Historischer Kontext Erich Honecker – eine politische Kurzbiographie

26. April 2021, 16:58 Uhr

Starrsinn, Betonköpfigkeit und die totale Unfähigkeit, auf politische und gesellschaftliche Nöte und Sorgen angemessen zu reagieren: Erich Honecker steht geradezu prototypisch für die Unbeweglichkeit der Führungselite eines diktatorischen Systems, das sich zuletzt in erster Linie durch Starrsinn bzw. hartes Vorgehen gegen Kritiker auszeichnete. Ein Blick in die Biographien der Protagonisten hilft, dieses Phänomen zu erklären – der Lebenslauf Honeckers erweist sich dabei in vielerlei Hinsicht als exemplarisch.

Erich Honecker wurde am 25. August 1912 in Neunkirchen an der Saar geboren. Sozialisiert als Sohn eines nach dem Ersten Weltkrieg der KPD beigetretenen Bergmanns im durch die französische Besatzung der Nachkriegszeit politisierten Saargebiet engagierte er sich früh in der kommunistischen Jugendarbeit. 1929 trat er in die KPD ein – zumindest eigenen Angaben zufolge, die allerdings unter dem Vorbehalt einer gewissen Schönfärbung gelesen werden müssen [vgl. Pötzl 2002, S. 29].

Begegnung mit Stalin prägend für Honecker

Belegt ist Honeckers Einsatz für die Partei, der bald belohnt werden sollte: Er wurde für ein Jahr an die Internationale Lenin-Schule der Komintern in Moskau geschickt. Der Besuch dieser Eliteschule für die Rekrutierung von Parteifunktionären in der Sowjetunion muss als Auszeichnung angesehen werden. Ausbildung und Aufenthalt im "Mutterland der Revolution" verfehlten ihre Wirkung nicht, wofür Honeckers verklärte Erinnerung an eine Begegnung mit Stalin ("Ich habe Stalin gesehen. Es war die größte Sache, die ich je erlebt habe." [Pötzl 2002, S. 28]) beispielhaft steht. Vor den Schattenseiten des Stalinismus verschloss er freilich die Augen [vgl. Völklein 2003, S. 89].

Engagement gegen Hitler-Regime

Zurück in Deutschland konnte Honecker das Gelernte anwenden, schnell in leitender Parteifunktion. Ab 1933 half er vom relativ sicheren Saargebiet aus bei der Organisation des Widerstands gegen Hitler im Reich: Er nahm an internationalen Kongressen des antifaschistischen Widerstandes in Frankreich und Holland teil, führte selbst eine Flugblattaktion im Ruhrgebiet aus, engagierte sich gegen den "Anschluss" des Saarlandes an Deutschland [vgl. Pötzl 2002, S. 37f.]. Ende 1935 schlug die Gestapo zu: Eine enttarnte konspirative Aktion, an der Honecker teilnahm, führte zu seiner Verhaftung. 1937 folgten der Prozess vor dem Volksgerichtshof und die Verurteilung zu zehn Jahren Haft wegen "Vorbereitung zum Hochverrat".

Zehn Jahre Gefangenschaft

Insgesamt zehn Jahre verbrachte Honecker in NS-Gefängnissen: Moabit, Plötzensee, schließlich Brandenburg-Görden; erst in Einzelhaft und später im Arbeitseinsatz zur Ausbesserung von Kriegsschäden in Berlin [vgl. Pötzl 2002, S. 38ff.]. Nach einem abenteuerlichen Fluchtversuch im Berliner Kriegschaos  (März 1945) beendete schließlich der Einmarsch der Roten Armee am 27. April 1945 Honeckers Gefangenschaft [vgl. Völklein 2003, 157ff.]. Seine bitteren Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind in ihrer Bedeutung für den weiteren Werdegang Honeckers kaum zu überschätzen.

Weiterer Aufenthalt in Moskau

Kaum zwei Wochen nach seiner Befreiung stieß Honecker zur "Gruppe Ulbricht": deutsche Exilkommunisten, die in der Sowjetunion auf die Errichtung eines (kommunistischen) Nachkriegsdeutschland vorbereitet worden waren. Ulbricht betraute Honecker mit der verantwortungsvollen Aufgabe, eine Jugendarbeit aufzubauen. Mit Erfolg, mündeten doch Honeckers Anstrengungen 1946 in die Gründung der Freien Deutschen Jugend (FDJ), deren Vorsitz er bis 1955 bekleidete. Honecker kam innerhalb der "Gruppe Ulbricht" eine gewisse Sonderstellung zu, hatte doch der "harte Kern" dieses Kommandos die NS-Zeit und v.a. den Krieg ausschließlich in der Sowjetunion verbracht – und nicht, wie Honecker, in Deutschland unter Verfolgung und Gefangenschaft gelitten. Dass Honecker sich in diesem Kreis so gut zurecht fand, beweist nicht zuletzt seine Treue zu Moskau [vgl. Weber 2006, S. 155]. Sicherlich überzeugte auch Honeckers Aufenthalt in der Sowjetunion die Genossen von Honeckers Zuverlässigkeit. 1955/56 verbrachte Honecker noch ein weiteres Studienjahr an der Moskauer Parteihochschule [vgl. Völklein 2003, 255f.].