Siegerehrung von Jens Weissflog (DDR) Matti Nykaenen (FIN) und Pavel Ploc (CSSR), 1984.
Siegerehrung von Jens Weissflog (DDR) Matti Nykaenen (FIN) und Pavel Ploc (CSSR), 1984. Bildrechte: imago/WEREK

Spitzensport und Politik Die Bedeutung des Sports in der DDR

24. November 2021, 17:28 Uhr

Sport spielte in der DDR eine wichtige Rolle. Seine außenpolitische Bedeutung wurde bereits früh erkannt. Bestimmte Sportarten und Spitzensportler wurden besonders gefördert. Welche das waren, lesen Sie hier.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus stellte sich bereits früh die Frage, nachdem aufgrund der Gesetzgebung der Alliierten alle noch existierenden Vereine des NSLR (Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen) aufzulösen waren, welche Strukturen für den Sport geschaffen werden sollten. Die traditionellen Vereine sollte es in der SBZ (bedingt durch die "Anregungen" der SMAD und die Vorstellungen der deutschen Kommunisten) nicht mehr geben. Jegliche selbstbestimmte Organisationsbildung wurde zunächst abgeschafft. Ersetzt wurden die alten Vereine durch von den Kommunen organisierte, vor allem politisch gesteuerte Körperschaften. Wenngleich sich viele noch über Jahre hinweg bemühten, innerhalb des neuen Systems möglichst zahlreiche traditionelle Elemente zu bewahren. So wurden aus ehemaligen Traditionsvereinen Betriebssportgemeinschaften (BSG) oder gar Sportclubs. Allerdings besaßen diese Gemeinschaften kein Vermögen, dieses war Eigentum der jeweiligen Trägerbetriebe.

Außenpolitische Bedeutung des Sports zeitig erkannt

Mit der 1948 durch das Politbüro des ZK der SED beschlossenen Gründung des Deutschen Sportausschusses, dessen Träger die FDJ und der FDGB sein sollten, begann nun die planmäßige und kontrollierte Entwicklung des Sports in der SBZ/DDR. Im Vorstand des Sportausschusses fand sich auch der 21-jährige Manfred Ewald, der bald zum Sekretär ernannt wurde und für den Sport in der DDR eine bedeutende Rolle spielen sollte. Da sich der Staat eine größere Einflussnahme auf den Sport sichern wollte (nicht zuletzt wegen dessen außenpolitischer Bedeutung), sollte 1952 ein zusätzliches staatliches Amt, das Komitee für Körperkultur und Sport geschaffen werden. Dieses wurde von Ewald vorbereitet, der mit dessen Installierung auch zum Staatssekretär für Körperkultur und Sport berufen wurde.

Konzentration auf Spitzensportler und bestimmte Sportarten

Damit übernahm der Staat selbst wesentliche Funktionen des Sportausschusses, der nun in erster Linie nur noch allgemeine Agitation und Propaganda betrieb. Gleichermaßen begann dadurch der systematische Ausbau vor allem des Leistungssports in der DDR sowie eine Konzentration auf die Spitzensportler. Erstmals wurden geförderte Sportarten erwähnt: Leichtathletik, Schwimmen, Gymnastik, Turnen, Fußball, Boxen, Radsport, Handball, Volleyball, Basketball, Ringen, Rudern (in dieser Reihenfolge).

Eigene Sport-Hochschule in Leipzig

Vorhergegangen war dem schon 1950 das erste Jugendgesetz der DDR, welches festschrieb, dass man eine Hochschule für Körperkultur benötige, die dann am 22.10.1950 eingeweiht und durch einen imposanten Neubau (Grundsteinlegung am 17.5.1952 durch Ulbricht) ergänzt wurde. Damit waren auch auf dem Gebiet der Forschung und Lehre die Voraussetzungen geschaffen, die es ermöglichten, die Sportentwicklung planmäßig und wissenschaftlich zu beeinflussen, wobei auch hier der Schwerpunkt auf den Leistungssport gesetzt wurde.

Damit die Sportwissenschaft auch voll und ganz im Dienst des Leistungssports wirken konnte, wurde die DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport) dem Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport und nicht etwa dem damals eigentlich zuständigen Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen zugewiesen. Hierdurch entzog man sie der Fachaufsicht, was nicht zuletzt die Dopingentwicklung zumindest mit ermöglichte.

Bis zur Gründung des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) 1957 war das Komitee für Körperkultur und Sport (von 1952 bis 1960 unter Vorsitz von Manfred Ewald) für alle wesentlichen Fragen des Sports die allein zuständige Behörde. Anschließend wurde es neu strukturiert. Die Aufgaben der regionalen Unterkomitees wurden den neu zu bildenden Sportreferaten bei den Räten der Bezirke und den neuen Bezirks- und Kreisvorständen des DTSB zugewiesen, bevor es auf Verordnung des Ministerrats 1970 in ein Staatssekretariat für Körperkultur und Sport überging. Das übernahm fortan Aufgaben und Funktionen eines Sportministeriums der DDR.

DTSB – Dachorganisation sämtlicher Sportverbände

Neben dieser staatlichen Behörde existierte nach wie vor der Sportausschuss, als dessen Nachfolger am 27./28. April 1957 der DTSB gegründet wurde, der gleichzeitig einige Funktionen des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport übernahm. Der DTSB war nun die Dachorganisation sämtlicher Sportverbände und Vertreter des DDR-Sports.

Klassenkampf wurde in die Sportstätten verlagert

Die Schwerpunktsetzung auf den Leistungssport erfolgte in erster Linie deshalb, weil vor allem Ulbricht und die SED-Führung dessen politische Bedeutung, insbesondere auch die außenpolitische Bedeutung, erkannten: Sport galt spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts als populär und schön, sprach die Menschen an, die sich nach einem Stückchen Freiheit sehnten, diente der Gesundheit, schuf Vorbilder - zumindest nachahmenswerte Eigenschaften für die Jugend - und bot Identifikationsmöglichkeiten an.

Nach außen konnte er für Aufsehen sorgen. Gerade ein zunächst kaum beachteter und anerkannter neuer Staat konnte durch internationale sportliche Spitzenleistungen auch internationale Anerkennung erlangen. Letztlich erfolgte auch durch sportliche Leistungen die Einbindung der DDR in internationale Gremien. Gleichermaßen konnte der "Klassenkampf" während des Kalten Krieges in die Sportstätten verlagert werden

Einmaliges Leistungssport-System wird aufgebaut

Somit wurde ein konsequentes und auf dem Gebiet des Sports bis dahin unbekanntes und wahrscheinlich auch einmalig bleibendes nahezu perfektes System des Leistungssports aufgebaut, was auch durch die zentrale Planwirtschaft, durch die die benötigten Mittel problemloser für den Leistungssport abgezweigt werden konnten, unterstützt wurde.

Sichtung schon im Kindergarten …

Mit Schwung durch die Gasse. Schüler der ersten Klasse der Käte-Duncker-Oberschule in Berlin-Friedrichshain am 1. Februar 1989 beim Sportunterricht in der Halle.
Schüler der ersten Klasse der Käte-Duncker-Oberschule in Berlin-Friedrichshain am 1. Februar 1989 beim Sportunterricht in der Halle Bildrechte: picture-alliance / dpa | ADN Zentralbild

Die systematische Sichtung begann teilweise schon im Kindergarten, spätestens jedoch in der Schule: Auf der Grundlage ausgeklügelter wissenschaftlich belegter Programme, die wie eine Messlatte angelegt wurden, wurden die Kinder als für bestimmte Sportarten besonders geeignet bzw. nicht geeignet eingestuft. Die Geeigneten wurden dann entweder zunächst in Betriebssportgemeinschaften (BSG) oder gleich in Leistungszentren (Trainingszentren – TZ) für die jeweilige Sportart delegiert. Dem konnten sich weder Kinder noch Eltern entziehen. Schließlich lockte die Aussicht, zu den Auserwählten zu gehören, Weltklasseleistungen zu erzielen und damit ins - westliche - Ausland fahren zu dürfen.

… später gezielter Aufbau in Trainingszentren und KJS

Selbst auf der mittleren Ebene des Leistungssports, in den Trainingszentren, winkten Vergünstigungen: bessere medizinische Versorgung, Privilegien in Schule und Arbeitsstelle, gesellschaftliche und soziale Anerkennung (vor allem in kleineren Orten) und damit auch eine Vielzahl an hilfreichen Beziehungen. Der Weg von der Sichtung über die Leistungszentren setzte sich bei entsprechender Eignung in einer der 1952 geschaffenen Kinder- und Jugendsportschulen (KJS), fort.

Hier wurde alles dem Sport untergeordnet, um Spitzensportler heranzubilden. Brachte man die erforderliche Leistung, hatte man schon die nächste Stufe erklommen: Man trainierte und startete für einen Sportclub, über den man dann auch den Sprung in den Nationalkader schaffen konnte. War dieses System auch ausgesprochen durchgeplant, so existierte daneben mitunter dennoch einiger "Wildwuchs": Einige wenige Sportler durchliefen möglicherweise die ersten Stufen, Sichtung bis KJS, waren dann jedoch Mitglied einer BSG oder trainierten sich in einer BSG nach oben. Erreichten diese Sportler nationale oder gar internationale Spitzenleistungen, so war man bestrebt, sie in einen Sportclub zu delegieren. Denn nur dort – so waren die Verantwortlichen der Meinung – konnten kontinuierlich Spitzenleistungen erreicht werden – abgesehen von der intensiveren Betreuung und Kontrolle, die dort möglich war.

Um dies zu erreichen, wurden Sportler aus Betriebssportgemeinschaften, auch wenn sie eigentlich die erforderlichen Leistungen brachten, kaum in den Nationalkader aufgenommen. Gleichzeitig fungierten viele BSG vor allem im Nachwuchsbereich als Zulieferer für die Leistungszentren, wofür sie mitunter von diesen auch Auflagen erhielten.

Förderung später nur noch für ausgewählte Sportarten

Waren die Motive, sich einem derart hohen Leistungsdruck und hohem Trainings- und Wettkampfaufwand zu unterziehen, vor allem in der Anfangszeit noch Ehre und Ruhm, wandelte sich dies trotz zahlreicher verbaler Bekundungen im Laufe der Zeit. Da für den Staat zunehmend nur noch internationale Medaillen, besonders bei Olympischen Spielen, zählten, wurden Sportarten aus der Förderung gestrichen, somit die Mittel auf die erfolgsträchtigen Sportarten konzentriert.Zusätzlich wurden Anreize für die Sportler in Form eines zumeist inoffiziellen Prämiensystems oder in sonstiger materieller (Hilfe beim Hausbau, bei der Beschaffung von Konsumgütern, wie Autos) aber auch ideeller Unterstützung (Beschaffung eines gewünschten Arbeitsplatzes oder Studiums) geschaffen. So erhielt beispielsweise ein Olympiasieger 1988 35.000 Mark, davon einen geringen Teil in Forumschecks.

Ab 1968 eigene DDR-Nationalmannschaft für Olympia

Durch all das bedingt, erreichte die DDR bald Weltniveau im Spitzensport. Die ersten Aufsehen erregenden internationalen Erfolge bei Olympischen Spielen gelangen noch innerhalb einer gemeinsamen deutschen Olympiamannschaft (1956, 1960, 1964), deren Zusammenstellung oftmals große innerdeutsche Probleme bereitete.

Damals verstärkte sich die Konzentration auf die medaillenintensivsten Olympischen Sportarten enorm, selbst einige bis dahin international ausgesprochen erfolgreiche Sportarten, die jedoch kein großes internationales Aufsehen und Interesse erreichten, wie Wasserball, Asphaltkegeln, Radball, Eishockey, Kanuslalom, Hockey, fielen dieser Strategie zum Opfer. Das Ergebnis davon im Zusammenhang mit der wissenschaftlich durchgeführten Trainingsforschung und –entwicklung war, dass die DDR zwischen 1970 und 1980 in einem großen Teil der Olympischen Sportarten das Weltniveau bestimmte. Andererseits wurden Träume und Anstrengungen vieler in den nicht staatsgeförderten Sportarten missachtet.

Suchen nach Mitteln der Leistungssteigerung …

Allerdings hatte dies auch eine Schattenseite: Als in den 70er-Jahren andere Nationen aufholten, vor allem aber die Leistungen kaum mehr durch höhere Trainingsquantität und –qualität zu steigern waren, mussten neue Möglichkeiten der Leistungssteigerung gefunden werden: Ganze Gruppen von Medizinern, Biochemikern, Biomechanikern, Physiologen, Trainingsmethodikern und Physikern beschäftigten sich verstärkt mit der Leistungssteigerung mit (fast) allen Mitteln.

Neben der Entwicklung neuer technischer Möglichkeiten (Strömungskanäle in Leipziger Schwimmhalle, Unterdruckkammer in Kienbaum, Kunststoffmatten für die Skispringer) setzte nun auch der Übergang von allgemeiner Stimulanz (viele Sportler unterschiedlicher Nationalität hingen vor, während oder zwischen Wettkämpfen am Tropf von Glukose- und Elektrolytlösungen) zur gezielten Beeinflussung von Stoffwechsel und Hormonregulation und damit zum zielgerichteten Doping ein, zunächst auf der Grundlage des Wissens um die Proteinsynthese, da ja ein Sportler kaum zehn Schnitzel, ein Kilo Quark täglich essen und zusätzlich drei Liter Milch trinken konnte.

… auch durch Doping

War bis Anfang der 80er-Jahre die Entwicklung primär durch den Trainingsprozess gelenkt, kamen nun Medikamente und deren missbräuchlicher Einsatz hinzu, indem durch diese nicht mehr nur der Leistungsverfall gestoppt oder Belastungen ausgeglichen werden sollten, sondern gezielt an der Leistungserhöhung gearbeitet wurde. Auch dies geschah planmäßig, von Partei und Regierung gewollt und gefördert und vielfach unkontrolliert. Das war selbstverständlich in der Öffentlichkeit ein Tabu, wenngleich man sich beispielsweise über die tiefen Stimmen der Schwimmerinnen durchaus wunderte. Hinzu kam, dass DDR-Sportler bei den einsetzenden Dopingkontrollen aufgrund von Voranalysen im Zentralinstitut für Sportmedizin in Kreischa vor jedem Auslandswettkampf in der Regel nicht auffielen, bis auf eine Ausnahme, als nämlich die Kugelstoßerin Ilona Slupianek 1977 in Helsinki positiv getestet wurde.

Somit konnte im Zusammenhang mit allen anderen Maßnahmen, vor allem durch intensives, wissenschaftlich begleitetes Training, gerade das Doping in den 80er Jahren dazu beitragen, dass der DDR-Sport Weltniveau behielt. Insgesamt war das Sportverständnis des DDR-Staates fixiert auf Sportartenkonzepte und Wettkampfprinzipien, wodurch sich die Bedingungen für den Breitensport immer weiter verschlechterten.