Zeitzeuge aus der MDR-Doku "1989 - Aufbruch ins Ungewisse" Karl-Heinz Dallmann

13. Dezember 2019, 10:51 Uhr

Karl-Heinz Dallmann übernimmt 1986 eine Pfarrstelle in Espenhain und Mölbis, in unmittelbarer Nähe eines Industriekomplexes. Dort kämpfte er für bessere Lebensbedingungen.

Als Karl-Heinz Dallmann gefragt wird, ob er die Pfarrstelle in Espenhain und Mölbis übernehmen will, willigt er ohne lange zu zögern ein. "Und da hab' ich einfach mit großer Geste 'Ja' gesagt. Hatte aber eigentlich keine Ahnung, auf was ich mich einlasse." Espenhain zwischen Leipzig und Borna und das benachbarte Dorf Mölbis gelten als die schmutzigsten Orte der DDR. Sie liegen im Schatten eines Industriekomplexes mit Schweflerei, Kohlefabrik, Brikettfabrik und zwei Kraftwerken. Die Lebensqualität dort ist durch die veralteten Industrieanlagen extrem beeinträchtigt.

Durch Espenhain bin ich ja mit dem Zug immer durchgefahren oder manchmal auch mit dem Moped und dachte: Ach du lieber Himmel! Hier kann doch kein Mensch leben. Bei dem Qualm und Dreck! Da muss man ja am Tag Licht anmachen, wenn man durch den Nebel durchfahren will.

Karl-Heinz Dallmann

Was Braunkohleveredlung in der DDR bedeutet, bekommt Pfarrer Dallmann hautnah zu spüren: "Wenn man nachts plötzlich munter wurde, kratzte es im Hals und man hatte das Gefühl, das Zimmer wäre voller Rauchgas. Als ob der Ofenrauch nicht durch den Schornstein geht, sondern ins Zimmer kommt. Und dann macht man das Fenster auf, und da wird's noch viel schlimmer. Wohin gehen und atmen?" Nur bei Ostwind atmen die Leute in Mölbis auf, dann zog der Rauch und Qualm über den Tagebau.

Umweltgottesdienste für saubere Luft

Pfarrer Dallmann engagiert sich mit anderen Umweltaktivisten. Viele Kinder in Espenhain und Umgebung leiden damals aufgrund der schwer belasteten Luft unter Atemnot und Ekzemen. Ab 1987 veranstaltet er Umweltgottesdienste und als "Wallfahrten" getarnte Umweltdemonstrationen: "Wir hatten die Hoffnung: Stück für Stück können wir mit unserem Umweltgottesdienst erreichen, dass die Schwelöfen Stück für Stück rekonstruiert werden." Ab Sommer 1988 führt Dallmann fast wöchentlich Umweltgruppen aus dem Westen auf die Halde bei Mölbis und erzählt, was dort aus dem Werk rauskommt. Geplant ist auch, eine Kamera ins Werk zu schmuggeln und die Berichte ins Ausland zu schicken. An Verbesserung der Situation ist noch immer nicht zu denken. Die Anlagen werden weiter auf Verschleiß gefahren, um Strom- und Wärmeversorgung aufrechtzuerhalten. Erst nach dem Mauerfall gibt es den ersten Hoffnungsschimmer.

Irgendwo war uns klar, jetzt, wo die Grenzen offen waren: Jetzt stehen Veränderungen kurz vor der Tür. Und direkt gemerkt, dass die Luft sich verbessert hat, haben wir Februar, März.

Karl-Heinz Dallmann

Luft zum Atmen, aber keine Jobs mehr

Im August 1990 werden die letzten drei Schwelöfen geschlossen. Doch jetzt steht die Region vor einem neuen Problem: Mehrere Tausend Bergleute aus Espenhain haben keine Arbeit mehr. "Wir hatten Erfolg. Aber das, wofür wir gekämpft hatten, nämlich dass die Werke rekonstruiert werden, ist in der Luft zerronnen. Die Arbeitsplätze, die wir dachten halten zu können, waren mit einem Mal alle weg", stellt Dallmann resigniert fest.