Porzellanmanufaktur Meissen Dekor im Akkord

19. Januar 2010, 17:51 Uhr

In der Porzellanmanufaktur arbeiten die besten Maler und Gestalter. Doch sie hatten eigentlich die immergleichen Arbeiten nach einem strengen Plan zu erfüllen. Und der Verdienst war dürftig.

Fernsehen

Peter Schlögel 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Was einfach aussieht, ist doch schwere Arbeit. Die 450 Maler in der Manufaktur müssen Stückzahlen "produzieren". Peter Schlögel ist einer von ihnen.

So 16.06.1996 22:00Uhr 02:14 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video-12240.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Hinter einer Sichtblende sitzt eine junge Frau in einem weißen Kittel. Sie hat einen spitzen Pinsel in der Hand, mit dem sie die berühmten blauen Schwerter auf Tassen, Teller, Suppenterrinen und Figuren zeichnet. Das ist ihre Arbeit, tagaus, tagein. Die Berufsbezeichnung der jungen Frau lautet "Schwerterin". 1.200 Schwerter muss sie an jedem ihrer Arbeitstage auf Tassen, Tellern und Suppenterrinen anbringen. Das ist die Norm. Wenn sie die nicht erfüllt, gibt es Lohneinbußen. So war das früher, und so ist das auch heute noch: Zeichnen im Akkord.

Eine andere Art von Fließband

Es heißt: Wer in der "Porzelline" arbeitet, der hat es geschafft, der ist ganz oben angekommen. Denn Meissner Porzellan gilt seit jeher als der sächsische Luxusartikel schlechthin und war in der DDR zudem ein unentbehrlicher Devisenbringer. Nur die besten Maler und Gestalter fanden und finden hier eine Anstellung. Die Ausbildung ist exzellent und langwierig: vier Ausbildungsjahre muss etwa ein Porzellanmaler hinter sich bringen. Und weitere zehn Jahre, so heißt es in der Manufaktur, seien nötig, um perfekt zu sein. Doch für die überwiegende Mehrheit der Gestalter und Maler der Manufaktur bleibt am Ende nur: die ihnen vorgegebenen Dekore und Gestaltungsentwürfe in täglicher mühevoller Arbeit und nach einem bis auf die Minute vorgegebenen Plan umzusetzen.

"Ihr müsst ja eine Menge Geld verdienen!"

Volker Weber ist seit fast dreißig Jahren "Ovalterrinenschubdreher", anders gesagt: Gestalter. Er formt mit einer unendlichen Geduld und so, als hätte er alle Zeit der Welt, Gefäße. Stunde um Stunde, Gefäß auf Gefäß, ganz so wie zu Zeiten August des Starken. Ein Anachronismus angesichts fast menschenleerer Taktstraßen in den modernen Produktionsstätten und der nach Osteuropa und Asien abwandernden Investoren. In der Meissner Porzellanmanufaktur hingegen ist nach wie vor noch alles reinste Handarbeit. Und jedes Teil wird auch hier gefertigt. Ein wahrer Luxus, der natürlich seinen Preis hat. Doch "zwischen den Preisen für das Porzellan und unseren Löhnen ist eine ziemlich große Spanne", konstatiert Weber. "Viele sagen: Ihr müsst ja eine Menge Geld verdienen. Aber dem ist leider nicht so."

600 Mark im Monat bei 100 Prozent Normerfüllung

Üppig war der Verdienst auch früher, zu DDR-Zeiten, nicht gewesen. Damals verdiente Weber 600 Mark im Monat bei 100 Prozent Normerfüllung. Aber das Geld reichte hinten und vorn nicht. Denn er wollte ein Haus bauen. Also schrubbte Weber Überstunden, sieben Jahre lang, von früh um vier bis abends um sechs, bis sein Haus endlich fertig war. Die Manufaktur hatte nichts dagegen, wenn ihre Angestellten zwölf Stunden und mehr arbeiteten: "Wir waren ein großer Exportbetrieb und die Westmark zählte mehr als alles andere, und da hat man uns gewähren lassen."

An der Sichtblende endet der Horizont

Während die Gestalter eher der "Abschaum" sind, wie es Volker Weber empfindet, gelten die Dekor- und Blumenmaler immer schon als die wahren Künstler der Porzellanmanufaktur. Doch auch ihrer Kreativität sind die engsten Grenzen gesetzt. "Wir konnten und können nicht malen, was wir wollen, sondern sind an unsere Muster gebunden", sagt Peter Schlögel, der seit drei Jahrzehnten jeden Tag das gleiche Blumendekor malt. Von Künstlertum könne daher keine Rede sein: "Wir sind bestenfalls Kunsthandwerker." Ein alter Meister gab Schlögel vor vielen Jahren den Satz mit auf den Weg: Der künstlerische Horizont eines Dekormalers habe an seiner Sichtblende zu enden.

"Es scheint so leicht zu sein, acht Stunden Blumen zu malen ..."

Und ins Korsett der Normerfüllung sind auch die Maler an ihren kleinen Arbeitsplatten hinter ihren Sichtblenden fest eingebunden. Das war früher so und ist heute nicht anders. "Das scheint so leicht zu sein, acht Stunden lang Blumen zu malen", sagt Peter Schlögel. "Aber es ist eine harte Arbeit, weil eben die Norm dahinter steht." Für einen Teller mit reichem Blumendekor hat er exakt 86 Minuten Zeit. Dann muss Schlögel damit fertig sein und mit dem nächsten Teller beginnen. "Und da merkt man abends schon, dass man kaputt ist. Da ist dann nichts mehr mit Lesen oder Kino. Nur ein bisschen Fernsehen geht gerade noch so ..."


Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: 30.11.2017 | 19:30 Uhr