Vorwürfe zum 100-jährigen Gründungsjubiläum War das Deutsche Rote Kreuz in Nazi-Verbrechen verstrickt?

19. Mai 2021, 19:25 Uhr

Am 25. Januar 1921 wurde das Deutsche Rote Kreuz gegründet. Zum 100. Geburtstag des Vereins fordern Historiker, dass das DRK sich klar zu seiner NS-Vergangenheit bekennt. Nicht nur habe sich die DRK-Führung direkt an den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten beteiligt. Auch einige DRK-Mitglieder hätten an Aktionen wie der NS-Euthanasie mitgewirkt. Das Deutsche Rote Kreuz hält dagegen, der Verein habe sich bereits intensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt, und verweist auf eine umfassende Studie.

Die Verstrickung des Deutschen Roten Kreuzes mit dem NS-Regime beginnt bereits 1933. Als Massenorganisation mit 1,4 Millionen Mitgliedern rückt das DRK schnell in den Fokus der neuen NS-Regierung, die dessen Gleichschaltung vorantreibt. Jegliche Aufgaben der Wohlfahrt, auf die sich das DRK in den Jahren nach seiner Gründung konzentriert hat, werden eingestellt - sie sind künftig Domäne der Nationalsozialisitischen Volkswohlfahrt. Das Rote Kreuz soll sich, wie schon im Ersten Weltkrieg, darauf vorbereiten, den Sanitätsdienst kriegsfähig zu machen. Jüdische Ärztinnen und Ärzte verlieren ihre Anstellung, alle anderen jüdischen Mitglieder werden gezwungen, auszutreten.

Deutliche Verbindungen zum NS-Regime

Für den Arzt und Historiker Horst Seithe vom Verband Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) wird der Grundstein für die Gleichschaltung des DRK bereits vor 1933 gelegt. "Schon DRK-Präsident Joachim von Winterfeldt-Menkin zeigt Anfang der 1930er-Jahre deutliche konservative und deutschnationale Sympathien, an die die Nationalsozialisten gut anknüpfen können", erklärt Horst Seithe gegenüber MDR ZEITREISE. In den Folgejahren lasse sich die deutliche Verbindung zum NS-Regime nicht mehr leugnen, als hochrangige Mitglieder von SA und später SS die obersten Führungspositionen des DRK übernehmen, so Seithe weiter.

So übernimmt Ernst Robert Grawitz 1937 die Führung des DRK als stellvertretender Präsident. Grawitz ist gleichzeitig Chef des SS-Sanitätsamts und Reichsarzt SS. In diesen Funktionen beteiligt er sich an der massenhaften Ermordung behinderter Menschen im Dritten Reich im Rahmen der Aktion T4. Auch Oswald Pohl erhält einen Posten in der Verwaltung des DRK. Als SS-Obergruppenführer und späterer General der Waffen-SS ist er maßgeblich an der Durchführung des Holocaust beteiligt. Sowohl Grawitz als auch Pohl veranlassen Menschenversuche in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, unter anderem im KZ Ravensbrück und im KZ Sachsenhausen.

Verstrickung des DRK in konkrete Kriegsverbrechen schwer nachzuweisen

Während in der Führungsebene des DRK eine direkte Verbindung zu den Kriegsverbrechen der SS deutlich wird, ist bis heute unklar, inwiefern "normale" Mitglieder des Deutschen Rote Kreuzes an den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten beteiligt waren. Während des Zweiten Weltkrieges sind bis zu 640.000 Hilfskräfte des DRK im Einsatz. Um ihre vielschichtige Tätigkeit und die Verbindung der DRK-Führung zum NS-Regime aufzuarbeiten, gab der Verein eine umfassende Studie in Auftrag, die bereits im Jahre 2008 veröffentlich wurde. Diese Studie lasse nach Aussage des DRK keine Rückschlüsse auf eine "systematische Einbeziehung des DRK in die Verbrechen des NS-Regimes" zu. Dennoch lasse sich nicht ausschließen, dass einige DRK-Helfer zumindest teilweise an NS-Verbrechen beteiligt waren oder von ihnen Kenntnis hatten. So gebe es Hinweise darauf, dass medizinisches Personal des DRK an Krankentransporten des Euthanasie-Programms beteiligt war - die Verantwortung bei diesen Vorfällen sei aber schwer zu messen, da sich einzelne Geschehnisse nicht mehr rekonstruieren ließen, so das DRK.

Historiker Seithe sieht die Rolle des Deutschen Roten Kreuzes im Zweiten Weltkrieg deutlich kritischer: "Indem die DRK-Helfer und -Schwestern die Wehrmacht mit ihren medizinischen Kenntnissen unterstützten, hat das Deutsche Rote Kreuz dazu beigetragen, den Angriffskrieg des Nazi-Regimes zu ermöglichen." Viele Mitglieder des DRK seien früh dazu bereit gewesen, den militärischen Sanitätsdienst auszubauen.

Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen

Anlässlich des 100. Gründungsjubiläums des Deutschen Roten Kreuzes fordert der Historiker nun ein deutliches Signal des DRK, wie der Verein zukünftig seine Geschichte aufarbeiten möchte: "Mit der besagten Studie hat der Verein damals keine wirksame öffentliche Debatte angeregt. Das DRK muss ein Zeichen setzen, wie es zur eigenen Vergangenheit steht."

DRK-Pressesprecher Dieter Schütz macht gegenüber MDR ZEITREISE deutlich: "Unser Verein hat sich öffentlich zu seiner Verantwortung bekannt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass auch im Zeichen des Roten Kreuzes Unrecht geschehen ist. Die Aufarbeitung unserer Geschichte ist deshalb noch keineswegs abgeschlossen."

100 Jahre DRK-Geschichte in Deutschland Die Schlacht von Solferino 1859 gilt als Geburtsstunde der internationalen Rotkreuzbewegungen. In den folgenden Jahrzehnten entstehen in Deutschland unabhängig voneinander Landesvereine des Roten Kreuzes, die 1921 mit der Gründung des Deutschen Roten Kreuzes einen Dachverband erhalten. Im Zuge der Entmilitarisierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg widmet das DRK sich vor allem karitativen und wohlfahrtsorientierten Aufgaben. Mit der Gleichschaltung des Vereins ab 1933 übernehmen SS-Mitglieder die Führung des DRK, ehe es im Sommer 1945 aufgelöst wird.

Der westdeutsche Bundesverband wird 1950 in Koblenz wiedergegründet, das Deutsche Rote Kreuz der DDR im Jahr 1952. In der DDR untersteht das DRK dem Ministerium des Inneren und übernimmt vor allem Aufgaben im Katastrophenschutz, in der Gesundheitserziehung und bei der Durchführung von Rettungsdiensten. Im November 1990 werden die Landesverbände der neuen Bundesländer ins DRK der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Heute ist das DRK mit mehr als drei Millionen Mitgliedern einer der größten Wohlfahrtsverbände in Deutschland.

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