Prinzesschen: Von Sachsen-Anhalt nach Afrika und zurück

19. Juli 2022, 16:37 Uhr

1994 war sie die erste Störchin, die mit einem "Telemetriesender" auf dem Rücken um die Welt flog. 20.000 Kilometer, von Sachsen-Anhalt nach Afrika und wieder zurück. Sie schrieb damit unglaubliche Technikgeschichte und läutete eine neue Ära in der Vogelforschung ein.

Keiner Frau sind wir beide in unserem Leben so oft und so weit hinterhergelaufen oder gar geflogen wie dieser Storchendame. Prinzesschen - unser Liebling!

Christoph und Michael Kaatz

Das sagen Christoph und Michael Kaatz. Die beiden Männer - Vater und Sohn - sind Ornithologen und betreiben seit fast 40 Jahren den Storchenhof Loburg bei Magdeburg.

Prinzesschen ist schon seit mehr als zehn Jahren tot. Christoph und Michael Kaatz sind darüber immer noch traurig. In Erinnerung an die ungewöhnliche Störchin haben sie ihren ersten Ortungssender aufgehoben. Sie hüten ihn wie einen Schatz. Für kein Geld der Welt würden sie ihn hergeben. Christoph Kaatz: "Das wäre so wie mit der Sixtinischen Madonna. So was kann man nicht verkaufen, da gibt's gar keinen richtigen Geldwert dafür. Das ist unwiederbringlich."

Meilenstein der Weißstorch-Forschung

Der Sender ist aus den 90ern und markiert einen Meilenstein in der weltweiten Weißstorch-Forschung. Prinzesschen war der erste Storch, dessen Zugweg man von Loburg bei Magdeburg bis nach Afrika und zurück via Telemetrie nachverfolgen konnte – zweimal 10.000 Kilometer! Damals eine Sensation, denn davor konnten die Vögel nur anhand ihrer kleinen Ringe per Fernglas gesichtet werden. Das war immer vom Zufall abhängig und außerdem sehr zeitaufwendig.

Die Sender – inzwischen modernisiert und weiterentwickelt – sind bis heute im Einsatz. Wissenschaftler, unter ihnen auch die Kaatzens, erforschen weltweit die Flugrouten der Störche. Das ist wichtig, weil die Tiere bedroht sind. Stromtrassen und die durch intensive Landwirtschaft ausgelaugten Böden werden immer mehr zu einer tödlichen Gefahr für die Tiere. Die Vogelschützer können anhand der Senderdaten ihre Aufenthaltsorte viel präziser analysieren und sich so deutlich besser für die Erhaltung der Lebensräume der Zugvögel einsetzen.

High-Tech-Sender für die Störche

1994 beginnt das spektakuläre Senderprojekt. Michael Kaatz erinnert sich genau: "Im Sommer haben wir Prinzesschen den High-Tech-Sender auf den Rücken geschnallt. Damals war das absolute High-Tech. 90 Gramm wog der batteriebetriebene kleine Kasten. Sie trug ihn wie einen Mini-Rucksack. Was waren wir aufgeregt ... sie und wir!" Prinzesschen ist eine von neun Störchen, die solch ein Gerät bekommen. Initiiert wird das Projekt vom Max Planck-Institut für Ornithologie Radolfzell am Bodensee. Dort gab es Mitte der 1990er-Jahre nur noch ganz wenige Störche, deshalb entschieden sich die Wissenschaftler für eine Zusammenarbeit mit dem Loburger Storchenhof in Sachsen Anhalt. Christoph Kaatz erinnert sich:

Damals war es wirklich so - der Osten hatte das sogenannte Tafelsilber an Störchen ins wiedervereinigte Deutschland eingebracht.

Christoph Kaatz

Alle 72 Stunden neue Daten von der Störchin

Prinzesschen verliert als einzige der neun Störche nie ihren Sender. Über drei Kontinente und 22 Länder fliegt sie damit. Alle 72 Stunden werden ihre Koordinaten über einen Satelliten an die europäische Datenzentrale im französischen Toulouse übertragen. Christoph Kaatz: "Da habe ich alle Höhen und Tiefen des Gefühlslebens miterlebt, also wenn etwa auf einmal Datensalat kam, da hat man Angst gehabt um sie. Ich jedenfalls. Na, ist ihr jetzt etwa was passiert?" Die Männer vom Storchenhof bekommen die Daten aus Toulouse per Luftpost zugeschickt. E-Mail oder Handy gibt es hier 1994 noch nicht. Auch das Internet steckt noch in den Kinderschuhen. Nur etwa ein Prozent der Deutschen nutzen es damals.

Sender musste nach Revierkämpfen oft erneuert werden

Insgesamt zwölf Jahre liefert Prinzesschen Senderdaten. Doch so ganz ohne Probleme geht es nicht ab. Jedes Jahr kommt die Storchendame aus ihrem afrikanischen Winterquartier wegen des weiten Weges sehr spät zurück nach Loburg. Ihr Lieblingsnest und ihr "Ehemann" des letzten Sommers sind dann immer schon besetzt. Doch Prinzesschen erobert sich beides fast jedes Mal zurück. "Da flogen ordentlich Federn", erinnert sich Michael Kaatz. "Nicht selten verlor oder beschädigte sie dabei auch ihren Sender und wir mussten sie wieder einfangen, um einen neuen zu montieren. Das Gute daran war, dass die Sender und die Datenübertragung über die Jahre immer besser wurden. Am Ende konnten wir ihre Daten sogar über Handy abrufen."

Grab und Denkmal für Prinzesschen

Prinzesschen ist ein Rekordstorch: Sie ist nicht nur der erste erfolgreiche Senderstorch, sie zieht außerdem auch mehr als 30 Junge auf. 2004 wird sie sogar auf einer Briefmarke verewigt und eine eigene Wikipedia-Seite hat sie auch. Ihre letzte Reise endet am Vorweihnachtsabend - am 23. Dezember 2006 - in der Nähe von Hoopstad in Südafrika. Prinzesschen fällt vom Himmel und stirbt - wahrscheinlich an Altersschwäche. Ein Farmer findet sie. Dank des Senders, auf dem ihre Loburger Herkunft vermerkt ist, kann er Kaatzens informieren.

Michael fliegt sofort nach Afrika, um sie zu beerdigen.

Prinzesschen hat nicht nur unsere, sondern die Herzen vieler Menschen berührt. Ihr Andenken können wir am besten bewahren, indem wir weiter engagiert für den Lebensraumschutz wild lebender Tiere und Pflanzen kämpfen.

Michael

Über ein Jahrzehnt gab Prinzesschen Einblicke in die Geheimnisse ihrer Zugwege. Scheinbar mühelos überquerte sie Grenzen. Weltweit verfolgten die Menschen ihre Reisen. Heute steht auf dem Storchenhof bei Magdeburg ein Denkmal für Prinzesschen. Sehr gut darauf zu erkennen: ihr Sender. "Diese Störchin war unsere beste wissenschaftliche Assistentin", sagt Michael Kaatz.

Dieser Artikel wurde erstmals 2018 veröffentlicht.

Über dieses Thema berichtet MDR ZEITREISE auch im TV: 03.03.2018 | 21:15 Uhr