Baustelle 2 min
Sehen Sie hier den Beitrag zur Schließung der Bäckerei aus der Sendung "Sachsen-Anhalt heute" Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Jerichower Land Baustellenfrust: Einziger Bäcker in Gerwisch schließt

08. Mai 2024, 16:17 Uhr

Seit Anfang April wird an der B1-Ortsdurchfahrt in Gerwisch gebaut. Für den Verkehr ist der Ort im Jerichower Land derzeit gesperrt und nur noch für Anlieger frei. Von dem Durchgangsverkehr leben rund 20 Geschäfte, die sich direkt an der B1 befinden. Ein erster Unternehmer hat sich nun entschieden zu schließen.

Für Ingo Schulz endet jede Nacht spätestens 1:30 Uhr. Dann geht es für ihn in die warme Backstube, in der ein großer Ofen steht. Mitten im Raum befindet sich ein circa vier Meter langer Tisch, an dem der Teig für die Brote durchgeknetet wird: Sauerteig, keine Zusatzstoffe, alles nach alten Rezepten, dazu regionale Zutaten. 300 Brötchen und 120 Brote, dazu bis zu zehn Kuchensorten, hat Bäckermeister Ingo Schulz täglich zubereitet. Doch damit ist nun Schluss. "Mein Lebenstraum ist ausgeträumt. Die Entscheidung haben wir getroffen, als die Bank anrief und nicht helfen wollte. Das ist hart. Das tut weh. Es ging nicht mehr. Die Finanzierung steht nicht mehr."

Bäckerei gekauft: Lebenstraum erfüllt

Es sollte das Lebenswerk von Bäckermeister Ingo Schulz werden. Der gebürtige Dessauer hatte viele Jahre in Brandenburg gelebt und gearbeitet. Vor acht Jahren zog er mit seiner Familie nach Gerwisch. Dort kaufte er sich die Bäckerei samt Wohnhaus, direkt an der B1. Drei Filialen in Burg, Biederitz und Gerwisch gehörten ihm. Er hatte 14 Angestellte. Den verbliebenen hatte der Bäcker zum Baustart in Gerwisch gekündigt.

Bäcker steht vor Regal mit Broten und Brötchen und lächelt
Hatte viel vor: Die Bäckerei in Gerwisch samt Filialen in Burg und Biederitz sollten das Lebenswerk von Ingo Schulz werden. Bildrechte: MDR/Marila Zielke

Mein Lebenstraum ist ausgeträumt. Die Entscheidung haben wir getroffen, als die Bank anrief und nicht helfen wollte. Das ist hart. Das tut weh. Es ging nicht mehr. Die Finanzierung steht nicht mehr.

Bäckermeister Ingo Schulz

Baubeginn sorgt für endgültiges Aus

Seit Anfang April ist die Ortsdurchfahrt Gerwisch gesperrt. Der Verkehr wird weiträumig über Gommern und Möckern umgeleitet. In dem Ort ist es deutlich ruhiger geworden. Statt der bisher rund 60.000 Fahrzeuge, sind nur noch rund 4.000 Fahrzeuge täglich im Ort unterwegs. Laut Landesstraßenbaubehörde Sachsen-Anhalt liegen die Arbeiten im Plan. Bis Ende Oktober soll die Sanierung der Straße abgeschlossen sein. Gebaut wird insgesamt in vier Bauabschnitten.

Bäcker steht neben Tisch mit Backzutaten in Eimern un lächelt. 2 min
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Mi 08.05.2024 17:40Uhr 02:12 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/jerichow/audio-baeckerei-schulz-gerwisch-schliesst-100.html

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Seit Jahren steigende Kosten

In den vergangenen Jahren sind Personal- und Energiekosten stark gestiegen. Dann kam Corona, die Inflation und nun als "I-Tüpfelchen" die Baustelle direkt vor seiner Ladentür. "Ich müsste für ein Brot sieben Euro nehmen und für ein Brötchen einen Euro. Das will ich für meine Kundschaft nicht. Man kann nicht noch weiter sparen, man will ja auch irgendwo noch vernünftig leben", sagt Ingo Schulz. Wegen der Baustelle musste er Umsatzeinbrüche von bis zu 70 Prozent verkraften – zu viel für den kleinen Unternehmer.

Bäcker in Backstube vor Stiege mit Brötchen
Um seine Kosten gewinnbringend zu decken, müsste Bäckermeister Schulz die Preise für Brot und Brötchen deutlich erhöhen. Bildrechte: MDR/Marila Zielke

Ich müsste für ein Brot sieben Euro nehmen und für ein Brötchen einen Euro. Das will ich für meine Kundschaft nicht.

Bäckermeister Ingo Schulz

Mehr Zeit für die Familie

Leben, das will Ingo Schulz künftig ruhiger. Nachdem er am 7. Mai seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, will der sechsfache Vater und 13-fache Opa künftig mehr Zeit für die Familie finden. "Mein kleiner Sohn Sebastian, unser Nachzögling, ist 13 Jahre und er freut sich riesig, mit mir ins Fußballgeschehen abzutauchen oder mal eine Runde Schach zu spielen." Der Bäckermeister bereut es, dass er für seine großen Kinder wegen der Arbeit früher zu wenig Zeit hatte. Das will er nun anders machen.

Wohnhaus samt Bäckerei in Gerwisch werden verkauft. Auch Arbeitsgeräte sind zu großen Teilen bereits an andere Bäckerkollegen verkauft worden.

Außenansicht einer Bäckerei, davor steht ein grüner VW-Bus
Die Bäckerei in Gerwisch ist Geschichte. Bildrechte: MDR/Marila Zielke

Für den Bäckermeister ist der Lebenstraum von einer eigenen Backstube geplatzt, dennoch möchte der 60-Jährige bis zur Rente weiter in seinem Beruf als Bäcker arbeiten. Er zieht nach Bad Blankenburg, nach Thüringen. Dort beginnt der Bäckermeister nach Pfingsten als Angestellter seinen neuen Job in einer Schaubäckerei.

MDR (Marila Zielke, Anne Gehn-Zeller)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. Mai 2024 | 19:00 Uhr

3 Kommentare

Nudel81 vor 1 Wochen

Schade! Aber 300 Brötchen und 120 Brote sind für eine Bäckerei nichts. Da lief vorher schon sehr schlecht und die Bank hat den Schlussstrich gezogen.

FussballfreundMD vor 1 Wochen

Natürlich ist es schade, wenn solche Bäcker schließen. Aber mal ehrlich, der Verbraucher entscheidet am Ende. Großketten im Supermarkt/Disounter oder die Backtheken direkt im Markt sind viel bequemer. Schmecken tut es da auch halbwegs und da verzichten viele auf den Extraweg. Die Menschen finden viele Sachen immer ganz toll, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache (attitudes versus action).

Im konkreten Fall war die Sperrung der B1 wohl nur noch die letzte Kirsche auf der Torte...

Maria A. vor 1 Wochen

Sowas zu lesen, rührt an. Glücklicherweise kommt Optimismus beim Neubeginn durch und man hofft auf eine gute Zukunft für diese Familie.

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