Jugend und Bildung | Unterthema Universität Lehrerinformation zum Thema

05. Januar 2016, 09:33 Uhr

Die Materialien, die die Sprengung der Paulinerkirche in Leipzig behandeln, können Schülerinnen und Schülern verdeutlichen, dass das SED-Regime Spuren der christlichen Vergangenheit wie die in der Bevölkerung verankerte Kirche aus dem kollektiven Gedächtnis mit bilderstürmerischer Konsequenz tilgen wollte. Die Kirche galt als Rest eines feudalen Zeitalters, der der neuen "fortschrittlichen", sozialistischen Städteplanung weichen musste. Architektur wurde zum politischen Programm und sollte die Umwandlung des kollektiven Gedächtnisses und die Schaffung eines neuen, sozialistischen kulturellen Gedächtnisses befördern. Deutlich wird die Analogie zu Umwandlungsprojekten in anderen Diktaturen, z. B. zu den Plänen Hitlers hinsichtlich der Umwandlung Nürnbergs oder Berlins.

Widerstand hält bis heute an

Die Materialien verdeutlichen aber auch, dass sich Gebäude und Architektur so fest im kulturellen Gedächtnis verankert sind, dass technokratische "Umerziehungspläne" auf Widerstand stoßen, selbst wenn mit Repressalien zu rechnen ist. Deutlich wird, dass der Widerstand bis heute anhält und sich Bürger im Paulinerverein für die Wiederherstellung der Kirchen, die Erforschung der Ereignisse vor und nach der Sprengung von St. Pauli und für die Suche nach den Leichen der ehemals in der Gruft Begrabenen einsetzen. Die Materialien sensibilisieren für die Bedeutung von Architektur für das kollektive und kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft.

Einsetzbarkeit der Materialien

Die Materialien können in der Sekundarstufe I eingesetzt werden, wenn es um die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat in der DDR geht. Sie können auch die Frage beleuchten, wie Umerziehung in den Köpfen in der Diktatur intendiert wird und mit welchem Erfolg. Schließlich können sie das Problem beleuchten, welche Prozesse Umerziehung durch städtebauliche Umgestaltung in den Menschen auslöst.

In der Sekundarstufe II können die Materialien dazu dienen, die Bedeutung von Gedächtnisorten – "lieux de memoires",wie sie Pierre Nora nennt – zu erfassen und mithilfe von Theorien zum kollektiven und kulturellen Gedächtnis (Maurice Halbwachs, Jan und Aleida Assmann) zu analysieren.

Die beiden Videos, die Interviews mit Hans Mayer zeigen, sind eher für die Sek. II geeignet. Vorausgesetzt wird eine gewisse Kenntnis der literarischen Entwicklung nach 1945. Daher eignen sich die Materialien auch für fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht zur Frage: Zwei deutsche Staaten – eine deutsche Literatur?

Für die Lernenden ist die Frage von Interesse, warum die DDR einem ihrer führenden Wissenschaftler, Imageträger und überzeugten Marxisten, seinen Einfluss auf die Studenten entziehen wollte. Auch ergibt sich die Frage, was Hans Mayer an der DDR so faszinierte, dass er sein Wirken an der Universität Leipzig als wichtige und fruchtbare Phase in seiner Entwicklung begriffen hat – trotz der Schwierigkeiten, die ihm das SED-Regime machte.