NVA Der Wehrdienstverweigerer Nico Hübner wird verurteilt

19. Januar 2005, 16:46 Uhr

Nur wenige Fälle totaler Wehrdienstverweigerung wurden in der Öffentlichkeit so bekannt wie der des Berliners Nico Hübner. Hübner, Sohn eines SED-Funktionärs, hatte im Frühjahr 1977 einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik gestellt. Als das Kreiskommando ihn zum Wehrdienst in der NVA einziehen wollte und im März 1978 zur Musterung vorlud, verweigerte er. Seine Begründung: der entmilitarisierte Status Berlins, von den Alliierten 1945 beschlossen und im Viermächte-Berlin-Abkommen 1971 bestätigt, gelte auch für den Ostteil der Stadt. DDR und UdSSR hatten das immer bestritten. Die DDR-Führung hielt unter regelmäßigem Protest der Westmächte Militärparaden ab, die Wehrkreiskommandos rekrutierten in Ost-Berlin Wehrpflichtige.

Die Verhaftung Hübners schlug im Westen hohe Wellen. Er stand schon längere Zeit in Kontakt mit der "Gesellschaft für Menschenrechte", die von der BRD aus DDR-Oppositionelle materiell und ideell unterstützte. Hübner schickte dem Westberliner Büro der Gesellschaft Unterlagen und Dokumente zu, die in den Medien öffentlich gemacht wurden. Nun griff Honecker persönlich ein. Ein detaillierter Prozessvorschlag des MfS ging direkt über den Schreibtisch des Generalsekretärs. Honecker zeichnete die Anklagepunkte ab und bearbeitete dann die dazugehörige Meldung der Nachrichtenagentur ADN.

Am 7. Juli 1978 verurteilte der 1. Strafsenat des Stadtgerichtes Berlin den 23jährigen zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe. Der vom MfS gesteuerte Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Zeugen wurden zu Stillschweigen verpflichtet. Das Gericht verurteilte Hübner nicht nur wegen Wehrpflichtverletzung, sondern erklärte ihn auch der Sammlung von Nachrichten und staatsfeindlicher Hetze für schuldig. Die für die Öffentlichkeit bestimmte ADN-Meldung stempelte Hübner zum "Kriminellen" und rechnete mit der "Gesellschaft für Menschenrechte" ab: die von imperialistischen Geheimdiensten gesteuerte Feindorganisation inszeniere verleumderische Angriffe gegen die DDR, Hübner habe sich bewusst zu deren Werkzeug gemacht.

Die Botschaft war klar: Der "Friedensstaat DDR" duldete keine Wehrdienstverweigerer. Auch der Zeitpunkt der Drohung schien mehr als zufällig zu sein. Im Herbst 1978 wurde der Wehrkundeunterricht an den Schulen obligatorisch, viele junge Männer schlossen sich deshalb den oppositionellen Friedensgruppen an. Nico Hübner wurde nach über einem Jahr Haft in den Westen abgeschoben.