Automobilbau unter sowjetischer Lizenz

Autoproduktion
Autoproduktion in der FSO in Warschau Bildrechte: Narodowe Archiwum Cyfrowe

Die Industrialisierung der Stalin-Ära beruhte in Polen nahezu ausschließlich auf sowjetischem Knowhow. Ein Paradebeispiel dafür ist die Automobilfabrik FSO, die im Warschauer Stadtteil Zeran Anfang der fünfziger Jahre aus dem Boden gestampft wurde. Eigentlich wollte man dort Autos unter Fiat-Lizenz bauen. Die Verhandlungen dazu liefen bereits ab 1947, Polen wollte mit Kohle bezahlen, die in Italien dringend benötigt wurde. Doch Stalin legte ein Veto ein. Die sozialistischen Länder sollten nach seiner Vorstellung unabhängig vom Westen sein und einen eigenen einheitlichen Fuhrpark besitzen.

Der Wille des Diktators war heilig, und so rollten in Warschau am Ende nicht Fiats, sondern exakte Klone des sowjetischen Pobeda vom Band. Die Lizenz selbst bekam Polen von Stalin „geschenkt“, allerdings musste das Land enorme Summen für die technische Dokumentation und Maschinen berappen. Die kommunistische Propaganda verschwieg das geflissentlich und sang stattdessen Lobeshymnen auf die polnisch-sowjetische Freundschaft. „Die sowjetischen Ingenieure verheimlichen nichts und teilen ihr Wissen brüderlich mit den Genossen von Warschau“, tönte die Wochenschau.

Autoproduktion
Der "Mercedes" des frühen Sozialismus: der Warszawa Bildrechte: Narodowe Archiwum Cyfrowe

Offiziell lief der erste Warszawa, denn so hieß das neue-alte Auto in Polen, am 6. November 1951, dem Jahrestag der Oktoberrevolution, vom Band. In Wahrheit war an dem Wagen nur der Name und das silbern glänzende Firmenlogo FSO polnisch. Weil sich der Bau der Fabrik in die Länge zog, war das Exemplar mit der Werksnummer 1 in der Sowjetunion montiert und vor der Eröffnungsfeier nach Polen geschickt worden. Und auch als die Produktion endlich in Gang kam, blieben die Stückzahlen weit hinter den Erwartungen zurück. Bis Ende 1951 verließen nur 75 Exemplare das Werksgelände, und auch später wurde der Plan nie erfüllt.

Ein Auto für jedermann wurde der Warszawa nie, dafür war die Produktion zu klein und der Kaufpreis zu hoch. Der Wagen war eher ein "Mercedes" des frühen Sozialismus und wurde gerne von Parteifunktionären, aber auch als Taxi, Streifen- und Rettungswagen genutzt. Stilistisch entsprach er den damaligen Trends, die Technik war aber schon bei der Premiere nicht ganz zeitgemäß. Der altmodische, 50 PS starke SV-Motor erreichte maximal 105 km/h und war mit einem Verbrauch von 13 Litern Sprit auf 100 Kilometer selbst für damalige Verhältnisse ausgesprochen durstig. Insgesamt wurde bis 1973 mehr als eine Viertelmillion Exemplare von dem Auto gebaut.

Eine sozialistische Musterstadt

Die erzwungene Industrialisierung der Stalin-Zeit veränderte nicht nur Polens Wirtschaft, sondern auch Polens Gesellschaft, denn für viele Menschen war sie mit einem deutlichen sozialen Aufstieg verbunden.

Ansichten vom Kulturpalast
Warschau Mitte der 50er Jahre Bildrechte: Narodowe Archiwum Cyfrowe

Hunderttausende wollten nach dem Zweiten Weltkrieg den beengten, ärmlichen Verhältnissen ihrer Dörfer entfliehen. Die Großbaustellen des Sozialismus und die neu entstehenden Fabriken sogen diese Menschen regelrecht auf. Aus Landpomeranzen wurden so Städter, aus ungelernten Landarbeitern qualifizierte Fachkräfte, manchmal sogar Beamte und Manager. Ihre strohgedeckten Hütten konnten sie gegen mehrstöckige Mietshäuser mit solchen Errungenschaften wie Bäder, Warmwasser, Zentralheizung und Stadtgas tauschen. Menschen, deren Eltern nur mit Mühe und Not imstande waren, den eigenen Namen zu schreiben, begannen ins Kino oder gar ins Theater zu gehen.

Einer der markantesten Orte, der Aufsteiger dieser Art anzog, war Nowa Huta bei Krakau – eine auf dem Reißbrett entworfene Stadt vor den Werkstoren eines neu gegründeten Eisenhütten-Kombinats. Den Mittelpunkt bildete ein zentraler Platz, der von repräsentativen vier- und fünfstöckigen Häusern umgeben war. Die Höhe der Bebauung nahm mit zunehmender Entfernung vom Zentrum ab - in den Randgebieten standen einstöckige Vierfamilienhäuser. Das Stadtgebiet gliederte sich in Sektoren und Siedlungen, die mit allen nötigen Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Gaststätten und Läden ausgestattet waren. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern war deutlich besser als im nahe gelegenen Krakau. Nur eines war nicht vorhanden – eine Kirche. Für die gab es in der sozialistischen Musterstadt keinen Platz. Erst 1977, unter dem damaligen Erzbischof von Krakau Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II., wurde dort eine Kirche eingeweiht.

Über den Autor Cezary Bazydlo wurde in Biskupiec (Polen) geboren. Er studierte Germanistik in Gdansk (Danzig) und Konstanz. Seit seinem Volontariat 2008-2009 arbeitet er für den MDR.