Weißenfels - Zentrum der Schuhindustrie der DDR

11. August 2017, 16:18 Uhr

Weißenfels war einst das Zentrum der Schuhproduktion in der DDR. Fast 5.000 Weißenfelser waren in den diversen Fabriken beschäftigt. Der tägliche Produktionausstoß: 30.000 Paar Schuhe. 1992 war es damit vorbei. An die Tradition des Weißenfelser Schuhhandwerks erinnert seither nur noch das Schuhmuseum in der Stadt.

Noch bis ins Jahr 2000 hinein stand auf einer der Weißenfelser Saalebrücken ein Verkehrsschild, dass in die Vergangenheit wies. "Banner des Friedens" stand neben einem geradeaus zeigenden Pfeil auf dem Schild. Wenn man dem Pfeil folgte, in die Markwerbener Straße hinüber, gab es da aber keinen "Banner des Friedens", sondern nur Grünflächen, Industriebrachen und ein paar Billigmärkte. "Die Markwerbener Straße ist den Weißenfelsern noch in guter Erinnerung. Hier war der 'VEB Banner des Friedens', der Stammbetrieb des VEB Kombinat Schuhe der DDR, angesiedelt'", erzählt Wolfgang Leinhos, einstmals Abteilungsleiter im "Banner". "Weißenfels ließ sich damals mit der Stadt Pirmasens vergleichen, wo das Zentrum der Schuhindustrie in der Bundesrepublik war. So war das hier in Weißenfels bis 1992 gewesen. Mehr als 5.000 Weißenfelser waren mit der Produktion von Schuhen im 'Banner des Friedens' beschäftigt."

Schuhhandwerk mit langer Tradition

Die Geschichte des Schuhhandwerks in Weißenfels begann bereits im 12. Jahrhundert. Die kleine Siedlung besaß eine Brücke über die Saale, hier verlief die von Halle kommende, über Zeitz und Altenburg nach Böhmen führende Osterländische Salzstraße. Weißenfels entwickelte sich zu einem Markt- und Handelsflecken, wobei die Schuhmacher durchaus das handwerkliche Treiben bestimmten. Einige Jahrhunderte später kam es zu einer ersten Blüte des Schuhhandwerks, weil die sächsischen Höfe Luxus-Schuhe in großen Mengen orderten. Im 19. Jahrhundert zählte man in Weißenfels bereits 190 Schuhmachermeister.

Industrielle Schuhfertigung

In den Gründerjahren begann man mit der industriellen Schuhfertigung und viele Handwerker wurden zu Lohnarbeitern. Über das Stadtgebiet verteilten sich etwa 100 Fabriken und Manufakturen, in denen immerhin gut ein Drittel der Weißenfelser Bevölkerung beschäftigt war. Hauptabnehmer der Schuhe war das preußische Militär.

Den 2. Weltkrieg überstand Weißenfels weitestgehend unbeschadet. Nach dem Einmarsch amerikanischer Verbände wurde die Produktion in den Schuhfabriken wieder angefahren. Am 1. Juli 1945 zogen die Amerikaner ab und sowjetische Truppen übernahmen die Stadt. Kurze Zeit später begann die Demontage der Produktionsstätten. "Die Russen haben sämtliche Maschinen abtransportiert und manchmal sogar die Mauersteine abgerissen und mitgenommen", erinnert sich Wolfgang Leinhos. "Das ging alles in die UdSSR. Reparation."

Zentrum der Schuhproduktion der DDR

Erst Ende der 1940er-Jahre begann man mit der Instandsetzung der historischen Produktionsstätten. 1950 wurde Weißenfels per Ministerratsbeschluss zum Zentrum der DDR-Schuhproduktion bestimmt. Über das Gebiet der Stadt verteilten sich jetzt wieder ein halbes Dutzend Schuhbetriebe. In der Markwerbener Straße wurde 1951 der Stammbetrieb des VEB Kombinat Schuhe, der "VEB Banner des Friedens", der insgesamt 35 Niederlassungen in der gesamten DDR dirigierte, angesiedelt. Über die Jahrzehnte wuchs die Zahl der Beschäftigten auf über 5.000 an. "Man hatte das grundsätzlich so organisiert: Fließbandproduktion und Mehrschichtsystem", weiß Wolfgang Leinhos. "Wobei die Geschwindigkeit der Produktion durch die Geschwindigkeit des Bandes bestimmt wurde. Das war eine sehr monotone und körperlich anstrengende Arbeit."

Kümmerliche Entlohnung für schwere Arbeit

An den Fließbändern waren ganz überwiegend Frauen eingesetzt. Sie arbeiteten im Zwei-Schicht-System, eine Woche Früh-, eine Woche Nachtschicht. Sie waren gezwungen, die ganze Schicht über am Band zu stehen. Ihre Entlohnung war kümmerlich, denn die Schuhproduktion gehörte zur sogennanten "Leichtindustrie", einem Bereich der Wirtschaft, den die Planungsstrategen des Berliner Wirtschaftsministeriums im Gegensatz zur "Schwerindustrie" geringschätzten. Wenn die Produktion dem vorgegebenen Plan hinterherhinkte, wurde die Laufgeschwindigkeit der Bänder auf Geheiß des Generaldirektors einfach erhöht. Die Frauen fühlten sich dann wie Roboter. Der tägliche Produktionsausstoß: 30.000 Paar Schuhe.

12 Mark für ein Paar Kinderschuhe

In den Weißenfelser Betrieben wurden vor allem Kinder- und Sportschuhe hergestellt. Um auch nur halbwegs rentabel produzieren zu können, mussten sogenannte Halbfabrikate (bereits vorgefertigte Oberteile oder Sohlen) aus Polen, Rumänien oder sogar Indien importiert werden. Denn Kinderschuhe waren staatlich subventioniert und durften einen streng vorgegebenen Preis nicht überschreiten. "Ein kleiner Kinderschuh, Größe 12, aus reinem Leder mit ordentlicher Sohle, kostete um die 12 Mark", sagt Wolfgang Leinhos. "Für solch einen Preis konnte man auch in der DDR keinen Schuh produzieren." Hinzu kam, dass die Weißenfelser Betriebe auch viel für den Export produzierten, für "Salamander" in der Bundesrepublik etwa. Die Schuhe wurden weit unter Preis verkauft.

1992 war Schluss mit der Schuhproduktion

Mit dem Ende der DDR ging der Absatz von Schuhen aus den Betrieben "VEB Banner des Friedens", "VEB Rakete" oder "VEB Kristiania" rapide zurück. Die Produktion musste zurückgefahren, die Belegschaft halbiert werden. Doch auch die Sanierung auf Kosten der Produktionsarbeiterinnen konnte den Konkurs nicht verhindern - ein Betrieb nach dem anderen musste schließen. Am Ende auch der "VEB Banner des Friedens". 1992 verließ das letzte Paar Schuhe die Fließbänder. Ein Jahr später begannen ABM-Kolonnen mit dem Abriss der Betriebe. Mittlerweile ist auch das Verkehrsschild auf der Saalebrücke, dass noch den Weg zum "Banner des Friedens" wies, verschwunden. Einzig das Schuhmuseum im Schloss Neuaugustusburg erinnert noch an die lange Tradition des Schuhhandwerks in Weißenfels, auch wenn sich mittlerweile der eine und andere Schuhmacher wieder in der Stadt angesiedelt hat.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Umschau" 07.10.2014 | 20.15 Uhr