1945 Inge von Wangenheim: Schuldig in Moskau?

Die Spur der Ahnen | 14.01.2015 | Inge von Wangenheim

01. November 2016, 12:05 Uhr

Laura von Wangenheim stammt aus einer berühmten Künstlerfamilie. Großmutter Inge, Schauspielerin und Schriftstellerin, gehörte bis in die 1990er-Jahre zur DDR-Elite, Großvater Gustav war ein berühmter Regisseur. Bei den Nachforschungen für einen Familienroman macht Laura von Wangenheim einen sensationellen Fund: Sie stößt auf über 1.000 Fotografien ihrer Großmutter, die sie im sowjetischen Exil gemacht hatte. Über die bitteren Erfahrungen in dieser Zeit wollte Inge von Wangenheim nie sprechen. Warum?

Laura von Wangenheim stammt aus einer berühmten Künstlerfamilie. Großmutter Inge, Schauspielerin und Schriftstellerin, gehörte bis in die 1990er-Jahre zur DDR-Elite, Großvater Gustav war ein berühmter Regisseur. Bei den Nachforschungen für einen Familienroman macht Laura von Wangenheim einen sensationellen Fund: Sie stößt auf über 1.000 Fotografien ihrer Großmutter, die sie im sowjetischen Exil gemacht hatte. Über die bitteren Erfahrungen in dieser Zeit wollte Inge von Wangenheim nie sprechen. Warum?

Als Inge von Wangenheim 1993 stirbt, ist Laura 25 Jahre alt. Begegnet ist sie ihrer Großmutter meist heimlich. Denn Inge von Wangenheim verließ die eigene Familie - sie hatte ihre große Liebe in Thüringen gefunden und kam mit einer Frau zusammen. Nach der Scheidung 1961 enterbte sie die ganze Familie und lehnte den Kontakt zu ihr weitgehend ab.

Schon lange gehen Laura von Wangenheim viele Fragen über die berühmte Großmutter durch den Kopf - nun endlich begibt sie sich auf "Die Spur der Ahnen".

Einem Familiengeheminis auf der Spur

Wie kam es dazu, dass die berühmte Großmutter nichts mehr mit der Familie zu tun haben wollte? Ist nur ihre lesbische Beziehung der Grund? Und welche Rolle spielen in Inge von Wangenheims Leben die dramatischen Erlebnisse während des Moskauer Exils im Zweiten Weltkrieg?

Denunzierten die von Wangenheims dort ihre Künstlerkollegen oder war Inge gar eine russische Spionin? Eines der Fotos, das Inge von Wangenheim 1945 von Moskau über Weißrussland nach Berlin rettete, zeigt eine Gruppe von Freunden. Doch zwei der Gesichter sind ausgekratzt. Gehörten sie zu den deutschen Exilanten, die den stalinistischen Säuberungen zum Opfer fielen?

Die Großeltern haben über diesen Teil ihrer Vergangenheit nie gesprochen. Kann Laura von Wangenheim sie aufdecken und die Familiengeschichte zu Ende erzählen? Und muss dann das Bild der Vorzeigeschriftstellerin und Kommunistin Inge von Wangenheim neu gezeichnet werden?

Der Film folgt Laura von Wangenheim bei der Suche nach Spuren des faszinierenden Lebens der Großeltern, ergründet wird die Zeit des sowjetischen Exils der Wangenheims und der mit ihnen befreundeten Schriftsteller und Künstler genauso wie die Lebensumstände der Familie in der DDR.

Die Recherche führt in viele Archive und an die Orte des historischen Geschehens - vom thüringischen Rudolstadt, wo der Nachlass von Inge von Wangenheim aufbewahrt wird, bis nach Moskau und Bolschewo.

Inge & Gustav von Wangenheim Die Tochter einer Konfektionsarbeiterin, geboren 1912 in Berlin-Schöneberg, bezeichnete sich selbst als "Kind der Weimarer Republik". Trotz ihrer kleinbürgerlichen Herkunft besuchte sie die Schauspielschule, spielte später in Inszenierungen von Erwin Piscator, dann in der kommunistischen Agitprop-"Truppe 31" - und sie verliebte sich in deren Direktor Gustav von Wangenheim.

Gustav von Wangenheim (1895-1975) war Jude und Kommunist. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 floh er mit Inge in die Sowjetunion. Dort gründeten sie eine Familie.

Beide überlebten den Terror Stalins und den Überfall der deutschen Truppen auf die Sowjetunion, sie kehrten nach 1945 in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands (SBZ), die spätere DDR, zurück. Gustav von Wangenheim wurde Direktor des Deutschen Theaters, drehte Filme wie "Und wieder 48", in denen seine Frau die Hauptrolle spielte.

Inge von Wangenheim starb hoch betagt im Jahr 1993, nachdem sie eine Vielzahl von Büchern veröffentlicht hatte, unter anderem auch über ihre Zeit im sowjetischen Exil ("Mein Haus Vaterland").

In den 1990er-Jahren tauchten Vorwürfe auf, Gustav von Wangenheim habe in der Zeit des sowjetischen Exils Kollegen denunziert.

Lubitsch zu Gast bei den Wangenheims in der Kommunalka Im Sommer 1936 empfingen die Wangenheims außergewöhnlichen Besuch in ihrer "Kommunalka" auf der Kosnetzki Most in Moskau. Ernst Lubitsch, ebenfalls Emigrant, aber damals schon Produktionsleiter bei Paramount in Hollywood, machten die Lebensumstände der Wangenheims fassungslos. Seine Eindrücke verarbeitete er einige Jahre später in seinem Film "Ninotschka", in dem Greta Garbo eine linientreue Kommunistin spielt. Inge von Wangenheim lieferte das Vorbild für die Funktionärin, die von Moskau nach Paris geschickt wird, um drei Genossen zu kontrollieren. Bei der Ankunft im Hotelzimmer fragt sie als erstes: Welche Ecke ist meine? Dass jeder ein Zimmer hat, wagen die drei ihr nicht zu sagen.

Der rote Terror Die sowjetische Gesellschaft bewegt sich zwischen Terror und Traum. Es gibt gigantische Bauprojekte wie die Metro - die nach Aufbruch aussehen -, neues Kino, Musicals und Jazz. Und es gibt Erschießungen am Rande der Stadt.

Karl Schlögel betont in seinem Werk "Terror und Traum. Moskau 1937" das scheinbar Paradoxe. So wird am 2. Juli 1937 ein Dokument zur Durchführung "allgemeiner, freier, direkter und geheimer Wahlen" zum Obersten Sowjet in der "Prawda" veröffentlicht, am selben Tag beschließt das Politbüro aber auch eine Resolution "Über antisowjetische Elemente", die zur Grundlage für die Massenerschießungen wird.

Am Ende markiert das Jahr 1937, in dem rund 700.000 Menschen ermordet und fast 1,3 Millionen in Lager deportiert werden, den Höhepunkt des Stalinschen Terrors.

Buchtipp: Laura von Wangenheim: In den Fängen der Geschichte: Inge von Wangenheim - Fotografien aus dem sowjetischen Exil 1933-1945, 112 Seiten, Rotbuch Verlag
ISBN 9783867891905

Karl Schlögel: Terror und Traum. Moskau 1937.
816 Seiten, karton., Carl Hanser Verlag, 3. Aufl.
ISBN 978-3-446-23081-1