Ein Blick in die Zeit Ein Aufstand der Arbeiter

14. November 2019, 14:11 Uhr

Die DDR sollte ein Staat der Arbeiter und Bauern sein. Am 17. Juni 1953 wendeten sich große Teile der Arbeiterschaft von "ihrem" Staat ab. Fortan gab es eine sichtbar "von sowjetischen Gnaden" abhängige DDR-Führung – und eine von übersteigertem Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk geprägte Politik derselben. Die SED hatte allerdings auf anderen Gebieten ihre Lektion gelernt. Die Arbeiter wurden nicht mehr durch größere Zumutungen verprellt, das Transformationstempo wurde insgesamt gemäßigt.

Der Aufstand des 17. Juni 1953 zeigte den frühen Bankrott der jungen DDR – und andererseits die Vergeblichkeit eines Volksaufstandes in einer Hochphase des Kalten Krieges: Stalin war im März 1953 gestorben, aber das "Tauwetter" unter Chruschtschow war noch nicht eingetreten. In Korea herrschte seit 1950 Kriegszustand, erst im Juli wurde dieses mörderische und stellvertretende Ringen zwischen Nord- und Südkorea (bzw. Sowjetunion/China und den USA) beendet. Die Welt stand beim Koreakrieg am Rande eines Atomkrieges!

Druck auf "bürgerliche" Parteien verstärkt

Die SED hatte 1952 das Tempo der Transformation hin zum Sozialismus verschärft. Angebliche Abweichler in der Partei wurden mit Schauprozessen bedrängt, auch auf dem Lande tobte der Klassenkampf gegen als "Schieber" denunzierte und mit Prozessen belangte Bauern, die noch nicht in Genossenschaften eingegliedert waren. Vom Sommer 1952 bis zum Mai 1953 verdoppelte sich die Zahl der Haftinsassen auf ca. 65.000. Der Druck auf die noch bestehenden "bürgerlichen" Parteien LDP und CDU wuchs, auch der Kirchenkampf wurde verschärft.

Engpässe in der Lebensmittelversorgung

Diese Maßnahmen wurden ungünstigerweise von Schwierigkeiten in der Wirtschafts- und Versorgungslage begleitet. Die Planwirtschaft und einseitige Begünstigung der Schwer- und Rüstungsindustrie verursachte Mängel bei der Lebensmittel- und Konsumgüterversorgung. Dies blieb der Bevölkerung nicht verborgen und konnte durch Propaganda oder "Schieber"-Legenden kaum überdeckt werden.

Die Flüchtlingswelle stieg 1952/53 dementsprechend an, alarmierende Berichte zur Gesamtlage führten sogar zu einem Rüffel aus Moskau. Im Juni 1953 wurde von dort der DDR-Führung bedeutet, sie solle allzu drastische Maßnahmen zurücknehmen. Dies führte zu der SED-Erklärung vom "Neuen Kurs" (9. Juni 1953) – wobei die zehnprozentige Normenerhöhung allerdings nicht zurückgenommen wurde. Dies wiederum führte zu den Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen, die im Aufstand des 17. Juni 1953 kulminierten.

Westliche Agitation und Infiltration?

Der Westen beobachtete diese Volksbewegung mit Sympathie – und gleichzeitig mit großer Sorge. Angesichts der weltpolitischen Konfrontation lehnten die Westalliierten ein Eingreifen kategorisch ab. Schon die RIAS-Rundfunkansprache des DGB-Vorsitzenden Scharnowski vom 17. Juni war trotz vorsichtiger Wortwahl eine Gratwanderung – und wurde von der SED als Beleg für westliche Agitation und Infiltration benutzt. Immerhin hat auch Egon Bahr später die Rolle des RIAS als bedeutsam charakterisiert, wenn auch nicht im Sinne einer Steuerung des Aufstandes vom Westen aus.

Die Sowjetunion konnte jedenfalls (wie später auch in Ungarn 1956 und der ČSSR 1968) ungestört mit den Aufständischen abrechnen. Der Ausnahmezustand zeigte den DDR-Bürgern die wahren Machtverhältnisse – und nach dem Rückzug der sowjetischen Panzer blieb der DDR-Führung die schwierige Aufgabe, einen Staat gegen die eigene Bevölkerung fortzuführen. Bertolt Brecht schrieb hierzu lakonisch:

"Wäre es da

Nicht doch einfacher, die Regierung

Löste das Volk auf und

Wählte ein anderes?"

(Die Lösung, 1953)

Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953

Nach 1953 wurde die DDR ein anders geführter Staat. "Die Machtmechanismen wurden subtiler" (Mählert 2004, S.78), eine offene Konfrontation mit der arbeitenden Bevölkerung wurde fortan gemieden. Man lebte nun lieber auf Pump, anstatt sich mit den Werktätigen anzulegen. In gewisser Weise stabilisierte dieser Kurs – verbunden mit dem Mauerbau 1961 – die Existenz der DDR. Gleichzeitig nahm das Jahr 1953 den Bürgern in Ostdeutschland für lange Zeit jede Hoffnung auf innere Reformen oder eine freiheitliche Entwicklung.