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Zwei Rabbiner feiern das Pessach-Fest, Mittelalterliche Buchillustration Bildrechte: IMAGO / Leemage

Ein historischer ÜberblickGebraucht und verfolgt - Juden im Mittelaltervon Dr. Daniel Niemetz

Seit der Spätantike leben im späteren Deutschland Juden. Trotz religiöser Vorbehalte sind sie bei den Mächtigen ihrer Zeit geschätzt. Doch dann kommen die Kreuzzüge und die Pest - und eine Geschichte der Verfolgungen und Leiden nimmt ihren Anfang.

von Dr. Daniel Niemetz

Jüdisches Leben gibt es in Europa nicht erst seit dem Mittelalter. Bereits im 1. Jahrhundert existieren in der römischen Provinz Hispania jüdische Kolonien. Am Ausgang der Antike leben Juden außer auf der Iberischen Halbinsel auch in Italien, auf dem Balkan, in Gallien sowie in der römischen Provinz Germania inferior. Erste jüdische Gemeinden sind hier in Köln, Trier, Mainz, Worms und Speyer nachgewiesen. Freie Juden besitzen das römische Bürgerrecht und ihr Glaube ist als eine "religio licita" (erlaubte Religion) anerkannt.

Allein unter Christen

Der Westgoten-König Reccared konvertiert 586 in Toledo vom Arianismus zum Katholizismus. Bis dahin leben Juden in Spanien relativ unbehelligt. Erst dann gehen die Repressionen los. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Das bleibt die jüdische Religion grundsätzlich auch als das Römische Reich ab dem 4. Jahrhundert christlich wird. Allerdings gelten Juden fortan als "Heiden" oder "Ungläubige" und gegenüber Christen nicht mehr als gleichberechtigt. Während die Kaiser des Oströmischen Reiches im 5. und 6. Jahrhundert zunehmend restriktive Erlasse herausbringen, die die Unterordnung der Juden unter die christliche Mehrheitsbevölkerung klar definieren und ihnen etwa den Bau von Synagogen verbieten, genießen Juden nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches gegen Ende des 5. Jahrhunderts in den dort entstehenden Germanen-Reichen zunächst relative Toleranz.

Geschätzte Händler im Frankenreich

Jüdisches Ehepaar begeht das Pessach-Fest, Mittelalterliche Miniatur Bildrechte: imago/Leemage

Im Frankenreich der Karolinger erhalten Juden im 8. und 9. Jahrhundert königlichen Schutz. Sie werden als Ärzte geachtet, vor allem aber als Händler zwischen den Kontinenten benötigt. Im Mittelmeerhandel zwischen den christlichen Ländern Europas und den muslimischen Ländern Nordafrikas, des Nahen Ostens, aber auch Spaniens nehmen jüdische Seefahrer im 9. Jahrhundert nahezu eine Monopolstellung ein. Die Franken-Herrscher Karl der Große (747–814) und sein Sohn Ludwig der Fromme (778-840) räumen den Juden ihres Reiches besondere Privilegien ein. Viele von ihnen bringen es zu erheblichem Wohlstand, was ihnen wiederum die Missgunst christlicher Zeitgenossen beschert.

Vorwurf des "Gottesmordes"

Aber auch die den Juden in karolingischen Schutzbriefen gewährten Privilegien, die es der Kirche etwa verbieten, die heidnischen Sklaven von Juden zu missionieren, rufen die Gegnerschaft des Klerus hervor. Die Polemik der hohen Geistlichkeit basiert dabei auf der Ansicht, die Juden hätten die Kreuzigung von Jesus Christus zu verantworten und seien deshalb "Gottesmörder" (da Jesus nach dem Verständnis der Christen Gottes Sohn ist). Sie müssten, so die Auffassung der Kirche, zur Strafe für ihren Unglauben zerstreut unter den andern Völkern leben und ihre einzig mögliche Rettung sei die christliche Bekehrung. Erzbischof Agobard von Lyon (769-840), einer der größten Gegner des Judentums im Frankenreich, setzt die Juden gar mit dem "Antichristen" gleich, was die antijüdische Literatur bis ins 20. Jahrhundert prägen wird.

Eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten

Mindestens genauso verhängnisvoll erweist sich, dass Juden in der seit dem 9. und 10. Jahrhundert entstehenden christlichen Ständegesellschaft in eine Außenseiterrolle gedrängt werden, die ihre soziale Integration verhindert. Als Nichtchristen dürfen sie kein Land erwerben, können sich also nur in Städten niederlassen. Auch hier sind ihre Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt. Ein Handwerk kann nur ausüben, wer Mitglied einer Zunft ist. Diese jedoch sind durchweg christliche Bruderschaften. Juden haben demzufolge keinen Zugang. Was ihnen bleibt, sind von Christen geächtete Berufe wie Trödelhandel, Pfandleihe oder Kreditvergabe. Da es Christen bis ins 15. Jahrhundert nach kirchlichem Recht verboten ist, Geld gegen Zinsen zu verleihen, werden Juden als Bankiers sehr erfolgreich. Was ihnen allerdings häufig auch die Missgunst ihrer christlichen Zeitgenossen einbringt.

Blütezeit im 11. Jahrhundert

Der jüdische Poet Süßkind von Trimberg (1230-1300), Miniatur aus dem Codex Manesse (1300-1330) Bildrechte: IMAGO / Leemage

Dennoch erlebt das Judentum im 11. Jahrhundert auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands eine Blütezeit. Etwa 20.000 Juden leben damals im Heiligen Römischen Reich nördlich der Alpen. Aus Italien und Südfrankreich wandern jüdische Händler in die großen Städte des Rheinlandes und Süddeutschlands ein. Auch mitteldeutsche Städte wie Magdeburg, Erfurt und Merseburg bekommen große jüdische Gemeinden. Ein den Juden von Worms ausgestelltes Privileg Kaiser Heinrichs IV. (1050-1106) aus dem Jahr 1090 beweist, dass Juden damals zu den gesellschaftlich gehobenen Schichten gehören und sogar Waffen tragen dürfen.

Die Katastrophe der Kreuzzüge

Belagerung einer Stadt, angeführt von Gottfried von Bouillon während des 1. Kreuzzuges 1095-1099, zeitgenössische Darstellung Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Die Situation ändert sich abrupt mit dem Ersten Kreuzzug ab 1096. Sowohl das zuerst durchziehende Bauernheer, dem auch zahlreiche Verbrecher angehören, als auch das unter anderem vom späteren König von Jerusalem, Gottfried von Bouillon (1060-1100), angeführte große Kreuzritterheer hinterlassen eine Schneise der Verwüstung und des Todes. Zahlreiche jüdische Gemeinden im Rheinland, aber auch in Magdeburg, Regensburg und Prag werden angegriffen. Dabei geht es den Kreuzfahrern nicht allein darum, die "Feinde Christi" zu töten oder gewaltsam zu taufen, sondern sich auch in den Besitz ihres Vermögens zu bringen, das sie für die Finanzierung ihres Zuges benötigen.

Schrittweise Entmündigung

Kaiser Friedrich II. erklärt die Juden 1236 zu seinen "Kammerknechten". Bildrechte: IMAGO / Horst Rudel

Auch die negativen Folgen der Kreuzzugspogrome für die rechtliche Stellung der Juden im Reich sind nachhaltig: Kaiser Heinrich IV. stellt seine jüdischen Untertanen im Mainzer Reichslandfrieden 1103 zwar unter seinen persönlichen Schutz, spricht ihnen jedoch zugleich das Recht ab, eigene Waffen zu tragen. Der Stauffer-Kaiser Friedrich II. (1194-1250) geht noch einen Schritt weiter. In dem sicher gut gemeinten Bemühen, für einen besseren Schutz der Juden zu sorgen, erklärt er sie 1236 zu "Kammerknechten", also zum "Besitz" des römisch-deutschen Kaisers. Zwar wird ihnen der Schutz von Leben und Eigentum und innerjüdische Autonomie garantiert, doch wird dies mit dem Verlust an persönlichen Freiheiten und Sondersteuern erkauft. Für den Kaiser, die Kur- und andere Reichsfürsten werden Schutzgelder und Sonderabgaben jüdischer Untertanen künftig zunehmend zu Einnahmequellen, die sie weidlich ausnutzen.

Mittelalterliche Beschuldigungen

Mittelalterliche Judensau, ein Schmäh- und Spottbild auf die Juden, an der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg Bildrechte: IMAGO / epd

Dauerhafte Sicherheit vor Verfolgung, Vernichtung und Vertreibung erhalten die Juden im römisch-deutschen Reich dadurch aber nicht. Seit dem 12. Jahrhundert werden Juden immer wieder sogenannter "satanischer" Verbrechen wie ritueller Christenmorde, Hostienfrevel, Blasphemie oder Brunnenvergiftung beschuldigt. Bei den darauf folgenden regionalen Pogromen und Vertreibungen werden deutschlandweit ganze Gemeinden ausgelöscht, so wie etwa 1221 erstmals auch in Erfurt. Auch in Frankreich und England werden Juden in dieser Zeit massiv verfolgt.

Die Pest und die Pogrome

Am schlimmsten aber kommt es, als 1348 die Pest nach Mitteleuropa vordringt. Da man die wahren Verbreiter der Seuche - Läuse in den Pelzen von Ratten - nicht kennt, werden schon bald die Juden zu Sündenböcken erklärt. Sie hätten die Brunnen vergiftet und so den "Schwarzen Tod" verschuldet, heißt es. Zwar versuchen Kaiser, Papst und Reichsstände, ihre Schutzherrenrolle gegenüber den Juden - die ja für sie auch eine wichtige Einnahmequelle sind - auszuüben, doch gelingt ihnen das oft nicht. Zu viele örtliche Aufwiegler haben ein Interesse daran, die Juden umzubringen und sich an ihrem Besitz zu bereichern. Ein Jahr nach den großen Pest-Pogromen von 1349 leben nur noch sehr wenige Juden in Mitteleuropa. Auch die große jüdische Gemeinde von Erfurt wird damals ausgelöscht.

Der Niedergang jüdischen Lebens

Zwar siedelt sich bald wieder jüdisches Leben an, doch ist dem häufig keine lange Dauer beschieden. Die Juden in Deutschland haben zu dem Zeitpunkt bereits viel von ihrer ursprünglichen wirtschaftlichen Bedeutung eingebüßt. Zudem werden sie spätestens ab dem 15. Jahrhundert überall gezwungen, in eigenen abgegrenzten Stadtvierteln, den Ghettos oder Judengassen, zu wohnen und sich durch besondere Kleidung wie etwa dem gehörnten Spitzhut erkenntlich zu geben. Das macht ihre Verfolgung und Vertreibung noch einfacher. Noch im selben Jahrhundert werden Juden aus den meisten Reichsstädten und landesherrlichen Territorien im Osten des Reiches vertrieben. Polen wird zu einem neuen Zentrum jüdischen Lebens in Europa. Ihre deutsch-jüdische Mischsprache - das Jiddische - nehmen sie dorthin mit.