Fußball in Osteuropa Luhansk: Das Märchen geht weiter

29. April 2020, 15:56 Uhr

Sorja überraschte einst alle, als der Verein aus dem damaligen Woroschilowgrad 1972 die sowjetische Meisterschaft gewann. Danach lief es für Luhansk nicht rund - bis der Krieg im Donbass kam.

Vor 45 Jahren sorgte Sorja Woroschilowgrad - so hieß damals die ostukrainische Stadt Luhansk - für eine der größten Sensationen in der Geschichte des sowjetischen Fußballs. Im harten Kampf gegen Dynamo Kiew und Dinamo Tbilisi sicherte sich Sorja mit fünf Punkten Vorsprung auf die beiden Konkurrenten den überraschenden Meistertitel. In den ersten Jahren nach dem größten Triumph von 1972 konnte der Verein das hohe Niveau noch halten. So spielte Sorja 1974 und 1975 im Finale des sowjetischen Pokals, allerdings unterlag der Klub aus dem Donbass vorerst Dynamo Kiew und dann Ararat Jerewan.

Mit einem Oligarchen gegen den Abstieg

Danach ging es jedoch nur in eine Richtung: abwärts. 1979 steigt Sorja in die zweite sowjetische Liga ab, um neun Jahre später in die dritte Division zu fallen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Luhansker zwar in die höchste ukrainische Liga aufgenommen, lange konnte sich Sorja dort jedoch nicht halten und stieg innerhalb von wenigen Jahren bis in die dritte Liga ab. Erst 2006 schafft der Verein den Wiederaufstieg in die erste Liga. Drei Jahre später stirbt jedoch der Vereinspräsident - und Sorja steht auf einmal vor dem Aus. Nur mit Hilfe des Oligarchen Jewhen Geller konnten die Luhansker überleben, Geller interessierte sich jedoch nie groß für den Fußball und investierte nur wenig Geld.

Erfolg trotz Krieg

Umso überraschender ist es, dass Sorja gerade dann eine Renaissance erlebte, als in seiner Heimatregion 2014 ein blutiger Krieg ausbrach, der UN-Einschätzungen zufolge bisher mehr als 10.000 Tote zählt. Bereits im April 2014 spielte Sorja sein letztes Spiel im heimischen Awangard-Stadion, für das letzte Heimspiel der Saison mussten die Luhansker schon in die zentralukrainische Stadt Tscherkassy fahren. Mit dem siebten Ligaplatz und der Qualifikation für die Vorrunde der Europa League war das übrigens die beste Saison für Sorja seit Jahrzehnten. Was aufgrund der schwierigen Situation im Donbass kaum vorstellbar schien, markierte allerdings erst den Anfang.

"Wenn ich auf die vergangene Jahre zurückblicke, weiß ich selbst nicht, wie wir das alles geschafft haben", gibt Cheftrainer Jurij Wernidub zu. Seit 2010 arbeitet der heute 51-Jährige als Co-Trainer beim Verein Luhansk. Im November 2011 ersetzte er den damaligen Coach Anatolij Tschanzew vorerst nur als Interimstrainer, als Sorja sich in der Abstiegszone befand. Wernidub, der als Profi eine Saison lang beim Chemnitzer FC spielte, überzeugte. Ohne ihn wäre der Erfolg von Sorja nahezu unvorstellbar gewesen. "Es macht keinen Spaß, seit drei Jahren nicht zu Hause zu spielen", versichert Wernidub und ergänzt: "Doch wir versuchen, uns vor allem auf den Fußball zu konzentrieren. Die Hoffnung aber, dass wir bald nach Luhansk zurückkehren dürfen, ist leider minimal."

Auch Heimspiele sind Auswärtsspiele

Während Sorja seine Heimspiele in der ukrainischen Premjer-Liga bereits seit Sommer 2014 in Saporischschja austrägt, läuft es im Europapokal weniger gut.
Vorerst spielten die Luhansker in der Hauptstadt Kiew, danach zogen sie ins südukrainische Odessa um, wo Sorja sich allerdings mit dem örtlichen Ligaverein Tschornomorez nie komplett einigen konnte. In dieser Europa-League-Saison trägt Sorja seine Heimspiele in der westukrainischen Metropole Lwiw aus.

Die Zuschauerzahlen sind bescheiden, echte Fans können wir ja in Lwiw nicht haben.

Serhij Rafailow Generaldirektor von Sorja

Erfolge in Europa League

Vor wenigen Wochen schaffte Sorja die sportliche Sensation, als die Luhansker Athletic Bilbao mit 1:0 schlugen. "Wir waren keinesfalls die Favoriten, doch es war ein verdientes Geschenk für alles, was wir bisher geleistet haben", betont Cheftrainer Wernidub. Tatsächlich sieht die Bilanz für Sorja überragend aus, obwohl es in dieser Saison bisher nur für den siebten Ligaplatz reicht. Nach dem Umzug von 2014 belegten die Luhansker zweimal den vierten Rang in der nationalen Meisterschaft, in diesem Frühjahr gewannen sie sogar Bronze in der ukrainischen Liga. Zum zweiten Mal in Folge schafften sie es nun in die Gruppenphase der Europa League - und haben dort nach den Siegen bei Athletic Bilbao und gegen Hertha in Lwiw nicht die schlechtesten Aussichten, trotz einer Niederlage im ersten Spiel.

Spieler ohne Gehalt

Die Erfolge von Sorja sind für viele aber auch deswegen unerklärbar, weil der Verein immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten kämpft. Die Gehälter werden bereits seit ein paar Jahren nicht rechtzeitig ausbezahlt, bei einigen Spielern soll die Verzögerung bereits bei acht Monaten liegen. Weil Sorja nicht zu Hause spielen kann und daher kaum Eintrittsgelder kassiert, sind die Luhansker sehr stark auf die Investitionen des Präsidenten Jewhen Geller angewiesen. Sonstige Einnahmequellen reduzieren sich auf das Geringste, was die mittel- und langfristige Zukunft des Vereins infrage stellt.

Vier Vereine im Exil

Übrigens ist Sorja nur einer von vier Vereinen aus dem umkämpften Donbass, die in der höchsten ukrainischen Liga mitspielen. Wie Sorja trainiert und spielt auch Schachtar Donezk im Exil: genauer gesagt in Charkiw, 300 Kilometer von der Heimat entfernt. Olimpik Donezk ist mittlerweile meist in der Hauptstadt Kiew stationiert, während FK Mariupol zu Hause in Mariupol, 20 Kilometer von der Frontlinie des Krieges entfernt, spielt. Damit stellt der Donbass ein Viertel der Teams in der Premjer-Liga - trotz aller Probleme und Umstände.

Über dieses Thema berichtet der MDR bei "SPORT IM OSTEN" im: TV | 23.08.2018 | 20:15 Uhr