Staatsschutz Bundesrepublik - oder eine Bombe für Willy Brandt

Nach 1945 - sollte man meinen - wären die konsequente Aufarbeitung der Versäumnisse der Vergangenheit, die das Erstarken einer völkischen, gewaltbereiten Opposition maßgeblich beförderten, eine der wichtigsten Prämissen beim Aufbau des Staatsschutz der Bundesrepublik. Allein: In den Reihen der Staatschützer fanden sich allzu schnell auch all jene wieder, die den staatspolitischen Kampf gegen Links perfektionierten. Und diese Richtung noch immer maßgeblich forcierten.

Was dabei unter den Tisch fiel, ist Dominik Rigoll erstmals im Rahmen seiner 2010 entstandenen Dissertation "Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr" aufgefallen. Gemeinhin gilt die Zeit nach 1968 als Phase bzw. Hochphase linksextremistischer Gewalt. Meterweise füllen Fachaufsätze und publizistische Spurensuchen dieser Ära die Bibliotheken. Nahezu verblasst dagegen sind jene Zeugnisse rechtsextremistischer Gewalt, die Rigoll zu Anfang des Jahrzehnts entdeckt.

Bundesadler am Eingang der ehemaligen BND-Zentrale Pullach
Bundesadler am Eingang der ehemaligen BND-Zentrale. Bildrechte: imago/Sven Simon

Propaganda der Tat: Schweigen als Gegenmittel

Im Frühjahr 1971 etwa sind Kanzler Willy Brandt wie Bundespräsident Gustav Heinemann Ziel von Attentatsversuchen durch Rechtsextremisten. Beim nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn, ebenso wie Brandt SPD-Mitglied, marschieren militante Neonazis bis vor sein Haus, nachdem er bereits mehrfach Morddrohungen erhalten hatte.

Die Fülle an Fällen manifester Bedrohung durch militante neonazistische Gruppen, in deren Folge Einzelne das Prinzip der "Propaganda der Tat" zu erneuern suchten, ist auffällig. Mindestens ebenso das publizistische Schweigen der Opfer. Für Dominik Rigoll hängt das mit einer klaren, wenngleich erschreckenden Haltung der Betroffenen zusammen. Politiker wie Willy Brandt hätten sich ganz bewusst gegen eine Thematisierung und damit mögliche Skandalisierung dieses Terrors von Rechts entschieden: "Die Leute, die damals angegriffen wurden, haben das nicht an die große Glocke gehängt." Denn eine Thematisierung dieser Angriffe und Mordversuche in der Öffentlichkeit schien ihnen eher geeignet, den virulenten Rechtsextremismus noch weiter anzustacheln.

Bloß nicht ins Wespennest stechen

Extrem zurückhaltend ist die sozialdemokratisch-liberale Regierung auch in Punkto eines Verbots einschlägig bekannter militanter Gruppen wie der NPD-nahen "Aktion Widerstand". Ein entscheidender Punkt dabei ist: Die "Neuen", Linken, an der Spitze des Regierungsapparats sind alles andere als voller Vertrauen hinsichtlich der eigenen Sicherheitsorgane. "Damals war durchaus die Präsenz der NPD im BGS, in der Bundeswehr oder Polizei bekannt. Und die war relativ stark." Trotzdem, so Rigoll, habe diese Gefahr keiner aus der Riege der SPD-Führung aufgegriffen oder thematisiert. Ganz anders als heute, wo man über Verdachtsfälle spricht, Untersuchungen anstellt, die demokratische Loyalität in der Beamtenschaft und beim Militär viel genauer unter die Lupe nimmt. Eine wirkliche Zäsur?

War es eine Kampfansage an den Staat?

Rigoll verweist auf das Jahr 1980. Damals hatte es der FDP-Innenminister Gerhart Baum gewagt, im Januar 1980 die seinerzeit bekannteste neonazistische Terror-Vereinigung der Bundesrepublik, die sogenannte "Wehrsportgruppe Hoffmann", zu verbieten. Die Folge: Im Laufe des Jahres kommt es zu einer Fülle von rechtsradikalen Attentaten und Attentatsversuchen. Beim bekanntesten, dem Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest, sterben 13 Menschen (inklusive Attentäter), 211 weitere Personen werden z.T. schwer verletzt. Es war möglicherweise eine ultimative Kampfansage an den Staat: "Lasst die Finger von uns!"

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in einem eigentümlichen Licht. Auf der einen Seite längst überfällige Verbote, Prozesse und Verurteilungen von rechtsterroristischen Vereinigungen ("Combat 18", "Gruppe Freital"). Auf der anderen Seite eine Welle von Gewalt und Morddrohungen gegen (Lokal)-Politiker, die im mutmaßlich ersten rechtsradikalen Mord an einem Politiker seit Gründung der Bundesrepublik münden, dem Mord an Walter Lübke. Dass beides unmittelbar miteinander verzahnt ist, davon sind Carolin Görzig wie Dominik Rigoll gleichermaßen überzeugt. Ohne zu wissen, an welchem Punkt dieser Entwicklung wir uns gerade befinden:

"Der Staat ist in der Vergangenheit recht langsam dagegen vorgegangen. Die Strukturen, die man braucht, um diesem Rechtsterrorismus wirksam zu begegnen, hätten längst aufgebaut werden müssen. Dass der Staat auf dem rechten Auge so lange blind war, das spielt da einfach mit rein, dass das jetzt so verstärkt auftritt. Das kann man nicht losgelöst betrachten", so Görzig.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Radio: MDR Sachsen-Anhalt | 14.02.2020 | 8:33 Uhr

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