Erich Honecker und Walter Ulbricht winken zur Mai-Parade 1972 in Berlin von der Ehrentribühne
Erich Honecker und sein Vorgänger im Amt, Walter Ulbricht, winken zur Mai-Parade 1972 in Berlin von der Ehrentribühne. Bildrechte: imago images / Sven Simon

Gescheiterter Hoffnungsträger DDR-Wirtschaft unter Erich Honecker: Wohlstand auf Pump

07. April 2022, 20:00 Uhr

1971 übernimmt Erich Honecker in der DDR die Staatsführung. Das Leben im Sozialismus wird für die Menschen zunächst bunter als unter seinem Vorgänger Walter Ulbricht. Die DDR erlebt unter der neuen Führung in den Siebzigern ihre wirtschaftlich besten Jahre. Honecker will aus der DDR eine Art "sozialistische Konsumgesellschaft" machen, er selbst nennt das "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Auch in der Kultur weht ein neuer Wind: Bei den Weltfestspielen gibt sich das kleine Land zunächst weltoffen wie nie zuvor. Viele erleben die Anfangsjahre der Honecker-Ära als die goldenen Jahre der DDR. Doch bald zerplatzt der Traum von Weltoffenheit und dauerhaftem Wohlstand.

Am 3. Mai 1971 tritt Erich Honecker seinen neuen Posten als erster Mann im Staat an. Der Grundstein für diesen Aufstieg wurde übrigens im Wald gelegt: In der Schorfheide nördlich von Berlin sind sich Honecker und Kreml-Chef Breschnew durch ihre gemeinsame Jagd-Leidenschaft näher gekommen. Walter Ulbricht nämlich geht lieber Skifahren. Erst als er bemerkt, dass Honecker dauernd mit dem sowjetischen KP-Chef Leonid Breschnew während der Staatsbesuche zur Jagd verschwindet, lässt sich der betagte Staatschef an der Waffe ausbilden. Aber im Gegensatz zu Honecker bleibt Ulbricht ein miserabler Schütze. Breschnew belächelt ihn und geht weiterhin lieber mit Honecker jagen. Wenig später ist der in Moskau nur noch wenig gelittene Ulbricht sämtliche Ämter los, sein Nachfolger heißt: Erich Honecker.

Neue Freiheit in Jeans

Äußeres Symbol der Lockerungen unter Honecker waren Blue Jeans, die es plötzlich zu kaufen gab. Das bestätigt auch Stefan Wolle, der die Zeit selbst erlebt hat. Er ist wissenschaftlicher Leiter des "DDR Museums" in Berlin. Das blaue Kult-Beinkleid war unter Ulbricht noch verpönt. Ebenso verhielt es sich mit langen Haaren bei Männern und kurzen Röcken bei Frauen: unter Ulbricht unerwünscht - unter dem neuen Parteichef kein Problem mehr. Honecker sagte sogar, Jugend nicht nach dem Äußeren zu bewerten. Dieses Statement ist nach Angaben von Stefan Wolle tatsächlich überliefert. Mit diesem insgesamt liberaleren Anstrich präsentiert sich die DDR der ganzen Welt - bei den Weltfestspielen der Jugend in Berlin 1973.

Noch in den Sechziger Jahren waren Blue Jeans echt verpönt in der DDR. Sie waren nicht gesetzlich verboten, aber man konnte wirklich Ärger bekommen in der Schule oder mit dem Lehrmeister, wenn man mit solchen Blue Jeans erschienen wäre. Und das war eines der Zeichen des Neuaufbruchs, des Neubeginns unter Erich Honecker.

Dr. Stefan Wolle, Historiker

"Die junge Welt ist in Berlin zu Gast"

Acht Millionen Besucher in neun Tagen geben der Stadt den Anstrich von Weltoffenheit und Toleranz. Sogar im Sandmann wird die große "Fete" des Sozialismus verewigt. Dabei holt das Sandmännchen die internationalen Gäste vom Flughafen ab. Unabhängig von aller Politik und Propaganda wird es ein ausgelassenes Fest. - Das Woodstock des Ostens, mit Rock- und Beatkonzerten auf 95 Bühnen.

Der kulturelle Aufbruch ist indes nur ein Trugschluss, denn ab der Ausbürgerung des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann 1976 werden die Zügel wieder straffer gezogen. Der Traum von einer "DDR in Farbe" verblasst.

Wohlstand auf Pump

Wirtschaftlich geht es den Menschen in der frühen Honecker-Ära jedoch tatsächlich besser. Dafür sorgt Honeckers berühmte "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Unter Ulbricht hieß es noch: die Ärmel hochkrempeln, um eine bessere Zukunft aufzubauen. Unter Honecker sollen die Bürger ihr Leben im Hier und Jetzt genießen - auch, damit sie nicht gegen die Machthaber rebellieren. Für gute Arbeit sollte es ein gutes Leben geben. Konsum ist plötzlich nicht mehr verpönt im Sozialismus. Das wichtigste Element in Honeckers Wirtschafts- und Sozialpolitik ist aber der Wohnungsbau, denn Wohnungen fehlen überall.

Schulden in Milliarden-Höhe

Die Konsumgüterproduktion wird hochgefahren, die Läden füllen sich mit attraktiven Waren, die es vorher kaum zu kaufen gab. Dank Lohnerhöhungen können sich die Menschen das auch leisten. Die Ausstattung der Haushalte verbessert sich enorm. Zu Beginn der Ära Honecker hat gut jede zweite Familie einen Kühlschrank - fünf Jahre später schon fast alle Haushalte. Auch die Zahl von privaten Waschmaschinen, Fernsehern und sogar Autos schnellt in die Höhe. Aber die einheimische Industrie kann nicht genug Konsumgüter produzieren, also importiert man die teilweise auch aus dem Westen. Die Menschen scheinen zunächst tatsächlich zufriedener. Das lässt sich auch an den in dieser Zeit erzählten Witzen in der DDR ablesen.

Technik und Autos in DDR-Haushalten in Prozent
Jahr 1970 1975
PKW 15,6 26,2
Kühlschrank 56,4 84,7
Waschmaschine 53,6 73,0
Fernseher 69,1 81,6

Die politischen Witze über Walter Ulbricht waren immer sehr gehässig, bösartig, hämisch… Unter Erich Honecker verschwanden die politischen Witze, jedenfalls die richtig bösartigen, auf die Person zielenden. Die kamen dann aber alle wieder, nur unter geändertem Namen, so im Lauf der Achtziger Jahre.

Dr. Stefan Wolle, Historiker

Doch die Sache hat einen Haken. Wirtschaftshistoriker Professor André Steiner weiß, dass die DDR für den Wohlstand der frühen Honecker-Jahre Kredite aufnehmen muss. Die Schulden im nicht-sozialistischen Ausland verzehnfachen sich in den ersten zehn Jahren der Honecker-Ära auf über 20 Milliarden D-Mark. Honecker hofft, dass die bessere Versorgung die Menschen anspornt, noch produktiver zu arbeiten, damit genügend Geld für die Rückzahlung der Kredite da ist. Doch das geht nicht auf, denn die sozialen Geschenke sind nicht an bessere Arbeitsleistungen gebunden.

Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist letztendlich daran gescheitert, dass man zu wenig erwirtschaftet und zu viel verbraucht hat. Die Produktivität der Wirtschaft hat für dieses Konsum- und Sozialniveau schlichtweg nicht ausgereicht. Außerdem waren die Bedingungen in der Planwirtschaft nicht gegeben, um die Arbeitsproduktivität in erforderlichem Maße zu steigern, auch weil die Leistungsanreize für Arbeitnehmer zu gering waren.

Prof. André Steiner, Wirtschaftshistoriker

Die sozialen Wohltaten verschlingen außerdem Unsummen. Damit fehlt das Geld für die längst überfällige Modernisierung der Volkswirtschaft. DDR-Produkte sind auf dem Weltmarkt immer weniger konkurrenzfähig. Spätestens Anfang der Achtziger beginnt ein wirtschaftlicher Niedergang, der schließlich auch zum Ende der Honecker-Diktatur geführt hat.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 02. Mai 2021 | 22:00 Uhr

Mehr zur DDR-Geschichte