Unter der Lupe Entwicklungshilfe
Die deutsche Entwicklungshilfe als Aushängeschild der Bundesrepublik bekommt immer mehr Dellen im Lack, kommentiert MDR-Hauptstadtkorrespondent Torben Lehning. Bildrechte: MDR/DPA

Unter der Lupe – die politische Kolumne Deutschlands leiser Rückzug

07. April 2024, 05:00 Uhr

Die deutsche Entwicklungspolitik gilt als eines der Aushängeschilder der Bundesrepublik bei internationalen Partnerländern. Das Aushängeschild bekommt jedoch zunehmend Dellen im Lack und droht zu vergilben. Die Sparvorgaben des Finanzministers für den kommenden Haushalt des Entwicklungsministeriums sind weitreichend. Hilfsorganisationen warnen: Weitere Kürzungen kämen einem Kahlschlag gleich. Ein weiterer Koalitionskrach zeichnet sich ab.

Eine Mail aus dem Finanzministerium sorgt bei Staatssekretär Flasbarth (SPD) für Ratlosigkeit. 9,9 Milliarden Euro soll das Entwicklungsministerium für den Haushalt 2025 zur Verfügung gestellt bekommen. 1,3 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr.

Die Angst vorm Kaputtsparen

Wo gekürzt werden kann, sollen Flasbarth, seine Kollegen und Ministerin Schulze (SPD) bis zum 19. April an das Finanzministerium übermitteln. Eine schlicht unmögliche Aufgabe meint der Staatssekretär. "Der Punkt sei überschritten, an dem es mit Einsparungen ginge." Deutschland, sagt Flasbarth, sei international so stark und anerkannt, gerade weil es immer zu Schwächeren gestanden habe. 

Die deutsche Verlässlichkeit stehe zur Disposition, wenn jetzt langfristig angelegte Entwicklungsprojekte einem Sparzwang weichen müssten. Letzterer ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende letzten Jahres nicht gerade kleiner geworden.

Das Geld scheint knapp, die Probleme sind es nicht. Kurz vor dem Start der Haushaltsverhandlungen 2025 werden die Diskussionen in der Ampel über die deutschen Ausgabeposten hitziger. Zwar wird die Staatskasse voraussichtlich Rekordeinnahmen einfahren, darf jedoch auch mit rekordverdächtigen Ausgabeposten rechnen. Der Krieg vor der Haustür, die gestiegene Inflation und Wachstumsschmerzen im eigenen Land. Wo soll das Geld herkommen, um die Zeitenwende zu finanzieren und der deutschen Wirtschaft auf die Beine zu helfen?

Ringen ums Geld

Von einem erneuten Aushebeln der Schuldenbremse will die FDP nichts hören. Steuererhöhungen stehen weder im Koalitionsvertrag der Regierungskoalition noch im Portfolio der Liberalen. Jetzt sei es Zeit zu sparen, so lautet Lindners Losung. Vornehmlich beim Sozialstaat oder eben bei der Entwicklungshilfe. Ein Blick auf die Statistik zeigt, es wäre die zweite radikale Kürzung innerhalb von zwei Jahren.

Für seine Arbeit hatte das Entwicklungsministerium im vergangenen Jahr insgesamt knapp 12,2 Milliarden Euro zur Verfügung. In diesem Jahr sind es 11,2 Milliarden. 2025 soll es nochmal weniger werden. Aus Sicht des Finanzministeriums sind die 9,9 Milliarden Euro Teil der mittelfristigen Finanzplanung der Koalition und daher gesetzt. Eine Sprecherin des Ministeriums antwortet auf Anfrage von MDR AKTUELL: "Die Höhe der einzelnen Etats wird nach den regierungsinternen Beratungen zur Haushaltsaufstellung mit dem Regierungsentwurf im Sommer vom Kabinett beschlossen. Dem können wir nicht vorgreifen."

Was macht die deutsche Entwicklungshilfe? Die Ausgaben des deutschen Ministeriums für Entwicklung und Internationale Zusammenarbeit orientieren sich an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Die Angleichung von Lebensverhältnissen, das Bekämpfen von Hunger und Flucht und Klimawandel, stehen dabei im Vordergrund. Gelder aus der deutschen Staatskasse fließen dabei nicht nur direkt in eigene Projekte, sondern oftmals auch an so genannte Nicht-Regierungs-Organisationen.

Das Image-Problem der Entwicklungshilfe

Die Ausgabeposten des Entwicklungsministeriums beschneiden zu wollen, passt in die Zeit. Die Entwicklungshilfe in Deutschland hat ein Image-Problem. Gerade angesichts nationaler Haushaltskürzungen, bedienen sich viele Lobbyverbände und Parteien populistischer Argumentationsmuster, meint der Vorstand des Dachverbandes deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO, Michael Herbst.

So wie kürzlich bei den Bauern-Protesten gegen die Kürzungen der Agrardieselsubventionen geschehen. Bauernverbände, AfD, Union und auch Teile der FDP machten ihrem Ärger Luft. Ein Argument, das häufig fiel: Es könne nicht sein, dass die Ampelkoalition mit 315 Millionen Euro peruanische Fahrradwege subventioniere, aber bei der eigenen Landwirtschaft den Rotstift ansetze. Die Fördersummen für das peruanische Bus- und Radverkehrsnetz bestanden jedoch größtenteils aus Krediten, waren bei weitem nicht so hoch, wie von ihren Kritikern behauptet und stammten aus der achtjährigen Amtszeit von Entwicklungsminister Müller (CSU).

Bundesregierung lässt Hilfsorganisationen im Stich

Weil wir uns so gerne ereifern über nationalistische Politik anderer Länder und uns aufregen über Statements von Donald Trump und Viktor Orban, aber wir gehen tendenziell in dieselbe Richtung.

Michael Herbst, Vorstandsvorsitzender Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe

Dass Entwicklungshilfe in Zeiten von Verteilungskämpfen unter Druck gerät, ist nicht weiter verwunderlich. Die Bedeutung von Entwicklungshilfe hervorzuheben, sollte die Bundesregierung hierbei jedoch nicht nur den Hilfsorganisationen selbst überlassen.

VENRO-Vorstand Herbst spricht von einem "scheußlichen Signal", das derzeit von Deutschland ausgehe. "Weil wir uns so gerne ereifern über nationalistische Politik anderer Länder und uns aufregen über Statements von Donald Trump und Viktor Orban, aber wir gehen tendenziell in dieselbe Richtung."

Sollte Deutschland weiter seine Entwicklungshilfe zurückfahren, stünden viele internationale Partner vor dem Aus. Das seien Prozesse, die sich nicht so einfach zurückdrehen ließen, wenn sie einmal in Gang gebracht seien, warnt auch Staatssekretär Flasbarth.

Ein leiser Rückzug?

Der größte Verlierer wäre dabei die Bevölkerung der deutschen Partnerländer. Darüber hinaus würden auch die deutsche Diplomatie und Wirtschaft geschwächt.

Wie könnte sich das bemerkbar machen? Ein Beispiel: Deutschland wirbt massiv für Solidaritätsbekundungen und Hilfslieferungen aus Asien und Süd-Amerika für die Ukraine. Die internationalen Partnerländer beobachten jedoch auch genau, wie viel Deutschland zu geben bereit ist. Die Kürzungen im deutschen Haushalt werden in der Welt nicht unbemerkt bleiben.

So leise wie von manchen Hilfsorganisationen befürchtet, dürfte der Rückzug Deutschlands aus der Entwicklungshilfe dennoch nicht ablaufen. Bereits jetzt formiert sich im Netz zivilgesellschaftlicher Protest. Fest steht auch: Unter den aktuellen Startbedingungen werden die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen der Bundesregierung alles andere als geräuschlos ablaufen.

MDR AKTUELL

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 05. April 2024 | 19:30 Uhr

2 Kommentare

Nudel81 vor 5 Wochen

Wer nichts hat kann nichts geben. So einfach ist das! Und die Anspielung auf die Ukraine ist falsch. Deutschland ist der zweit größte Unterstützer der Ukraine nach den USA. Viel wichtiger ist es Geld in die Bildung in Deutschland zu investieren statt irgendwo im Ausland.

Mi-Ma vor 5 Wochen

Als die Demographie in Deutschland noch gut, voller Arbeitskräfte war, dieses Land auch die Möglichkeit einer realen Überproduktion. Zu dieser Zeit war es selbstverständlich, dass der mehr erwirtschaftete Teil genutzt werden könnte, auch über deutsche Grenzen hinaus. Zeiten ändern sich allerdings. Heutzutage haben wir deutlich weniger Einwohner im arbeitsfähigen Alter, aber dafür mehr hilfsbedürftige Einwohner. Allein. Die Versorgung dieser Menschen und die Aufrechterhaltung, bzw. Rück- u. Umbau der umfangreichen Infrastruktur in diesem Land sind unter Beibehaltung des hohen Lebensstandard nicht mehr leistbar. Andere Länder hingegen haben deutlich mehr Arbeitskräfte, die auf das in der Welt vorhandene Wissen zugreifen müssen. Dafür ist deren Regierung verantwortlich, nicht unsere. Ich finde es richtig, dass die Entwicklungshilfen entsprechend der Leistungsfähigkeit der Geberländer angepasst werden. Es werden ja weiterhin um die 10 Mrd. gezahlt. Das muss man erstmal aufbringen.

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