Kein Platz für die Heimkehrer Offizierswohnungen im Tausch für den Abzug

10. September 2009, 11:42 Uhr

Der Fall der Mauer bedeutet für die russische Armee den Rückzug aus dem Gebiet der einstigen DDR. Und so brauchten insgesamt 500.000 Menschen plötzlich Wohnungen in Russland. Wie sollte das organisiert werden?

Man wollte den Russen die Heimkehr erleichtern. So schnell wie möglich. Aber die sowjetische Führung um Gorbatschow und die Rote Armee stellten eine ganz einfache Frage: Wohin mit den mehr als 300.000 Soldaten und 200.000 Zivilisten?

Der Oberkommandierende der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte (WGT) Generaloberst Matwej Burlakow hatte im "Dresdner Gespräch" des MDR 1992 die zwingende Verbindung des Abzugs der russischen Streitkräfte mit der Schaffung angemessener Wohnungen hergestellt: "Ich möchte wirklich noch einmal sagen, dass das wichtigste Problem im Zusammenhang mit dem Abzug auf das Territorium Russlands darin besteht, dort eine große Anzahl von wohnungslosen Fähnrichen und Offizierfamilien unterzubringen." Auffallend: Es ging darum, das Offizierskorps ruhig zu stellen. Die Bundesregierung sagte ein entsprechendes Wohnungsbauprogramm zu. Ganz bewusst gab es keinerlei Absprachen für die normalen Soldaten, die damit bei ihrer Rückkehr in ein aufgelöstes Imperium ins Nichts fielen. Dass sie dann zum Teil lange Zeit bei Schnee, Eis und Regen in Zelten und Scheunen hausen mussten, interessierte weder die Führung der Roten Armee noch die deutsche Seite.

Das Milliardengeschäft für die Bauwirtschaft

Die Herausforderung lautete: An 40 Standorten in Russland, Weißrussland und der Ukraine sollten bis 1994 Offiziersstädte aus dem Boden gestampft werden. Ein echtes Crashprogramm. Dafür stellte die Bundesregierung insgesamt 8,3 Milliarden DM bereit. 36.000 Wohnungen sollten so entstehen, außerdem eine Fabrik für Bauteile mit einer Kapazität von 100.000 Quadratmetern Wohnfläche pro Jahr. Da es sich um Großprojekte handelte, musste Deutschland international ausschreiben. So kamen auch Unternehmen aus der Türkei, aus der Slowakei, Finnland und Südkorea zum Zuge. Aber der Wettbewerb tat gut; er führte zu einer Kostensenkung auf 1.000 DM pro Quadratmeter. Und so konnten mit dem vorhandenen Geld mehr als 8.000 Wohnungen zusätzlich gebaut werden. Projektbetreuer Michael Müller aus dem Bundeswirtschaftsministerium sagte damals dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zufolge selbstkritisch: "Die deutsche Bauwirtschaft hätte wohl nur die Hälfte geschafft." Russische Militärarchitekten planten die Projekte, für die Überwachung gründeten Bonn und Moskau dann gemeinsam das "Consulting Konsortium Wohnungsbau UdSSR" (CWU).

Bauen unter extremen Bedingungen

Gebaut wurde nach örtlichen Normen und bezahlt je nach Baufortschritt. Die Bauüberwachung übernahmen Ingenieure der CWU. Firmen, die schlampten oder in Zeitverzug gerieten, mussten mit Vertragsstrafen bis zur Höhe von 5 Prozent des Auftragswertes rechnen. Aber der Baufortschritt hing nicht nur vom Können der internationalen Baunuternehmen ab. Probleme machte vielerorts der festgefrorene Boden, der nur mit schwersten Maschinen zu bearbeiten war. Beispiel Durnewo bei Kursk, wo bei minus 15 Grad Celsius betoniert werden musste. Anderenorts das genaue Gegenteil - die Bauarbeiter kämpften mit zu weichem Untergrund, wie in Alakurtti in der Region von Murmansk. Hier wurden Fundamentstücke zum Aushärten erhitzt, die daraufhin im Boden versanken. In Wladikawkas, einer Stadt am Rande des Kaukasus, sollte die deutsche Holzmann AG bauen. Was sie aber nicht wusste: Die Russen hatten versäumt, ihr festen Baugrund zuzuweisen. Die Maschinen versanken im sumpfigen Untergrund. Außerdem stellte sich nachträglich heraus, dass es sich um ein erdbebengefährdetes Gebiet handelte. So mussten mehr als 2.000 Betonpfähle zur Sicherung in den Untergrund getrieben werden. Geschätzte Mehrkosten: 200 Millionen DM. Die Arbeiter schufteten überall unter schwersten Bedingungen. Hinzu kamen Widerstände aus dem Apparat der auseinanderfallenden Sowjetunion bzw. der neu entstehenden Republiken: Zum Beispiel in Berjosa und Lida in Weißrussland. Dort hatte das sowjetische Verteidigungsministerium Gelände zum Bauen freigegeben.

Sowjetunion zerfallen - Bauprojekte adé?

Aber als man beginnen wollte, gab es die Sowjetunion nicht mehr. Und so wollte Moskau die Gelder für die Projekte, die im neu entstandenen Weißrussland lagen, nicht freigeben. Minsk beharrte aber auf den alten Zusagen. Nur unter größten Schwierigkeiten gelang es dann doch noch, die Streithähne auf Linie zu bringen und das Bauprojekt zu realisieren. Über die Wohnprojekte hinaus ging es auch darum ein soziales Umfeld zu schaffen durch sogenannte Gesellschaftsbauten: Schulen, Kindergärten, Polikliniken, Verkaufshallen, sogar Hotels.

Das Wohnungsgeschäft - Chance für die ostdeutsche Bauwirtschaft?

Natürlich hätte die Bundesregierung liebend gerne einen Großteil des Wohnungsgeschäftes von ostdeutschen Firmen erledigen lassen, schon alleine um dem erkennbaren wirtschaftlichen Abschwung in den neuen Ländern zu begegnen. Doch das verhinderte EU-Recht, denn die Großaufträge mussten international ausgeschrieben werden. Doch konnte man zumindest erreichen, dass ostdeutsche Firmen als Partner oder Zulieferer berücksichtigt wurden. Denn diese Ostdeutschen hatten einen Riesenvorteil. Sie kannten oft die Arbeits- und Lebensbedingungen inklusive der Sprache in der Sowjetunion viel besser als westdeutsche Baukolonnen. So hatte zum Beispiel die Märkische Bau-Union in Potsdam die Federführung in der Arbeitsgemeinschaft Deutsch-Sowjetischer-Wohnungsbau. Selbst österreichische Unternehmen, die sehr erfolgreich im Bieterverfahren um die Wohnprojekte waren, griffen auf die ostdeutsche Kompetenz zurück, beauftragten Unternehmen wie die Industriebau Magdeburg, mit Projektleitungen. Auf ihren Baustellen arbeiteten die meisten Führungskräfte aus dem Osten Deutschlands.