Aufgetaucht: Bislang unveröffentlichte Notizen von Margot Honecker

29. April 2021, 14:17 Uhr

Margot Honecker war die mächtigste Frau der DDR. Seit 1992 lebte sie im Exil in Chile. In ihren letzten Lebensjahren schrieb sie eine Art politisches Testament. Der Filmemacher Thomas Grimm hat es nun veröffentlicht. - Ein Interview mit ihm über die Echtheit der Aufzeichnungen und das politische Vermächtnis von Margot Honecker.

Wann hat Margot Honecker ihre politische Notizen geschrieben, welchen Umfang haben sie?

Das Konvolut stammt aus dem Jahr 2007. Auf einem Deckblatt steht: "17 Jahre nach dem Ende der DDR". Es sind über 100 A5-Seiten. Handschriftlich von ihr verfasst und mit Markierungen mit einem gelben Filzstift. Wahrscheinlich sind es Vorarbeiten zu einem Buch, was sie beabsichtigte zu schreiben. 

Ist das Manuskript zweifelsfrei echt? Stammt es tatsächlich von Margot Honecker?

Daran besteht keinerlei Zweifel. Ich hatte es dem Honecker-Biografen Prof. Dr. Martin Sabrow vorgelegt und er hat die Echtheit bestätigt. Außerdem befinden sich im Nachlass auch Briefe, woran man die Handschrift Margot Honeckers einwandfrei identifizieren kann. 

Worüber schreibt Margot Honecker?

Es sind politisch-ideologische Notizen zur Geschichte der DDR. Vor allem, welche Schwierigkeiten die DDR mit Blick auf die Wirtschafts- und Außenpolitik zu bewältigen hatte. Da wird sowohl die Politik des US-Präsidenten Reagan kritisiert als auch Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika im Abschnitt "Wirtschaft marode?".  Auf der anderen Seite dekliniert sie die Erfolge ihrer eigenen Volksbildung.  

Was ist der Tenor der jetzt aufgetauchten Notizen?

Es ist eine ausführliche Selbstrechtfertigung für das Scheitern der DDR, mit historischen Tatsachen angereichert. 

Räumt Margot Honecker auch eigene Versäumnisse ein, sieht sie gar Fehler im Sozialismus der DDR?

Dies geschieht an nur sehr wenigen Stellen. Eine davon ist aber interessant, wo sie den Zusammenhang zwischen dem gewaltigen Wohnungsbauprogramm und den dadurch fehlenden Investitionen in der Wirtschaft herstellt. Man glaubte damals, dass die Arbeitsproduktivität in den Betrieben erst steigen kann, wenn die Menschen in besseren Wohnverhältnissen leben. Also nicht zuerst die Arbeitsproduktivität steigern und mit den dadurch entsehenden Mehreinnahmen die Wohnungssituatíon verbessern. Wenn Sie so wollen, ist diese Aussage ein Eingeständnis, dass das Parteiprogramm von der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik", das ja vor allem auf Erich Honecker zurückgeht, auf einem Irrtum basierte. Wie im gesamten Kommunismus wird der subjektive, ideologische Faktor weit über den ökonomischen gestellt. Ob sie das so umfassend erkannt hat, darf aber bezweifelt werden.

Übt sie auch Selbstkritik?  

Die Frage nach Selbstkritik stellt sie und antwortet umgehend selbst: Ja, Fehleranalyse, aber keine Selbstzerfleischung. 

Thomas Grimm, 1954 in Aue geboren; Regisseur und Filmemacher, seit 1992 Geschäftsführer bei der Zeitzeugen TV Film- und Fernsehproduktionen GmbH.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Zeitreise" 19.09.2017, 21.15 Uhr