Liebe und Kinderwunsch Künstliche Befruchtung bei unerfülltem Kinderwunsch

25. Juli 2021, 05:00 Uhr

Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, kann die moderne Medizin nachhelfen. Die Anfänge der künstlichen Befruchtung waren holprig. Am 25. Juli 1978 wird das erste Retortenbaby geboren: Es ist die Britin Louise Joy Brown. Forscher und Ärzte auf der ganzen Welt wollen ebenfalls die Ersten in ihrem Land sein, die Kinder in Laboren zeugen. Das deutsch-deutsche Wettrennen gewinnt 1982 die bayrische Uniklinik Erlangen. Zwei Jahre später sind auch die DDR-Experten an der Berliner Charité erfolgreich.

Mehr als acht Millionen Menschen weltweit sind in den vergangenen Jahrzehnten durch künstliche Befruchtung gezeugt worden. Alleine in Deutschland wurden 2020 mehr als 108.000 Behandlungen begonnen. Das erste sogenannte Retortenbaby der Welt ist Louise Joy Brown. Sie wird am 25. Juli 1978 im Oldham General Hospital bei Manchester geboren. Den beiden Ärzten Patrick Steptoe und Robert Edwards war 1969 erstmals die Befruchtung einer menschlichen Eizelle in der Petrischale gelungen. 1976 wenden sie das Verfahren auch bei Lesley Brown an. Sie und ihr Mann hatten neun Jahre vergeblich versucht, auf herkömmlichem Weg ein Kind zu bekommen zu. Die Fruchtbarkeitsbehandlung können sie sich aber nur leisten, weil sie zuvor eine Fußballwette gewonnen haben.

Das erste Retortenbaby: Rummel um Louise

Die Geburt des ersten außerhalb des menschlichen Körpers entstandenen Babys schlägt ein neues Kapitel in der Geschichte der Medizin auf. Entsprechend groß ist der Rummel um das erste Retortenbaby der Welt. Als Louise per Kaiserschnitt geboren wird, laufen die Kameras mit. Das Ärzteteam will damit auch beweisen, dass die künstliche Befruchtung dem Kind nicht geschadet hat. Als die junge Mutter mit ihrem Sensationsbaby nach Bristol nach Hause kommt, warten schon rund 100 Journalisten. Die Familie wird mit Zuschriften überschüttet, nicht alle enthalten Glückwünsche.

Louises Eltern gehen offensiv mit der Kritik und den Anfeindungen um. Da sie und das Neugeborene sowieso der Dauerbrenner in den Medien sind, touren sie durch Fernsehstudios und Talkshows. Ihre Botschaft: Louise ist ein ganz normales Kind.

In-vitro-Befruchtung wird mehrmals erfunden

Die erste erfolgreiche künstliche Befruchtung beim Menschen beflügelt auch die Mediziner in anderen Ländern. Doch sie können nicht einfach dort anfangen, wo Steptoe und Edwards im sogenannten In-vitro-Verfahren schon erfolgreich sind. Die beiden Briten halten die Zusammensetzung für die Nährlösung, in der die Eizelle außerhalb des Körpers nur existieren kann, geheim. Die künstliche Befruchtung ist von Anfang an auch ein Geschäft mit neuem Leben. Die beiden Forscher eröffnen eine Privatklinik für Fruchtbarkeitsbehandlungen nach der neuen Methode.

Erstes deutsches Retortenbaby in Erlangen

Also wird die In-vitro-Befruchtung in vielen Ländern der Welt quasi immer wieder neu erfunden. Staatliche Unterstützung genießen die Vorreiter der künstlichen Befruchtung dabei nicht. Die Methode ist nicht verboten, wird aber auch nicht gefördert und von Anfang an kontrovers diskutiert. So auch in den beiden deutschen Staaten. Das deutsch-deutsche Rennen ums erste Retortenbaby gewinnt die Uniklinik im bayrischen Erlangen. Professor Siegfried Trotnow stößt selbst in Fachkreisen auf Widerstand. Er organisiert privates Geld und zwackt Mittel vom Kliniketat ab, um die In-vitro-Befruchtung in Erlangen zur Anwendungsreife zu bringen. Mit Erfolg: Am 16. April 1982 wird Oliver, das erste deutsche Retortenbaby, geboren.

DDR: Ausrüstung Marke Eigenbau

Im Gesundheitswesen der DDR spielen Fruchtbarkeitsbehandlungen keine große Rolle. Unerfüllt gebliebene Kinderwünsche sind nicht von staatstragender Bedeutung. An einigen großen Kliniken machen sich dennoch Ärzte, Wissenschaftler und Techniker in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre auf den Weg. Neben den medizinisch-wissenschaftlichen Aspekten kämpfen die Teams in der DDR vor allem mit Materialproblemen. Geräte und Ausstattung für die reproduktionsmedizinischen Labors zu beschaffen und instand zu halten, bleibt bis zur Wende 1989 eine Herausforderung. Vieles entsteht in Handarbeit. Auch in der Uniklinik Halle-Kröllwitz. Laborleiter Ewald Seliger erinnert sich, wie Katheter zum Transfer der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter der Frauen konfiguriert wurden:

Wir haben Schläuche, die für Infusionen verwendet wurden, zurechtgeschnitten, in Plastiktüten verpackt und ich bin dann mit den Tüten in einen landwirtschaftlichen Betrieb gefahren, in dem mit Gammastrahlen Zwiebeln haltbar gemacht wurden. Und dort kamen diese Tüten aufs Band.

Ewald Seliger Hauptsache Gesund extra | 24.11.2016

An der Charité in Berlin kann sich Peter Sydow noch gut erinnern, wie er eine Mikropipette - ebenfalls Marke Eigenbau - zum schonenden Entnehmen der Eizellen aus dem Bauch der Frau mehrmals täglich an einem Wetzstein schärfte. Erfahrungsaustausch zwischen den Teams gab es in der DDR kaum, weiß Sydow weiter zu berichten. Und allen Mitarbeitern, die an der künstlichen Befruchtung des Menschen arbeiteten, sei außerordentlich kritisch im eigenen Haus begegnet worden.

Erste Retortenbabys der DDR werden in der Charité geboren

Am Ende haben die Berliner Forscher die Nase vorn. Am 5. Oktober 1984 kommen in der Frauenklinik der Charité die ersten Retortenbabys der DDR zur Welt, die Zwillinge Sascha und André. Am 11. Juli 1985 wird in Rostock Sophie als nächstes in vitro gezeugtes Baby geboren. Im selben Jahr kann auch die Uniklinik Leipzig ihren ersten Erfolg mit der künstlichen Befruchtung feiern: Sophie und Costel erblicken am 15. Dezember das Licht der Welt. Im März 1986 ist es auch in der Uniklinik Halle-Kröllwitz soweit. Das mittlerweile achte Retortenbaby der DDR wird dort geboren. Die damals behandelnde Frauenärztin Petra Kaltwaßer erinnert sich noch lebhaft:

Ach, das war ein großes Glück! Wir haben gesagt, wenn es schon künstlich entstanden ist, dann soll es normal geboren werden. Wir waren glücklich, dass wir durchgehalten haben und nicht so einen Angstkaiserschnitt gemacht haben.

Petra Kaltwaßer Hauptsache Gesund extra | 24.11.2016

Von der Sensation zum medizinischen Alltag

In den Anfangsjahren war jedes künstlich gezeugte Baby eine medizinische Sensation. Heute ist die künstliche Befruchtung Teil der normalen Medizin, wenngleich die Behandlung für die Beteiligten nach wie vor einen körperlichen, emotionalen und finanziellen Kraftakt darstellt. Umstritten ist die künstliche Befruchtung jedoch noch immer, ungeachtet der hohen und weiter steigenden Nachfrage ungewollt Kinderloser. Schließlich kann jedes siebte Paar auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen.

Künstliche Befruchtung
Künstliche Befruchtung einer Eizelle. Bildrechte: IMAGO / Jochen Tack

Die In-vitro-Befruchtung wurde in den vergangenen 40 Jahren weiterentwickelt, die Erfolgsaussichten sind um ein Mehrfaches der anfangs lediglichen fünf Prozent gestiegen. Weitere Maßnahmen wie die Aufbereitung von Spermien, die Samenspende oder die direkte Injektion einer männlichen Keimzelle in das Ei wurden ebenfalls weiterentwickelt.

Die In-vitro-Methode hat aber auch den Weg für die höchst umstrittene Präimplantationsdiagnostik und die Leihmutterschaft geebnet. Ungelöst sind auch die ethischen Probleme mit den überzähligen Embryonen oder die Fragen im Zusammenhang mit der Eizellenspende und dem sogenannten Social Freezing, bei dem Frauen in jungen Jahren ihre Eizellen für später einfrieren lassen. Inzwischen können sogar menschliche Embryonen mit Zellmaterial von drei Elternteilen im Labor gezüchtet werden. Oder defekte Gene können bereits im Embryo repariert werden. Die ethische Debatte scheint mit der Entwicklung kaum Schritt halten zu können. Die gesetzlichen Regelungen unterscheiden sich international zum Teil erheblich.

Und die ersten der in der Petrischale oder dem Reagenzglas entstandenen Menschen? Louise Joy Brown ist noch immer ein Star auf der ganzen Welt. Besonders wenn ein runder Geburtstag naht, steht sie im Rampenlicht und betont den Segen der künstlichen Befruchtung für ungewollt kinderlose Paare. Oliver, Deutschlands erstes Retortenbaby, lebt zurückgezogen und Margit, eines der Hallenser Retortenbabys, sieht sich nicht als etwas Besonderes.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 25. Juni 2023 | 22:00 Uhr

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