Ein Blick in die Zeit 40 Jahre "Kirche im Sozialismus"

14. November 2019, 12:43 Uhr

Die Kirchen in der DDR – sie gingen nicht unter, schrumpften allerdings stark und gewöhnten sich an ein Dasein als "Kirche im Sozialismus". Aber sie spielten doch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Opposition und dem Weg zu 1989. Nachfolgend einige Eckpunkte zu 40 Jahren Kirche in der DDR.

Der Marxismus-Leninismus bekämpft gemäß seiner Ideologie Religion und Kirche. Allerdings hatte die Sowjetunion leidvolle Erfahrungen mit den Folgewirkungen allzu starker Drangsalierung von Gläubigen. So empfahl man der SED einen Kurs, der gewissermaßen eine Austrocknung der Kirche vorsah. Sie durfte existieren, aber man tat alles, um die Mitgliedschaft (oder gar bekennende Tätigkeit) in der Kirche nachteilig erscheinen zu lassen. Pfarrerskinder litten hierunter besonders – sie wurden schon in der Schule benachteiligt, dem Wehrdienst konnten sie nur als "Bausoldaten" (unter entwürdigenden Umständen) entgehen, in Sachen Studium und Ausbildung standen ihnen nur nichtakademische Felder offen. Ausnahme war das Studium der Theologie und die Musikerausbildung. Hier war der Anteil protestantischer Pfarrerskinder bemerkenswert hoch.

Opposition unter dem Dach der Kirche

Ansonsten existierten die Kirchen in einer Art Nische. Sie wurden beobachtet und infiltriert, aber nur selten direkt attackiert. Dies war aber auch kaum nötig, da nur wenige Christen einen aktiven und auffälligen Widerstand pflegten. Dies änderte sich gegen Ende der DDR-Zeit, zunehmend entstanden unter dem Dach der Kirche Netzwerke von Bürgerrechtlern, Umweltbewegungen und Friedensaktivisten. Es ist kein Zufall, dass die Leipziger Nikolaikirche einer der Ausgangspunkte der Wende von 1989 wurde.

Chronologie

  • 1945 garantieren die sowjetischen Besatzer Religionsfreiheit und geben den Kirchen zunächst eine Bestands- bzw. Besitzgarantie. Die Ev. Kirchen in der SBZ haben einen Anteil von über 80 Prozent der Bevölkerung.
  • 1949 garantiert die DDR-Verfassung die freie Religionsausübung.
  • 1952 (nach dem II. SED-Parteitag) Verschärfung des Kurses gegenüber der Kirche. Institutionen wie die Diakonie werden in ihrem Bestand angegriffen, die "Junge Gemeinde" (Evangelische Jugendarbeit) wird ebenfalls scharf attackiert. Zunahme von Kirchenaustritten in den Evangelischen Landeskirchen.
  • 1953 wird diese Verschärfung wieder abgemildert, nach dem 17. Juni riet die SU zu einem freundlicheren Kurs gegenüber den Kirchen.
  • 1954 Einführung der "Jugendweihe", in Konkurrenz zur Konfirmation. Nach erstem Widerstand müssen die Kirchenführungen einlenken, der Anteil der konfirmierten Jugendlichen sinkt 1954 bis 1959 von etwa drei Vierteln auf ein Drittel eines Jahrgangs. Wer nicht zur Jugendweihe geht, wird unter Druck gesetzt.
  • 1964 wird (nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht) die Einführung sogenannter Bausoldaten zugelassen – eine Wehrdienst-Alternative für viele Christen.
  • 1969 Gründung von einem Bund der Evangelischen Kirchen (in Abgrenzung zur EKD in Westdeutschland).
  • 1971 Eisenacher Evangelische Bundessynode prägt das Wort von der "Kirche im Sozialismus".
  • 1976 Pfarrer Oskar Brüsewitz verbrennt sich öffentlich in Zeitz, neben zwei aufgestellten Plakaten: "Funkspruch an alle: Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen."
  • 1978 erstes offizielles Treffen von Honecker mit der Führung der Evangelischen Kirche.
  • 1978 Einführung des Wehrkundeunterrichts an den Schulen, kirchliche Proteste bleiben unbeachtet.
  • 1980 übernimmt Honecker den Vorsitz im "Martin-Luther-Komitee" zur Vorbereitung der Ost-Feierlichkeiten zum Jubiläum 1983 ("Lutherjahr").
  • 1976 bis 1989 Zunahme widerständiger Netzwerke, besonders in der Evangelischen Kirche. Unterschiedlich ist hierbei der jeweilige aktive oder nur duldende Anteil der Pfarrer bzw. Kirchenfunktionäre.
  • 1989 im Oktober Massendemonstrationen in Leipzig, die letzten Endes aus den regelmäßigen Friedensgebeten (Pfarrer Führer) an der Nikolaikirche hervorgehen.
  • 1989/1990 Teilnahme vieler Pfarrer bzw. Christen an den "Runden Tischen", Parteigründungen und der ersten und letzten frei gewählten DDR-Regierung. Pfarrer Eppelmann wird Verteidigungsminister.
  • 1989 binden die Ev. Kirchen in der DDR nur noch einen Anteil von etwa 30 Prozent der Bevölkerung an sich, die Katholiken unter 10 Prozent.