Der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann gibt 1976 in der Kölner Sporthalle ein Konzert
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16.November 1976: Ausbürgerung Wolf Biermanns Die Biermann-Affäre

17. Dezember 2021, 14:15 Uhr

Am 16. November 1976 wurde in den Nachrichtensendungen des DDR-Fernsehens die Meldung verlesen, dass der Liedermacher Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert worden sei. Wolf Biermann hatte in Köln gesungen und durfte nun nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. In der DDR protestierten nicht nur Künstler gegen die Ausbürgerung Biermanns.

Biermann, der an der Humboldt-Universität Berlin Ökonomie und Philosophie studiert hatte und sich als Marxist und Kommunist bezeichnete, sang über den Realsozialismus, ohne die Restriktionen der Partei zu fürchten. Im Westen erschienene Schallplatten oder Tonbandmitschnitte machten in Kreisen von kritischen Intellektuellen die Runde. Doch erst die Ausbürgerung selbst machte ihn in der ganzen DDR bekannt.

Schon nach dem 11. Plenum des ZK der SED 1965, dem sogenannten "Kahlschlagplenum", hatte Biermann ein Publikations- und Auftrittsverbot erhalten. 1974 empfahl man ihm die Ausreise, die er jedoch strikt ablehnte. Die halbherzige Liberalisierungspolitik Erich Honeckers konnte die Kritik des Sängers aber nicht länger dulden.

Am 13. November 1976 nahm Biermann die Einladung der IG-Metall Westdeutschlands an und sang zum Auftakt seiner Tournee in der Kölner Sporthalle vor rund 7.000 Zuhörern. Drei Tage später tagte das Politbüro. Auf dem Tagungsprogramm stand auch die "Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Wolf Biermann". Berichterstatter war Erich Honecker. Die Vermutung, dass die Ausbürgerung schon vor der Konzertreise Biermanns beschlossene Sache war, konnte bisher nicht bewiesen werden.

Öffentlicher Protest von bekannten Künstlern

Überraschend für die DDR-Regierung war nicht die Reaktion der westlichen Medien auf die Ausweisung, sondern die Reaktion von einigen Schriftstellern und Künstlern der DDR. Schon einen Tag später, am 17. November, gab der Schriftsteller Stephan Hermlin dem "Neuen Deutschland" in Berlin eine Erklärung von zwölf bekannten Künstlern ab.

Erstunterzeichner waren neben Hermlin Sarah Kirsch, Christa Wolf, Volker Braun, Franz Fühmann, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Gerhard Wolf, Jurek Becker und Erich Arendt. Hermlin teilte gleichzeitig mit, dass auch die französische Presseagentur AFP die Erklärung noch am selben Tag verbreiten werde.

Es war das erste Mal in der Geschichte der DDR, dass sich die Regenten mit einem öffentlichen Protest von bekannten Intellektuellen auseinandersetzen mussten. Der Erklärung schlossen sich im Laufe weniger Tage über 70 weitere Künstler und Intellektuelle an, Flugblätter tauchten auf, es kam zu Verhaftungen. Den Erstunterzeichnern wurde vor allem die Bekanntgabe des Protestes über eine westliche Nachrichtenagentur vorgehalten. Doch hätten sie anders gar nicht öffentlich wirksam werden können, da kein Massenmedium der DDR ihren Brief verbreitet hätte.

Protesten folgt Ausreisewelle

Einige renommierte DDR-Künstler schlossen sich dem Protest jedoch nicht an oder erklärten wie Peter Hacks und Hermann Kant sogar ausdrücklich ihre Zustimmung zu der Ausbürgerung Biermanns. Die SED verfolgte eine geschickte Taktik, um die Protestler mundtot zu machen. Sie setzte eher auf Differenzierung als auf einen harten Gegenschlag. Bekannte Künstler erhielten in den folgenden Monaten die Möglichkeit, die DDR für immer oder zeitweise zu verlassen. Es begann ein regelrechter Exodus von Künstlern, die ihr Land gen Westen verließen.

Gegenüber unbekannten jungen Leuten, die in Briefen oder auf Flugblättern gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert hatten, zeigte die DDR-Führung weit weniger Toleranz. Manche von ihnen – wie Siegmar Faust – mussten ihren Mut mit langen Gefängnisstrafen bezahlen.

Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise | 15. September 2019 | 22:20 Uhr