Egon Bahr
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Egon Bahr - Stationen seines Lebens

24. März 2022, 12:54 Uhr

Berühmt wurde er 1963 durch seine Formulierung "Wandel durch Annäherung", mit der später die neue Ostpolitik der SPD eingeläutet wurde. Im Osten wurde das als "Aggression auf Filzlatschen" missverstanden. Doch am Ende war Bahr mit seiner Politik erfolgreich.

Kindheit in Treffurt, Torgau und Berlin

Egon Bahr wurde am 18. März 1922 als Sohn eines Schulmeisters in der thüringischen Kleinstadt Treffurt an der Werra geboren. Hier verlebte er seine ersten sechs Lebensjahre. Dann zog die Familie nach Torgau und schließlich 1938 - Bahr war damals 16 Jahre alt - nach Berlin-Friedenau. Bahr hatte die Absicht, Musik zu studieren, aber wegen seiner jüdischen Großmutter wurde ihm das Studium verwehrt. 1941 zog Egon Bahr in den Krieg.  

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"Natürlich war ich ein kalter Krieger!"

Nach dem Ende des Krieges arbeitete Egon Bahr als Reporter zunächst bei der "Berliner Zeitung". 1950 wechselte er zum RIAS. "Ich hab ihn ja noch gehört im Radio damals, wo er wirklich ein kalter Krieger war", erinnert sich der Ostberliner Autor und Kabarettist Peter Ensikat. Und Bahr bestätigt das ohne Umschweife: "Natürlich war ich ein kalter Krieger!"

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"Tricky Egon"

Mitte der 1950er Jahre hatte Egon Bahr genug von der Unverbindlichkeit des Journalismus. Er wurde Mitglied der SPD und ging für einige Jahre als "Regionalbeauftragter für Westafrika" nach Ghana: dort hatte er eine klimatisierte Villa, Bedienstete, ging auf Safari. Bahr spielte gar mit dem Gedanken, in den diplomatischen Dienst einzutreten. Im Januar 1960 aber fragte ihn der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, ob er das Presseamt bei ihm übernehmen möchte...    

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Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, holte Egon Bahr als Pressesprecher in den innersten Zirkel der Macht.

MDR FIGARO Mi 22.02.2012 13:34Uhr 02:01 min

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Der 13. August 1961

"Ich hab schon damit gerechnet, dass die die Grenzen abriegeln würden", erinnerte sich Willy Brandt später an den 13. August 1961. "Dass das die Form einer so schrecklichen Mauer annehmen würde, das hab ich wirklich nicht geglaubt". Brandt vermutete, dass die Russen den Westalliierten gesagt hatten, wir machen etwas, um uns zu sichern, was eure Interessen aber nicht berührt." Egon Bahr wird Jahrzehnte später erfahren, dass die West-Alliierten nie gegen den Bau der Mauer in Moskau protestiert haben. 

Der ehemalige Bundesminister für besondere Aufgaben und Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Egon Bahr. 3 min
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"Wandel durch Annäherung" oder "Aggression auf Filzlatschen"

Der Bau der Berliner Mauer war im Grunde der Beginn der Entspannungspolitik, sagt Egon Bahr. Denn es musste überlegt werden, wie die Mauer für die Menschen wenigstens einigermaßen durchlässig werden könnte. 1963 präsentierte Egon Bahr seine Überlegungen zur deutschen Frage in der Evangelischen Akademie in Tutzing zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit. Der Titel seines Vortrags hieß: "Wandel durch Annäherung". Peter Ensikat erinnert sich, wie der "Wandel durch Annäherung" im Osten interpretiert wurde - als "Aggression auf Filzlatschen".

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"Mister Njet"

Im Januar 1970 reiste Egon Bahr zu Verhandlungen über ein Gewaltverzichtsabkommen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik nach Moskau. Sein Verhandlungspartner war der wegen seines harten Verhandlungsstils gefürchtete sowjetische Außenminister Andrej Gromyko. "Mister Njet" hieß er bei westlichen Diplomaten. Knapp sechzig Stunden verhandelte Bahr mit Gromyko. Es war die längste Verhandlungsrunde, die ein bundesdeutscher Regierungsvertreter jemals geführt hat. "Von heute aus gesehen erscheint die Entspannungspolitik so logisch", sagt der Ostberliner Autor und Kabarettist Peter Ensikat, "aber es war ungeheuer mutig, mit nichts in den Kreml zu kommen und von dort was zu erwarten …"

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Im Januar 1970 reiste Staatssekretär Egon Bahr in diplomatischer Mission nach Moskau: Sein Ziel - ein Gewaltverzichtsabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion...

MDR FIGARO Mi 22.02.2012 13:34Uhr 07:35 min

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"Verhandeln war seine Leidenschaft"

Nach der Unterzeichnung des "Moskauer Vertrages" 1970 hatte die UdSSR grünes Licht für Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten gegeben. Zunächst sollte ein "Transitabkommen" ausgehandelt werden, anschließend sollten die Grundlagen der Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik vertraglich fixiert werden. Bundeskanzler Willy Brand schickte Egon Bahr nach Ostberlin. Und der spielte sein ganzes diplomatisches Geschick aus.

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15 Monate dauerten die Verhandlungen. Bahr spielte in dieser Zeit sein ganzes diplomatisches Geschick aus.

MDR FIGARO Mi 22.02.2012 13:34Uhr 06:24 min

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Unterzeichnung des Grundlagenvertrages

Am 21. Dezember 1972 unterzeichneten Egon Bahr und Michael Kohl in Ost-Berlin den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Bundeskanzler Willy Brandt mochte nicht nach Ost-Berlin reisen. "Du hast es verdient, deinen Vertrag selbst zu unterschreiben", sagte er zu Egon Bahr. Und der empfand den Vertrag tatsächlich als "sein Kind". 

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Am 21. Dezember 1972 wurde der Grundlagenvertrag unterzeichnet. Bahr sagte:" Bislang hatten wir keine Beziehungen. Jetzt werden wir schlechte haben."

MDR FIGARO Mi 22.02.2012 13:34Uhr 02:14 min

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"Guillaume reiten wir auf einer Backe ab"

Die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt hatte im Winter 1972 ihren Höhepunkt erreicht – die Bundestagswahlen waren gewonnen, der Grundlagenvertrag unter Dach und Fach. Egon Bahr hatte neue Pläne: Er wollte mit dem Osten in Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung treten. Doch die Mitglieder des Kabinetts waren müde. "Wir sollten es erstmal etwas ruhiger angehen lassen", meinte Außenminister Walter Scheel. Als es dann wieder losgehen sollte, wurde der Kanzleramtsspion Günter Guillaume enttarnt, Willy Brandt trat zurück.

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"Jeder wusste, was der andere denkt"

"Das Konzept der Ostpolitik ist von Brandt und Bahr gemeinsam erarbeitet worden", meint der SPD-Politiker Hans-Otto Bräutigam. "Und Bahr hat es umgesetzt." Egon Bahr meint: "Jeder hat nur mit dem andern alle seine Fähigkeiten entwickeln können. Und wenn das nicht zu seltsam klingt: Manchmal frage ich Willy Brandt heute noch. Und kriege meistens auch eine Antwort."

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Dieser Artikel wurde erstmals 2012 veröffentlicht.