Iris Mayer, "Süddeutsche Zeitung" - Demo Leipzig 3 min
Audio: Der Gastbeitrag von Iris Mayer zum Nachhören Bildrechte: privat/dpa

"Meinung zu Gast" Ein Hauch von '89

02. Februar 2024, 11:16 Uhr

"Meinung zu Gast"-Autorin Iris Mayer schaut auf die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Die Autorin der "Süddeutschen Zeitung" findet: Gut, dass die schweigende Mitte jetzt laut wird. Denn es geht um die Systemfrage – wie 1989 in der DDR.

Es geschehen gerade erstaunliche Dinge in diesem Land. Zu Tausenden und Abertausenden gehen Menschen auf die Straße, um zu demonstrieren. Nicht weil sie wütend sind auf "die da oben", nicht weil sie um den Wegfall eines persönlichen Vorteils fürchten wie billigen Agrardiesel zum Beispiel. Und auch nicht, weil es darum geht, mehr Lohn zu fordern oder bessere Arbeitszeiten, wie es Lokführer oder Busfahrerinnen gerade tun – völlig zu Recht übrigens.

Es gehen gerade Menschen auf die Straße, in Leipzig und Berlin, in Gera und Grimma, in Tangerhütte und Halle, weil es ihnen um etwas viel Wichtigeres, viel Grundsätzlicheres geht: um ihr Land und ihre Demokratie. Um Anstand, Respekt und Menschenwürde.

Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.

Die schweigende Mitte wird laut

Auf einmal wird sie laut, die oft gescholtene schweigende Mitte und macht deutlich, dass sie nicht gewillt ist, dieses Land Rechtsextremisten mit völkischen Fantasien zu überlassen. Sie macht klar, dass in Deutschland Platz bleiben muss für unterschiedliche Ansichten, Hautfarben, Religionen und Einwanderungsgeschichten. Dass Menschen hier gleich viel wert sind, egal wo sie herkommen und wie sie leben möchten – so wie es das Grundgesetz in Artikel 1 festschreibt.

Die vielen Menschen zeigen, dass nicht die angebliche Alternative für Deutschland darüber bestimmt, wer hier dazugehört und wer nicht. Die Demonstranten auf den Straßen, Familien, Freunde, Nachbarn, Kolleginnen – viele von ihnen zum ersten Mal, machen ganz klar, wie sie leben wollen: In einem freien Land mit freien Menschen.

Man könnte dies für eine Selbstverständlichkeit halten, doch das wäre ein Fehler, ein großer sogar. Man könnte auch sofort zweifelnd fragen: Wie lange wird das anhalten, kann diese Bewegung von Dauer sein? Aber das muss sie gar nicht, um zu wirken. Denn das Signal ist schon jetzt nicht mehr zu überhören: Hier verteidigen im besten Sinne besorgte Bürger die Demokratie. Und sie tun es an allen Orten: großen und kleinen, im Norden, Westen, Süden und im Osten.

"Straßen voll mit Verfassungsschützern"

Im Osten Deutschlands ist es besonders wichtig, denn hier hat sich die Parole "Wir sind mehr" oft genug nach Pfeifen im Wald angehört. Weil die Verächter der Demokratie häufig lauter waren und zumindest öffentlich bisweilen den Eindruck erweckten, sie seien auch in der Mehrheit. Das sind sie nicht – und das kann gerade jeder sehen und hören. Gut so.

Sachsens Innenminister Armin Schuster von der CDU sagte dieser Tage, die Straßen seien voller Verfassungsschützer. Da hat er Recht. Die Demonstrierenden sind keineswegs mit allem einverstanden, was in Berlin und Dresden, Erfurt und Magdeburg beschlossen wird. Sie haben unterschiedliche politische Ansichten. Aber sie eint die Überzeugung, dass es gerade um etwas Größeres geht: darum, die freiheitlich-demokratische Grundlage des Zusammenlebens zu verteidigen.

Iris Mayer, "Süddeutsche Zeitung"
Bildrechte: privat

Iris Mayer Iris Mayer ist als Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung" für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständig. In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert sie als Gastautorin Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.

Eine besondere Stimmung – wie 1989

Wer 1989 Teil der friedlichen Revolution in der DDR war, wird sich dieser Tage an vieles von damals erinnern. Diese besondere Stimmung unter den Demonstrierenden, diese Verbundenheit mit Unbekannten für einen höheren Zweck und diesen kreativen Geist. Damals ging es darum, ein System zu stürzen. Heute geht es darum, es zu erhalten.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 04. Februar 2024 | 09:35 Uhr

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