Die Volkskammersitzung vom 22. Juli 1990

Um über das sogenannte "Ländereinführungsgesetz" zu beraten, trat die Volkskammer ausnahmsweise an einem Sonntag zusammen. Es gab insgesamt 15 Kreise in der DDR, bei denen die Landeszugehörigkeit umstritten war. Dort sollten die Kreistage nach einer Befragung der Bevölkerung ein Votum abgeben und dem Regionalministerium mitteilen. In einigen Fällen entschieden die Kreistage jedoch anders, als die Bevölkerung bei der Befragung votiert hatte. In der Nacht zum Sonntag, den 22. Juli, wurden die letzten dieser Beschlüsse der Volkskammer übermittelt und konnten so in letzter Minute in den Gesetzentwurf eingearbeitet werden. Das Präsidium der Volkskammer wollte auf jeden Fall einen abschließenden Beschluss herbeiführen, wie Reinhard Höppner (SPD) als amtierender Präsident zu Beginn der Tagung sagte: "Da die Volkskammer heute vor allem wegen dieses Gesetzes zusammengekommen ist, wird die Volkskammer solange zusammen bleiben, bis dieses Gesetz verabschiedet worden ist."

Widerspruch aus dem Plenum gegen Kreistagsbeschlüsse, die gegen die Mehrheit der eigenen Bevölkerung zustande gekommen waren, fand kein Gehör. Lothar Bisky von der PDS monierte am Ende die "dilettantische Art und Weise der Befragung". In letzter Lesung wurde an diesem Tag die Wiedereinrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen per Handzeichen beschlossen. Wie viele Abgeordnete genau dagegen stimmten, wurde nicht ausgezählt.

Dass das Abstimmungsverfahren in den umstrittenen Kreisen unglücklich lief, räumte Jahre später der damalige Staatsminister im Büro des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, in einem Interview ein: "Ich habe das auch de Maizière gegenüber gesagt. Das ist doch Unsinn. Entweder machen wir eine Volksbefragung oder wir lassen die Vertreter durch das Volk wählen und die entscheiden dann. Aber beides zu machen, das ist Unsinn und das hat auch nur viel Frust und Ärger gebracht." (Interviewauszug aus : Die Bildung des Freistaates Sachsen, Michael Richter, Berlin 2007)

Widerstände aus dem Westen

Bei der Bundesregierung und in den alten Bundesländern wurden die Länderneugründungen begrüßt. Denn damit wurde eine föderale Struktur der DDR geschaffen, die den Beitritt zur Bundesrepublik erleichterte. Aber es gab auch Befürchtungen. Hätte die Regierung de Maizière eine weitergehende Neuordnung der Länder versucht, so wäre diese Diskussion kaum auf die DDR zu beschränken gewesen. So merkte die zuständige Abteilung im Bonner Innenministerium bereits am 16. März 1990 an, es sei "kaum erwünscht, dass in einer ersten Phase der Einigung Deutschlands, in der schwierigste rechtliche, soziale und wirtschaftliche Probleme zu bewältigen sind, Neugliederungsfragen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen werden." Das war in den weiteren Gesprächen mit der DDR-Regierung die Bonner Position. Welche Rolle die neuen Länder in einem einheitlichen Deutschland spielen sollten, wurde allerdings ohne ihre Vertreter verhandelt.

Die Entscheidung

Letztlich folgte die Volkskammer den Empfehlungen der Regierung und des eigenen Verfassungsausschusses. So wurde an diesem Sonntag den 22. Juli mit Mehrheit die Einrichtung der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen mit Wirkung vom 14. Oktober 1990 beschlossen. An diesem Tag sollten Landtagswahlen durchgeführt werden. Der Termin wurde auch später nicht angetastet, als die Volkskammer den Beitritt zum Bundesgebiet mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 beschlossen hatte.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR | "Machtpoker um Mitteldeutschland" | 22:10 Uhr

Erster Teil: 22. September 2020
Zweiter Teil: 29. September 2020
Dritter Teil: 06. Oktober 2020