Geheimtreffen in Potsdam Correctiv-Recherche: AfD-Politiker und Rechtsextreme besprechen Vertreibungsplan
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11. Januar 2024, 13:32 Uhr
Ende letzten Jahres haben sich nach Recherchen von "Correctiv" hochrangige Politiker der AfD, Unternehmer und Rechtsextreme im Potsdam getroffen, um die "Remigration", also die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zu besprechen. Politiker der anderen Parteien warnen vor der immer klarer werdenden Verstrickung der AfD mit dem rechtsextremen Spektrum und verurteilen das Treffen.
- Bei einem Treffen im November haben AfD-Politiker, Rechtsextremen und Unternehmer die "Remigration" von Millionen Menschen in Deutschland besprochen.
- Unter den Teilnehmern waren mehrere AfD-Mitglieder wie Roland Hartwig und Ulrich Siegmund, sowie zwei CDU-Mitglieder.
- SPD, CDU, Grüne und Linke warnen vor der Vernetzung der AfD ins rechtsextreme Spektrum.
AfD-Politiker, Rechtsextreme und Unternehmer sollen im November in Potsdam an einem Treffen teilgenommen haben, um die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zu besprechen. Anwesend seien neben hochrangigen AfD-Vertretern auch zwei CDU-Mitglieder gewesen. Bei dem Treffen habe unter anderem Martin Sellner, Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, seine Ideen vorgetragen. Die Teilnehmer sollen über einen "Masterplan" zur Migrationspolitik gesprochen haben, wie das Medienhaus Correctiv am Mittwoch berichtete.
In einem Einladungsbrief für die Zusammenkunft, der Correctiv vorliegt, heißt es, bei der Veranstaltung werde ein "Strategiekonzept im Sinne eines Masterplans" vorgestellt. Für die Teilnahme werde eine "Mindestspende von 5.000 Euro" erhoben. Correctiv berichtete unter Berufung auf Teilnehmer, Thema bei dem Treffen sei ein Vortrag Sellners zur "Remigration" gewesen.
Unter dem Begriff verstehen Fachleute die Rückkehr von Menschen, die geflohen oder eingewandert sind, in ihre Herkunftsländer. Führende AfD-Politiker vertreten diese Forderung seit einiger Zeit auch öffentlich. Der Begriff wird oft nicht klar umrissen. Bisweilen wird er im Zusammenhang mit Menschen ohne Aufenthaltsrecht genannt. Bei dem Potsdamer Treffen soll die Dimension jedoch größer gewesen sein.
Auch eine "Remigration" in großem Umfang wird in der AfD bereits seit Längerem diskutiert. Sellner soll laut Correctiv aufgezählt haben, wer Deutschland verlassen solle: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und "nicht assimilierte Staatsbürger". Er soll "maßgeschneiderte Gesetze" zur Umsetzung des Plans vorgeschlagen haben. Laut Recherche soll er zudem von einem Gebiet in Nordafrika mit Platz für bis zu zwei Millionen Menschen gesprochen haben, wo die Abgeschobenen leben könnten.
Auch Berater von Alice Weidel bei Treffen anwesend
Die anwesenden Gäste, auch jene von der AfD, brachten den Recherchen zufolge bei dem Treffen keine Einwände gegen die Pläne vor. Von AfD-Seite war Roland Hartwig dabei. Er ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter und heute Berater von Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel. Ein Sprecher Weidels bestätigte Hartwigs Teilnahme an dem Treffen. Doch sei Hartwig von einem Auftritt Sellners dort überrascht worden. Der Sprecher teilte auf Anfrage mit: Frau Weidel "hatte aber keinerlei Kenntnis von den Teilnehmern. Auch Hartwig wusste vorab nichts von Sellner".
Ein Sprecher der Partei sagte zudem: "Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern." Hartwig habe dort lediglich auf Einladung ein Social-Media-Projekt vorgestellt, welches er im Aufbau begleite.
Auch Sachsen-Anhalts Co-Vorsitzender der AfD-Fraktion, Ulrich Siegmund, soll bei dem Treffen mit Rechtsextremisten über einen Plan zur sogenannten Remigration von Millionen Menschen aus Deutschland beraten haben. In einer Stellungnahme teilte Siegmund anschließend mit, dass er bei dem Treffen ausschließlich als Privatperson aufgetreten sei und zu keinem Zeitpunkt deutsche Staatsbürger oder Menschen mit gültigem Aufenthaltsstatus ausweisen wollte oder solche Forderungen auf dem Treffen vernommen oder gar unterstützt habe.
Kontakte von AfD-Politikern zu Rechtsextremen Sellner
Der stellvertretende Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause, der ebenfalls bei dem Treffen zeitweise anwesend war, sagte, es sei darum gegangen, "dem Migrationsrecht wieder zu Recht und Geltung zu verhelfen". Krause, der auch Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion ist, sagte, dass er den Vortrag von dem Rechtsextremen Sellner nicht gehört habe. "Die Identitäre Bewegung steht aus gutem Grund auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD", sagte Krause.
Kontakte von AfD-Politikern zu dem Österreicher Sellner sind nicht neu, auch wenn die AfD offiziell auf Distanz zur Identitären Bewegung geht, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird. Der Schweriner AfD-Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kramer hatte sich Ende 2023 für seinen persönlichen Podcast mit Sellner unterhalten und dafür Kritik eingesteckt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD-Bundespartei als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die Partei hat dagegen geklagt. Mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster dazu wird Ende Februar gerechnet. Laut einer Sprecherin des Bundesinnenministeriums werden im Rahmen der Verdachtsfall-Beobachtung auch Treffen mit Akteuren aus dem rechtsextremistischen Spektrum einbezogen.
Heftige Kritik der übrigen Parteien
Politiker mehrerer Parteien äußerten sich besorgt über das Treffen, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie warnte mit Blick auf das Treffen im "Stern": "Niemand sollte diese Gefahr unterschätzen." Man sehe, wie notwendig es sei, "dass der Verfassungsschutz sehr genau beobachtet, welche Kontakte es im rechtsextremistischen Spektrum gibt, wie sich Verfassungsfeinde mit AfD-Vertretern vernetzen und welche menschenverachtenden Ideologien dort propagiert werden."
Die Forderungen nach einer "Umvolkung" seien "ganz klar verfassungswidrig", sagte auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Fall zeige, "worauf wir schon lange verweisen: Die AfD versteckt unter dem Mantel der Bürgerlichkeit tiefe braune Abgründe".
Grünen-Bundestags-Fraktionsvize Konstantin von Notz warf der AfD in der "Stuttgarter Zeitung" "totalitäre Absichten" vor. Mit diesen müssten sich nun die Sicherheitsbehörden scharf auseinandersetzen.
Linke fordern Abgrenzung zur AfD von CDU
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, bezeichnete die Enthüllungen als "schockierend". Sie zeigten, dass "hochrangige Vertreter einer Bundestagspartei gemeinsam mit Neonazis die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland planen", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst.
Linken-Chefin Janine Wissler forderte mit Blick auf die Teilnahme zweier CDU-Mitglieder von der Partei einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Werteunion. "Sonst bleibt alles Gerede von Brandmauern unglaubwürdig", sagte sie AFP.
Die CDU Nordrhein-Westfalen distanzierte sich von Parteimitgliedern, die an dem Geheimtreffen in Potsdam teilgenommen haben sollen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte zu dem Treffen: "Wir beobachten das mit größter Sorge. Die AfD macht sich planvoll auf einen Weg, der eine große Gefahr für unser Land, unsere Freiheit, unseren Wohlstand wäre."
dpa/AFP/ots/epd/MDR/Correctiv (jst)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 10. Januar 2024 | 20:09 Uhr