Bundesadler am Eingang der ehemaligen BND-Zentrale Pullach
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Geheimmaterial Operation "Giraffe": BND schnüffelt im sowjetischen Müll

28. April 2011, 11:21 Uhr

Als die Sowjetarmee Ostdeutschland verließ, ging der Bundesnachrichtendienst (BND) auf "Beutezug". Mit D-Mark und Westwaren beschaffte er sowjetisches Kriegsgerät und geheime Unterlagen.

Jeden Morgen rückte im Sommer 1991 ein halbes Dutzend hoch bezahlter Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) in die Müllkippen in der Umgebung des Hauptquartiers der sowjetischen Streitkräfte ein. Zielsicher strebten sie auf die Müllberge zu, die die Sowjetarmee dort täglich abkippte. Die wackeren Agenten sackten in ihre schwarzen Mülltüten, was immer ihnen brauchbar schien: Speisepläne der Regimentskantine, Einsatzlisten, Materialrechnungen, alte "Prawdas", aber auch Befehle mit streng geheimer Einstufung. Da die Beamten kein Russisch konnten, war eine sinnvolle Vorauswahl nicht möglich. Wenn sie ihre Tüten vollgepackt hatten, verstauten sie diese in ihrem roten VW-Bus und fuhren den muffig riechenden Plunder nach Berlin-Dahlem, Föhrenweg 19. "Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung" stand an der Tür. Mieter der Villa im herrschaftlichen Dahlem war aber keineswegs ein "Bundesamt", sondern der amerikanische militärische Geheimdienst "Defense Intelligence Agency" (DIA).

Größte Beschaffungsoperation der Geschichte

Es war im Mai 1991, als BND und DIA beschlossen, die "historische Chance des Abzugs der mit modernsten Waffensystemen ausgerüsteten Streitkräfte aus der DDR für gemeinsame Operationen zu nutzen". Die beiden Dienste unterzeichneten ein streng geheimes "Memorandum of Understanding", das präzise die Modalitäten eines groß angelegten Beschaffungsprogramms beschreibt. Ausgeplündert werden sollte die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, die sich gerade anschickte, Deutschland in den nächsten Jahren zu verlassen. In dieser Situation sahen BND und DIA die einmalige Chance, an Unterlagen heranzukommen, die schon immer ihre Neugier erregt hatten. Die Operation erhielt den Decknamen "Giraffe".

Vertrauliche Dokumente gegen Rasierapparat

Bei der Wertstofferfassung erwiesen sich die Sammler des BND als ausgesprochen trickreich und wendig. Da ihnen die Suche nach geheimen Unterlagen auf den Müllkippen auf Dauer wenig ersprießlich schien, gingen sie auf die demoralisierten sowjetischen Soldaten und Offiziere direkt zu: Mal gaben sie sich als Militariahändler aus, mal als Vertreter einer "Export-Importfirma" oder als Immobilienmakler. Manchmal eröffneten sie auch in Kasernennähe einen Autohandel: gebrauchter Lada gegen Unterlagen war der Deal. In der Provinz mussten sie hingegen weniger konspirativ vorgehen. Da stellten sie ihren bis unters Dach mit Toastern, Rasierapparaten, Rührmixern, Kofferradios und elektrischen Wasserkochern vollgepackten VW-Bus einfach vor ein Kasernentor und warteten, bis die Soldaten ihnen alles heraus brachten. Nach dem Gewicht der Akten berechnete sich der Lohn.

"Hervorragende Arbeit, wichtige Erkenntnisse"

Natürlich konnten die Mannen des BND auch große Triumphe feiern. Da Geld keine Rolle spielte bei der Operation "Giraffe", konnten mit der Zeit auch hochrangige sowjetische Offiziere zum Geheimnisverrat animiert werden. Und so wechselten für hohe fünf- oder sechsstellige D-Mark-Beträge Bordcomputer der MIG 29, komplett zerlegte Motoren des Kampfpanzers T 80, Zielerfassungsgeräte der Artillerie, Frühwarnsysteme, Chiffriergeräte und Codebücher den Besitzer. Auf Tiefladern wurden die Trophäen in die streng geheimen Depots des DIA transportiert. "Hervorragende Arbeit, wichtige Erkenntnisse", hieß es anerkennend aus der Pullacher Zentrale des BND.

Falsches Lagebild

Am Ende der etliche Millionen Mark teuren Aktion, die durch zahlreiche Pleiten und Pannen gekennzeichnet war und wenigstens zwei Offizieren der Sowjetarmee durch Indiskretionen in Pullach langjährige Zuchthausstrafen wegen Hochverrats in Russland einbrachten, wusste der BND immerhin: "Das Material hat gezeigt, dass unser Lagebild über die russische Armee in vielen Bereichen überhaupt nicht gestimmt hat." Man wusste 1995, also genauestens darüber Bescheid, was man damals alles nicht gewusst hatte. Aber dieses Wissen nutzte nun auch nicht mehr viel. Denn die "Russen" waren weg.