IBU Weltcup, Biathlon, Oberhof, 12.01.2020, Start der Damen
Biathlon-Weltcup 2020 in Oberhof Bildrechte: imago images/Karina Hessland

Biathlon, Walter Ulbricht und der Armeesportklub Oberhof

26. August 2021, 11:33 Uhr

Der Thüringer Luftkurort Oberhof besitzt eine lange Wintersport-Tradition. Besonders erfolgreich waren die Biathleten vom Armeesportklub Oberhof. Doch auch nach dem Ende der DDR konnten die Oberhofer Athleten nahtlos an die alten Erfolge anknüpfen.

Es war im Winter 1980. Bei den Olympischen Spielen in Lake Placid, dem Land des mächtigen Klassenfeindes, errang der beim Armeesportklub Oberhof trainierende Biathlet Frank Ullrich über zehn Kilometer die Goldmedaille für die DDR. Ullrichs Erfolg war tatsächlich eine kleine Sensation und der Jubel bei den Sportfunktionären und der Armeeführung kannte kaum noch Grenzen. Schnell war den Verantwortlichen klar: Dem Biathlon gehört die Zukunft in der DDR und seine Heimat wird er in Oberhof haben.

DDR-Führung förderte Biathlon

Biathlon wurde im Armeesportklub (ASK) Oberhof bereits seit 1959 betrieben. Es ist eine Sportart mit langer militärischer Tradition, bis 1976 waren die Athleten sogar noch mit schweren Großkaliberwaffen auf den Schneepisten unterwegs. Allerdings spielte diese Sportart damals in der DDR keine große Rolle: Biathlon war noch keine olympische Disziplin und daher für die Sportfunktionäre uninteressant. Für die Biathlon-Abteilung wurden daher zumeist Sportler ausgewählt, die es im Skilanglauf nicht weit gebracht hatten. In den 1970er Jahren stellten sich dann aber erste kleine Erfolge ein. Nach Frank Ullrichs grandiosen Olympiasieg in Lake Placid erkannte die SED-Führung allerdings, welch gewaltiges Medaillenpotential in dieser prestigeträchtigen Disziplin liegt. Verteidigungsminister Heinz Hoffmann höchstselbst kümmerte sich nun um den Aufbau einer schlagkräftigen Biathlon-Mannschaft und ordnete überdies die Errichtung eines modernen Biathlon-Stadions in Oberhof an.

Biathlon-Arena mit dem besten Schießstand der Welt

Bereits im Frühling 1981 rückten Pioniereinheiten der Nationalen Volksarmee in Oberhof ein und begannen mit den Arbeiten. Geld spielte bei dem ambitionierten Bau keine Rolle, schließlich handelte es sich um ein Projekt des Verteidigungsministeriums. 1983 wurde die Biathlon-Arena mit großem Pomp eingeweiht. Vor allem der Schießstand zählte damals tatsächlich zu den modernsten Anlagen weltweit. Ein Jahr später richteten die Oberhofer den ersten Biathlon-Weltcup aus. Es war der Beginn einer großen sportlichen Erfolgsgeschichte. Frank Ullrich gewann nicht nur Olympiagold in Lake Placid, sondern auch noch neun Weltmeistertitel. "Absolut einmalig", so Ullrich später, "war der Erfolg unserer Oberhofer ASK-Vereins-Staffel bei der Weltmeisterschaft in Minsk 1982." Ein anderer erfolgreicher Biathlet war Frank Peter Roetsch, der zwischen 1983 und 1989 fünf Weltmeistertitel sowie zwei Olympiasiege errang. Biathlon war endgültig zu einer Domäne der Athleten aus Oberhof avanciert.

Biathlon in Oberhof
Neu errichtete Biathlon-Arena in Oberhof Bildrechte: imago/Gerhard König

Marlene Dietrich und Kaiser Wilhelm II. besuchten Oberhof

Oberhof besitzt eine lange Tradition als Wintersportzentrum. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts sollen in den Bergen rings um den Luftkurort zum ersten Mal Skifahrer unterwegs gewesen sein. 1905 veranstaltete der Arzt Curt Weidhaas, der seinen Heimatort zum führenden Wintersportort des Thüringer Waldes entwickeln wollte, den ersten Skilanglauf-Wettbewerb in Oberhof. Etwas später entstand unter reger Mitwirkung der Oberhofer Einwohner bereits eine erste Rodelbahn, später auch eine Skisprungschanze, ein sogenannter Sprunghügel. Zu den illustren Gästen des noblen Kurorts Oberhof zählten damals unter anderen Marlene Dietrich und Kaiser Wilhelm II. Im Jahr 1931 wurden im Ort erstmals Weltmeisterschaften im Zweierbob und in der Nordischen Kombination veranstaltet. Der Sprunghügel hieß nun "Hindenburgschanze".

Kurort der Werktätigen und Wintersportzentrum

Nach Gründung der DDR 1949 entwickelte sich Oberhof zunehmend zu einem sozialistischen Kur- und Erholungsort für die Werktätigen, zu einem "sozialistischen Garmisch". Auch SED-Chef Walter Ulbricht, der eine Schwäche für den Thüringer Wald hatte und gern Ski fuhr, war samt seiner Entourage häufiger Gast in Oberhof. "Waltershausen" nannten die Einheimischen hinter vorgehaltener Hand in diesen Jahren ihren Heimatort. Ulbricht, der bereits 1949 die enorme Massenwirksamkeit von Sportveranstaltungen bei Wintersportwettkämpfen in Oberhof selbst erlebt hatte, ließ durch die "Aktion Oberhof" in den Jahren 1950 und 1951 private Hotels, Pensionen und Betriebe in Oberhof enteignen. Private Unterkünfte wurden in staatliche Erholungs- und Kureinrichtungen umgebaut und Oberhof als das Wintersportzentrum der DDR ausgebaut werden.

Ulbricht ließ in den 1960er-Jahren danach eine 120-Meter-Sprungschanze sowie 1971 eine sündhaft teure, aber dafür ausgesprochen moderne Bobbahn errichten, die allen internationalen Ansprüchen genügte. Dennoch aber blieb das etwas mehr als 1.500 Einwohner zählende Städtchen vor allem eine Domäne der Biathleten und Skilangläufer.

Skilanglauf in Oberhof

Freilich ließen die Erfolge der Oberhofer Skilangläufer auf sich warten. Die Skilanglaufsparte des Armeesportklubs blieb lange Jahre hinter den Erwartungen der Verantwortlichen zurück. Die grämten sich vor allem darüber, dass die Athleten des benachbarten SC Motor Zella-Mehlis stets die besseren Leistungen erbrachten. Und auch Walter Ulbricht, der oft Wettkämpfe in Oberhof besuchte, zeigte sich durchaus verärgert darüber, dass die "Soldaten" stets von den "Zivilisten" auf die Plätze verwiesen wurden. Mit einem üblen Trick gedachte er das zu ändern. Der SED-Chef ordnete kurzerhand die Einberufung der Athleten aus Zella-Mehlis zur Armee an. Damit mussten diese fortan für den ASK Oberhof an den Start gehen. Der ASK gewann nun endlich einige DDR-Meisterschaften im Skilanglauf. Internationale Erfolge hingegen stellten sich erst in den 1970er Jahren ein, etwa als Gerhard Grimmer zweimal Gold bei Weltmeisterschaften für die DDR holte.

Armeesportklub Oberhof - erfolgreichster Wintersportverein der Welt

Der Armeesportklub Oberhof, bereits 1956 gegründet, ist bis heute der mit Abstand erfolgreichste Wintersportklub der Welt. Nicht nur Biathleten waren erfolgreich gewesen, sondern auch Bobfahrer und Skispringer. Bis 1990 gewannen die Athleten des ASK mehr als 100 Goldmedaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Das Leistungszentrum sowie die Unterkünfte der etwa 200 Sportler befanden sich auf Aweisung Walter Ulbricht auf einem Gelände der NVA außerhalb des Ortes. Ulbricht war der Ansicht gewesen, dass der Kurort Oberhof für die Entwicklung eines Athleten alles andere als förderlich sei.

Ski und Rodel auch nach dem Ende der DDR gut

Das Ende der DDR überstand das Mekka des sozialistischen Wintersports ohne Blessuren. Im Gegenteil: In Oberhof wurde kräftig investiert. Der gesamtdeutsche Sport wollte das Potenzial auch weiterhin nutzen. Und so entstanden im Laufe der Jahre für Hunderte Millionen eine neue Biathlon-Arena und eine riesige Skihalle, in der Skilangläufer und Biathleten das gesamte Jahr über trainieren können; neue Skisprungschanzen wurden errichtet und die gute alte Bobbahn gründlich saniert. Weltmeisterschaften und etliche Weltcup-Veranstaltungen konnten daraufhin in Oberhof veranstaltet werden.

Die neuen Stars: Frank Luck, Sven Fischer und Ronny Ackermann

Der erfolgreichste Wintersportverein der Welt war im November 1990 im Wintersportverein (WSV) Oberhof 05 aufgegangen. Der umbenannte Armeesportklub konnte beinahe nahtlos an die Erfolge aus den Tagen der DDR anknüpfen. Die neuen Stars hießen nun Frank Luck und Sven Fischer. Die beiden Biathleten dominierten fast 15 Jahre lang die Weltspitze. Insgesamt gewannen sie sechs olympische Goldmedaillen und 14 Weltmeistertitel. Eine olympische Goldmedaille errang aber auch die Biathletin Antje Misersky in den 1990er Jahren. Erfolgreichste Skilangläuferin des WSV Oberhof 05 ist Olympiasiegerin und Weltmeisterin Manuela Henkel. Bester Nordischer Kombinierer ist Ronny Ackermann, der bis zu seinem Weggang aus Oberhof immerhin zweimal Olympiasilber sowie einen Weltmeistertitel gewann. Insgesamt haben die Oberhofer Wintersportler seit 1990 zwanzig olympische Goldmedaillen nach Hause gebracht. Eine beeindruckende Bilanz, die dafür sorgen dürfte, dass Skilanglauf und Biathlon auch in Zukunft eng mit dem Namen Oberhof verbunden sein werden.

Ronny Ackermann
Erfolgreicher Nordischer Kombinierer: Ronny Ackermann Bildrechte: imago images/GEPA pictures

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Dieses Thema im Programm: MDR | 07. Januar 2021 | 18:00 Uhr