jelzin ruft ihn an, erzählt ihm vom eben unterzeichneten Abkommen und bittet ihn, schnell nach Wiskuli zu kommen. Doch Nasarbajew trifft sich mit Gorbatschow und erzählt ihm von seinem Gespräch mit Jelzin und dem "Abkommen von Belowesch". Gorbatschow wirkt keineswegs überrascht. Er winkt nur enttäuscht ab. Der Grund: Die Datscha in Wiskuli ist komplett verwanzt und der Geheimdienst KGB informiert den sowjetischen Präsidenten stündlich über die Vorgänge in Wiskuli.

Jelzin informiert George Bush

Nach der Unterzeichnung des Abkommens gehen die Staatschefs in Belowesch abermals auf Wildschweinjagd. Als sie zurückkehren, wundern sie sich, dass der Kasache Nasarbajew noch immer nicht eingetroffen ist. Er ist auch telefonisch nicht zu erreichen. Dabei lässt man es zunächst bewenden und Stanislaw Schuschkewitsch lädt seine Kollegen zum Abendessen ein. Am späten Abend ruft Boris Jelzin dann den amerikanischen Präsidenten George Bush an und informiert ihn über das am frühen Nachmittag beschlossene Ende der UdSSR. Bush traut seinen Ohren nicht. Er kann gar nicht glauben, was Jelzin ihm da berichtet.

US-Präsident George Bush (1989) Bildrechte: imago/Rainer Unkel

Jelzins Flucht

Dann hat es Jelzin plötzlich sehr eilig. Es ist ihm zugetragen worden, dass Nasarbajew sich mit Gorbatschow getroffen und der ihn daran gehindert habe, nach Wiskuli zu fahren. Was, geht es Jelzin durch den Kopf, wenn Gorbatschow eine Kompanie des KGB nach Wiskuli in Marsch gesetzt hat mit dem Befehl, ihn als "Verschwörer" oder "Staatsfeind" festnehmen zu lassen? Jelzin lässt sich umgehend zum Flughafen chauffieren und fliegt nach Moskau zurück. Dort, in seinem Machtzentrum, dem "Weißen Haus", wähnt er sich in Sicherheit.

Gründung der GUS

Gorbatschow aber hat nicht mehr die Macht, gegen "die Verschwörer von Belowesch" vorzugehen. Er weiß, das Militär ist auf Jelzins Seite. Ihm, Gorbatschow, gehorcht nur noch der KGB. Er ist bitter enttäuscht von seinen einstigen Genossen: "Ich habe immer vor dem Zerfall der UdSSR gewarnt", wird er später sagen. "Sie haben die Sowjetunion auseinandergebrochen. Es ging ihnen nur um die Macht." Dabei wäre die UdSSR, so Gorbatschow, durchaus zu retten gewesen. Jelzin, Krawtschuk und Schuschkewitsch haben seiner Ansicht nach der UdSSR den Todesstoß versetzt.

Wenige Tage nach der historischen Zusammenkunft in der Staatsdatscha von Wiskuli wird das "Belowescher Abkommen" von den Parlamenten Russlands, Belarus' und der Ukraine ratifiziert. Am 21. Dezember 1991 unterzeichnen in der kasachischen Hauptstadt Alma Ata Boris Jelzin, Leonid Krawtschuk, Stanislaw Schuschkewitsch sowie der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew die Gründungsakte der "Gemeinschaft unabhängiger Staaten" (GUS), der insgesamt elf ehemalige Sowjetrepubliken beitreten werden. Als Verwaltungssitz der GUS wird die belarussische Hauptstadt Minsk bestimmt.

Rote Fahne wird eingeholt

Michail Gorbatschow ist jetzt ein einsamer Mann. Er ist Präsident eines Landes, dass es eigentlich schon nicht mehr gibt. Am 25. Dezember 1991, vier Tage nach der Gründung der GUS, verliest er im Fernsehen seine Rücktrittserklärung: "Ich beende meine Tätigkeit als Präsident der UdSSR. Ich bin überzeugt, dass unsere gemeinsamen Anstrengungen früher oder später Früchte tragen werden. Unsere Völker werden in einer blühenden und demokratischen Gesellschaft leben." Anschließend übergibt er Boris Jelzin den russischen "Atomkoffer".

Am 31. Dezember 1991, Punkt Mitternacht, hört die Sowjetunion tatsächlich auf zu existieren. Die rote Fahne auf dem Kreml wurde aber bereits am 25. Dezember eingeholt und durch die russische Trikolore ersetzt.

Er ist jetzt ein einsamer Präsident: Michail Gorbatschow 1991 Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen | 27. Februar 2022 | 22:20 Uhr