DDR in freier Wildbahn Heinz Meynhardt - Verhaltensforscher und Tierfilmer

12. November 2021, 15:32 Uhr

Heinz Meynhardt nannte man in der DDR nur "Schweine-Meynhardt". Und das war durchaus respektvoll gemeint. Denn der Autodidakt Meynhardt beschäftigte sich viele Jahre lang intensiv mit dem Verhalten von Wildschweinen. Er schrieb Bücher und produzierte etliche Filme, die nicht nur im DDR-Fernsehen höchst erfolgreich liefen, sondern auch in der Bundesrepublik. Bis heute werden seine Beobachtungen für die Forschung genutzt.

Alles begann mit einer simplen Beobachtung. Heinz Meynhardt wollte eigentlich nur seinen Kartoffelacker schützen und streute deswegen Mais aus. Alsbald bemerkte er, dass die Tiere regelrecht auf seine Fütterungen warteten. Ein Jahr lang fuhr Meynhardt täglich in den Wald, um sie anzulocken. Und er filmte alles mit einer Schmalfilmkamera.

Es war am 20. März 1974. Wir sind am Futterplatz. Auf einmal passiert es. Urplötzlich kommen ein paar Frischlinge aus der Deckung. Ich bin richtig sprachlos. Scheu sind sie überhaupt nicht. Eine ältere Bache lugt misstrauisch zu uns hin. Das ist sicher ein Muttertier. Da putzt eine Bache ihren Frischling lange und gründlich. Reinlichkeit scheint bei Schweinen ganz vorne an zu stehen. Viel später werde ich davon noch eine Menge Interessantes zu sehen bekommen...

Elektromeister im Hauptberuf

Im Hauptberuf war der 1935 in Burg bei Magdeburg geborene Heinz Meynhardt Elektroinstallateur und führte einen kleinen Elektrobetrieb in seiner Heimatstadt. Für Tiere aber hatte er immer schon ein Faible: er züchtete Sittiche, Papageien und Bullterrier. Die Annäherung an die Wildschweine war allerdings noch eine andere Herausforderung. Er musste eine Wildschwein-Rotte ausfindig machen und darauf hoffen, dass die Rotte ihn akzeptiert. Ein durchaus schwieriges Unterfangen, wie der Tierarzt Ulrich Weber, ein Freund Meynhardts, erzählt:

Die Wildschweine waren seit Hunderten von Jahren Feinde der Menschen. Und wir konnten uns nicht vorstellen, dass da ein Kontakt zustande kommen könnte. Aber Heinz Meynhardt war so hoffnungsfroh und hat uns letzten Endes überzeugt, dass es Sinn hätte, zumindestens einen Versuch zu starten.

Ulrich Weber Tierarzt und Freund Meynhardts

Meynhardt füttert Schweine
Er fütterte die Schweine mit Mais, worauf die Tiere bald schon auf ihn warteten. Es gelang ihm als Teil der Rotte akzeptiert zu werden. Bildrechte: DRA

Die Wildschweinrotte akzeptiert Meynhardt

Und Meynhardt hatte Erfolg. Die Rotte nahm ihn tatsächlich an. "Nach und nach lassen sich alle von mir putzen. Nicht nur die Mutigen. Und Wochen später tausche ich die Rollen, um endgültig sicher zu sein, dass die Tiere mich als ihresgleichen ansehen. Das Unglaubliche geschieht. Die Bache putzt mich", jubelt er in einem seiner Filme über die bahnbrechende Begegnung mit den Wildschweinen. Nach und nach lernte Meynhardt das Verhalten der Tiere zu deuten. Und verstand schließlich immer mehr vom Leben der Wildschweine.

Von nun an lerne ich ihr natürliches Verhalten in freier Wildbahn überall kennen. Und da werden mir Dinge klar, über die ich mir lange vergeblich den Kopf zerbrochen habe. Nie habe ich zum Beispiel beobachtet, dass die Tiere am Futterplatz ihr Geschäft verrichten. Jetzt, da ich mit ihnen kreuz und quer durchs Revier ziehe, stelle ich fest, sie haben im Wald an ganz bestimmten Stellen  regelrechte Toiletten.

Heinz Meynhardt Tierfilmer und Verhaltensforscher

"Wildschwein ehrenhalber"

Ab 1977 liefen Meynhardts Film-Aufnahmen von seinen Wildschweinen unter dem Titel "Wildschwein ehrenhalber" im DDR-Fernsehen. Der Zuschauerzuspruch war riesig - der Elektromeister aus Burg wurde zum Fernsehstar. Meynhardts Filme wurden auch im Westfernsehen gezeigt und dort von Heinz Sielmann präsentiert. Heinz Meynhardt reiste auch ins Ausland. Zunächst zu den Wildschweinen ins Donaudelta, dann zu deren Verwandten nach Afrika. Der Tierfilmer Hans-Jürgen Ruszyk: "Er konnte ins Ausland fahren er war in Westdeutschland, er war in Frankreich und in der Schweiz. Und hat Devisen gebracht. Er wurde überhaupt nicht kontrolliert an der Grenze." Meynhardts Tierfilme brachten ein wenig Exotik in die DDR-Wohnzimmer. Das waren Straßenfeger, erinnert sich Hans-Jürgen Ruszyk, "als wenn Bayern München im Europapokal spielt". Meynhardt verfasste aber auch etliche Bücher über seine Erlebnisse mit seinen Wildschweinen, sowohl wissenschaftliche Werke als auch Sach- und Kinderbücher.

Promotion ohne Studium

Heinz Meynhardts Forschungsergebnisse wurden von vielen Verhaltensforschern mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Mit der Akademie der Wissenschaften der DDR korrespondierte der Autodidakt. 1987 wurde Meynhardt an der Karl-Marx-Universität Leipzig, ohne ein entsprechendes Studium absolviert zu haben, sogar zum Doktor der Agrarwissenschaften promoviert. Seine Dissertation trägt den Titel: "Verhaltensbiologische Untersuchungen an europäischen Wildschweinen sowie verwilderten Hausschweinen und Schlußfolgerungen für die praktische Schweineproduktion."

Der Tierfilmer Heinz Meynhardt starb am 27. Oktober 1989. Seine Heimatstadt Burg widmete ihm 2009 einen Platz und ein Denkmal. Es zeigt "Schweine-Meynhardt" als Anführer einer Wildschweinrotte.

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