Die NPD in Ostdeutschland

11. Juli 2018, 11:28 Uhr

Nach dem Mauerfall machten sich Funktionäre der NPD in den Osten auf. Doch der Partei fällt es zunächst schwer, Fuß zu fassen. Erst durch eine Radikalisierung und lokale Funktionäre schafft sie es in die Landtage.

Die NPD etabliert sich in Ostdeutschland aus naheliegenden Gründen erst nach der Wiedervereinigung. Der Fall der Mauer am 9. November 1989 überrascht die Partei in einer Zeit des Niedergangs. Unter dem Vorsitz von Martin Mußgnug, einem Rechtsanwalt aus Tuttlingen, befindet sich die Partei seit Jahren auf dem absteigenden Ast. Mußgnug hofft nach dem Mauerfall auf eine offizielle Einladung der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD), die unter den Blockparteien in der DDR kaum eine Rolle spielte. Mußgnug brüstet sich mit "guten Beziehungen" zur vermeintlichen ostdeutschen Schwesterpartei. Ein Trugschluss: Die NDPD geht später in der FDP auf. Die rechtsextreme NPD findet in der streng antifaschistischen DDR keine Partei, mit der sie zusammengehen könnte. Trotzdem existiert durchaus Potenzial für die rechtsextreme NPD. Es gibt rund 1.500 Rechtsextremisten in der untergehenden DDR. Nach einer Umfrage des Ost-Berliner "Zentralinstituts für Jugendforschung" tendieren rund zwei Prozent der ostdeutschen Jugendlichen nach rechtsaußen, in Großstädten wie Berlin und Leipzig sogar bis zu sechs Prozent.

Westdeutsche Parteikader auf dem Weg in den Osten

Kein Wunder, dass sich rechtsextreme Führungsfiguren aus dem Westen sofort nach dem Mauerfall auf den Weg in den Osten machen und auch auf den Montagsdemonstrationen in Leipzig auftauchen. Während der NPD-Vorsitzende Martin Mußgnug und der Chef der Republikaner, Franz Schönhuber, um biedere DDR-Bürger werben, setzen Neonazi-Kader wie Michael Kühnen auf militante Fußballfans und Skinheads, also auf die gewaltbereite rechtsextreme Szene. Der aus Köln stammende Kühnen ist seit den späten 1960er-Jahren in der Neonazi-Szene engagiert und auch bei der NPD und deren Jugendorganisation aktiv.

NPD erreicht die ostdeutschen Rechtsextremen nicht

Die NPD dagegen fällt es vorerst schwer, im Osten wirklich Fuß zu fassen, auch wenn sich schon am 24. März 1990 die Mitteldeutschen Nationaldemokraten (MND) in Leipzig gründen. Trotz tatkräftiger Unterstützung aus dem Westen wird bewusst auf eine NPD-Gründung verzichtet, weil die Rechtsextremisten ein Betätigungsverbot durch die Volkskammer befürchten. In der DDR waren laut Parteiengesetz rechtsextreme Parteien verboten. Somit beteiligt sich die NPD 1990 in den letzten Monaten der DDR weder an den Kommunalwahlen noch an der Volkskammerwahl. Am 2. September 1990 konstituiert sich der Landesverband in Sachsen. In Erfurt geht am 7. Oktober der "Vereinigungsparteitag" der ost- und westdeutschen Landesverbände über die Bühne, an dem auch die MND teilnimmt. Ein Jahr später hat die Partei in Sachsen immerhin 400 Mitglieder und 16 Kreisverbände. Bundesweit befindet sich die Partei dagegen weiter im Niedergang. Martin Mußgnug wird 1991 durch Günther Deckert als Bundesvorsitzender abgelöst. Doch auch nach dem Wechsel an der Spitze gelingt es der NPD nicht, aus den fremden- und asylfeindlichen Stimmungen Anfang der 1990er-Jahre, insbesondere in Ostdeutschland, Kapital zu schlagen. Die Übergriffe auf Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda werfen ein Schlaglicht auf das rechtsextreme Potenzial in den neuen Bundesländern, das die NPD jedoch vorerst nicht erreichen kann. 1994 hat die Partei bundesweit zirka 5.000 Mitglieder. In Sachsen sind es weniger als 100. Viele der erst in den Jahren um 1990 gegründeten Kreisverbände lösen sich wieder auf.

Erfolgreich in Sachsen

Der Wind dreht sich erst, als 1996 Udo Voigt Bundesvorsitzender der NPD wird und eine starke Radikalisierung einsetzt. Unter Udo Voigt und dem Bundesvorsitzenden der Jugendorganisation der NPD, Holger Apfel, öffnet sich die NPD den radikalen Neonazis, die sich nach den Verboten verschiedener rechtsextremer Organisationen wie etwa der FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) in Kameradschaften zusammenfinden und das Konzept der "Organisation ohne Organisation" verfolgen. Die NPD wird infolgedessen vor allem in Sachsen verstärkt aktiv und die Mitgliederzahlen steigen, um 1998 mit 1.400 Mitgliedern ihren Höchststand zu erreichen. Damit ist der sächsische Landesverband der mitgliederstärkste. 1997 beschließt die NPD ihr sogenanntes Vier-Säulen-Konzept: Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente, Kampf um die Straße und Kampf um den organisierten Willen. In Sachsen gelingt vor allem der Kampf um die Kommunalparlamente. Die NPD erreicht 1999 neun Kommunalmandate, verfehlt jedoch vorerst den Einzug in den Landtag, kommt aber auf immerhin 1,4 Prozent der Stimmen. Außerhalb von Sachsen schafft es die NPD in den 1990er- Jahren nur ein einziges Mal, die für die Parteienfinanzierung (Stichwort Wahlkampfkostenerstattung) wichtige Hürde von einem Prozent zu nehmen: 1,1 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl 1998 in Mecklenburg-Vorpommern.

Lokal verankerte Führungsfiguren

2004 wird zum wohl erfolgreichsten Jahr der NPD in Ostdeutschland. Bei den Kommunalwahlen in Sachsen gewinnt sie 45 Mandate und zieht im selben Jahr mit 9,2 Prozent der Stimmen in den Landtag ein. Der Erfolg ist mit verschiedenen Personen verbunden. Vor allem in der Sächsischen Schweiz gelingt es der NPD durch lokal verankerte Führungsfiguren Stimmen zu gewinnen. An erster Stelle ist hier der bei einem Verkehrsunfall 2006 tödlich verunglückte Udo Leichsenring zu nennen. Der Fahrschullehrer ist in seiner Heimatstadt Königstein bekannt und erreicht bei Wahlen zweistellige Ergebnisse für seine Partei. Gleiches gilt für den Arzt Johannes Müller oder den Heizungsinstallateur Michael Jacobi, die ihre lokale Bekanntheit und Beliebtheit in Stimmen für die Wahl der NPD ummünzen. In der Sächsischen Schweiz gibt es darüber hinaus enge Verbindungen zur SSS, den Skinheads Sächsische Schweiz, einer der größten Neonazi-Kameradschaften, deren Mitgliederzahl auf bis zu 150 Neonazis geschätzt wird. 2001 wird die SSS verboten. Ehemals führende Köpfe der SSS wie Thomas Sattelberg, Martin Schaffrath und Thomas Rackow machen nun Karriere in der NPD.

Millionen Euro werden in die NPD-Kasse gespült

Neben den ortsansässigen Kadern ziehen auch westdeutsche NPD-Politiker nach Sachsen, wie etwa Holger Apfel oder Jürgen Gansel. Apfel kommt als Chefredakteur der "Deutschen Stimme" nach Sachsen und arbeitet hier zielstrebig an seiner Kandidatur für die Landtagswahlen. Nach dem Einzug ins Parlament wird Holger Apfel Fraktionsvorsitzender der NPD in Dresden. Der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zahlt sich vor allem finanziell für die stets klamme Partei aus. 92.000 Euro brachte der Erfolg aus den Mitteln der Wahlkampfkostenerstattung. Außerdem erhält die Fraktion in der Legislaturperiode pro Jahr etwa 1,2 Millionen Euro. Durch mehrere Parteiaustritte und einen Parteiausschluss sinkt die Zahl der Mandate im Landtag von Dresden von zwölf auf acht. 2009 gelingt der NPD mit Holger Apfel an der Spitze erneut der Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag. Der sächsische Erfolg kann in Mitteldeutschland nicht wiederholt werden. Weder in Thüringen noch in Sachsen-Anhalt schafft die NPD - trotz massiver personeller und finanzieller Hilfe aus Dresden - den Sprung in die jeweiligen Landtage.

Erfolge in Mecklenburg-Vorpommern

Nur in Mecklenburg-Vorpommern erreicht die rechtsextreme Partei 7,3 Prozent der Stimmen und schafft damit den Einzug ins Parlament. In Mecklenburg-Vorpommern ist die NPD bis ungefähr 1995 zur Bedeutungslosigkeit verdammt und kann zu dieser Zeit ebenso wie in Sachsen nicht von der asyl- und fremdenfeindlichen Stimmung profitieren. Zu dieser Zeit hat die NPD in dem nördlichen Bundesland ungefähr 80-100 Mitglieder. Ab Mitte der 1990er-Jahre werden ansatzweise funktionierende Parteistrukturen aufgebaut. Auffällig ist hier das zunehmende Interesse von Skinheads und Kameradschaften an der NPD. Es erfolgen Parteibeitritte von meist jüngeren Aktivisten, so dass die NPD in Mecklenburg-Vorpommern zur Landtagswahl 1998 350 Mitglieder hat. In den darauffolgenden Jahren schwankt die Zahl zwischen 200-250 Parteimitgliedern. Der Wahlerfolg 2004 in Sachsen, der auch deswegen zustande kommt, weil die beiden rechtsextremen Parteien NPD und DVU nicht gegeneinander antreten, hilft der Partei in Mecklenburg-Vorpommern. 2006 profitiert die Partei bei der Landtagswahl auch von den sozialen Protesten gegen die Hartz-IV Gesetzgebung. Die Erfolge der NPD bei den Landtagswahlen 2004 in Sachsen und 2006 in Mecklenburg-Vorpommern sind Höhepunkte, von denen es seitdem kontinuierlich bergab geht.

"Seriöse Radikalität"

Holger Apfel löst in der Partei mit seinem Konzept der "seriösen Radikalität" einen Richtungsstreit aus. Es kommt zu Konflikten mit der Parteiführung unter Udo Voigt in Berlin. Falsche Angaben in einem Rechenschaftsbericht bringen die NPD in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Der Bundestag stoppt alle Zahlungen an die Partei. 2011 kann sich Holger Apfel in dem innerparteilichen Machtkampf gegen Udo Voigt durchsetzen und wird Bundesvorsitzender der NPD. Allerdings tritt er im Dezember 2013 von allen seinen Funktionen zurück. Es wurden Vorwürfe gegen ihn laut, er habe einen "Kameraden" sexuell belästigt. Sein Nachfolger an der Parteispitze in Sachsen, Holger Szymanski, scheitert bei der Landtagswahl 2014 knapp an der Fünf-Prozent-Klausel und tritt 2015 als Landesparteivorsitzender zurück. In Mecklenburg-Vorpommern gelingt der rechtsextremen Partei 2011 mit ihrem Spitzenkandidaten Udo Pastörs noch einmal der Wiedereinzug in den Landtag. Bei der Landtagswahl 2016 bekommt die NPD allerdings nur 3 Prozent der Stimmen und muss den Landtag räumen. Bei den letzten Wahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2017 holte die Partei gerade einmal 0,3 Prozent. Die NPD steht nun am Rand der Bedeutungslosigkeit.