Stadtratssitzung in Nienburg.
Zur Stadtratssitzung in Nienburg sind zahlreiche Besucher gekommen. Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

Kommunalwahl 2024 Diskussionen um Ortschaftsräte: Wie Demokratie auf dem Dorf organisiert wird

17. Dezember 2023, 14:06 Uhr

In Sachsen-Anhalt ist 2024 in vielen Orten Kommunalwahl. Auch im kleinsten Gremium zur Mitbestimmung in den Gemeinden werden neue Mitglieder gewählt: dem Ortschaftsrat. Entscheiden können Ortschafsräte wenig. Und in vielen Kommunen gibt es kaum Finanzen zu verteilen. Die Arbeit der Ortschaftsräte wird aber ganz unterschiedlich wahrgenommen, zeigt ein Blick in den Salzlandkreis.

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Schwarzer Schimmel blüht an der Decke der Trauerhalle im kleinen Friedrichsaue im Salzlandkreis. Ortsbürgermeisterin Cornelia Mantel und Seelands Bürgermeister Robert Käsebier sehen sich den Schaden an. Das hat sich gerade so ergeben, beim Ortstermin.

"Das ist jetzt ein ganz neuer Kenntnisstand", stellt Robert Käsebier fest. Man müsse der Ursache auf den Grund gehen, schauen, ob die Schäden gravierend sind. Wenn der Schaden größer sein sollte und die Trauerhalle zum Sanierungsfall wird, dann würde darüber nicht vor Ort entschieden, sondern im Stadtrat der gesamten Stadt. Einfluss könne der Ortschaftsrat aber schon nehmen, sagt Friedrichsaues Ortsbürgermeisterin Cornelia Mantel.

Friedrichsaues Ortsbürgermeisterin Cornelia Mantel
Der Ortschaftsrat habe ein "indirektes Stimmrecht", sagt Friedrichsaues Ortsbürgermeisterin Cornelia Mantel. Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

Was der Ortschaftsrat bei seinen Sitzungen bespricht

In den Ortschaftsratssitzungen stehen viele Themen auf der Agenda, die auch der Stadtrat behandelt. Und ganz viele praktische Dinge des Alltags: Anfragen zu Schlaglöchern, Baumpflanzungen, Straßenbeleuchtung, Baumaßnahmen — kurz, alles, was auf dem Dorf wichtig ist, ist landauf, landab Sitzungsalltag in den Ortschaftsräten. "Als Stadt hat man ja gar nicht immer so den Einblick, gerade in die kleinsten Ecken", sagt Bürgermeister Robert Käsebier.

Als Stadt hat man ja gar nicht immer so den Einblick, gerade in die kleinsten Ecken.

Robert Käsebier Bürgermeister von Seeland

Die Stadt Seeland besteht aus sechs Ortsteilen. Friedrichsaue ist der Kleinste. "Man hat zwar kein direktes, aber doch ein indirektes Stimmrecht", meint Ortsbürgermeisterin Cornelia Mantel. "Die Stadträte schauen natürlich schon: Wie haben die Ortschaften abgestimmt?" Die Ortschaftsräte könnten zwar im Vergleich wenig entscheiden, hätten je nach Stadt nur kleine Budgets, dennoch würde man sie hören.

Ortschaftsräte sind Ansprechpartner vor Ort

Sie sind eine Schnittstelle, Ansprechpartner für die Verwaltung und vor allem für die Anwohner auf den Dörfern. "Das ist eigentlich der Grundpfeiler der Demokratie", stellt Robert Käsebier fest. Aus den Ortschaften heraus werde die Politik gemacht – "leider wird sie nach oben hin nicht mehr angehört."

Seelands Bürgermeister Robert Käsebier.
"Ortschaftsräte sind der Grundpfeiler der Demokratie", sagt Seelands Bürgermeister Robert Käsebier Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

Den Ortschaftsräten solle mehr Beachtung geschenkt werden. Die Politik solle mehr dort hinhören, wo eigentlich das Leben ist, so der Bürgermeister. Dabei sind die Abläufe in der kleinsten Organisationseinheit der Mitbestimmung vor Ort klar geregelt.

Eine ganze Wahl für einen einzelnen Ortschaftsrat

In Friedrichsaue wird es im Januar sogar eine Nachwahl geben – für einen einzelnen Ortschaftrat im 180-Seelen-Dorf. Weil ein Platz in dem Gremium frei geworden ist, muss die Stadt Seeland fünf Monate vor der nächsten turnusmäßigen Wahl noch eine Nachwahl organisieren.

"Wir brauchen Personal dafür, Wahlhelfer. Die Wahlscheine sind jetzt schon gedruckt. Die ganzen Kosten, die entstehen", moniert Stadtbürgermeister Käsebier. Das hätten sie hier gern anders gelöst. Aber Vorschrift ist Vorschrift.

Kein Ortschaftsrat für Neugattersleben mehr?

Auch im Nienburger Ortsteil Neugattersleben ist die Zukunft des Ortschaftsrates ein Thema – aber ganz anders. Ortsbürgermeister Rolf Heinemann hat vorgeschlagen, den Ortschaftsrat aufzulösen und durch einen einzelnen Ortsvorsteher zu ersetzen. Das würde unter anderem die Kommunikation vereinfachen. Die Verteilung der Gelder sei ungerecht.

Man ist unzufrieden, dass man das, was man umsetzen möchte, nicht umsetzen kann. Einfach, weil die finanziellen Mittel fehlen.

Rolf Heinemann Ortsbürgermeister von Neugattersleben

Rolf Heinemann, Ortsbürgermeister Neugattersleben
Rolf Heinemann, Ortsbürgermeister von Neugattersleben, hat eine Diskussion um die Zukunft des Ortschaftsrates angeregt. Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

"Ganz einfach gesagt: Man verliert die Lust, dort mitzuarbeiten", meint Heinemann, "Man ist unzufrieden, dass man das, was man umsetzen möchte, nicht umsetzen kann. Einfach, weil die finanziellen Mittel fehlen." Der Ortschaftsrat war dem Vorschlag des Ortsbürgermeisters gefolgt. Es gab Diskussionen.

Mitbestimmung ist ein Thema bei den Kommunalwahlen

Mitunter sind die Ortschaftsräte auch nicht beschlussfähig, weil zu wenige Vertreter Sitzungen besuchen. Dann müssen die Sitzungen wiederholt werden. Auch darüber solle diskutiert werden, meint Heinemann. "Es ist schwierig zu vermitteln, was man alles nicht machen kann und was man auf der anderen Seite alles machen muss", sagt er. Und es werde schwieriger.

Viele Themen unterliegen nur einem Anhörungsrecht, also, der Ortschaftsrat darf sich eine Meinung bilden.

Susan Falke Bürgermeisterin von Nienburg

Bürgermeisterin Susan Falke würde sich mehr Mitbestimmungsrechte für die Ortschaftsräte wünschen. "Viele Themen unterliegen nur einem Anhörungsrecht, also, der Ortschaftsrat darf sich eine Meinung bilden. Die wird dann in die Ausschüsse und in den Stadtrat getragen", sagt sie. Das heiße aber nicht, dass der Stadtrat dann auch so entscheiden müsse.

Nienburgs Bürgermeisterin Susan Falke und Rolf Heinemann.
Nienburgs Bürgermeisterin Susan Falke und Rolf Heinemann bei der Stadtratssitzung in Nienburg. Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

Ortschaftsrat in Neugattersleben wünscht sich weniger Bürokratie

Patrick Hölscher ist Ortschaftsrat in Neugattersleben. "Für mich ist der Ortschaftsrat nicht bloß ein Gremium, wo man die Hand hebt", sagt er. Er sehe sich als Ansprechpartner für Probleme, aber auch für Ideen. Dazu komme, dass zu den Aufgaben des Ortschaftsrates auch Brauchtsumspflege, Feste, Veranstaltungen zählten. Er wünscht sich weniger Bürokratie.

Für mich ist der Ortschaftsrat nicht bloß ein Gremium, wo man die Hand hebt.

Patrick Hölscher Ortschaftsrat in Neugattersleben

Stadtratssitzung in Nienburg.
Zur Stadtratssitzung in Nienburg sind zahlreiche Besucher gekommen. Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

Zur Stadtratssitzung nach Nienburg sind auch Anwohner aus Neugattersleben gekommen. Der Stadtrat entscheidet: Der Ortschaftsrat Neugattersleben bleibt. Die Ortschaftsräte können zwar wenig entscheiden, aber sie sind so etwas wie Schnittstellen, Vermittler zwischen Stadtverwaltung und Dorf. Und im nächsten Jahr werden viele von ihnen neu gewählt.

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MDR (Tom Gräbe)

Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT | 16. Dezember 2023 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Burgfalke vor 20 Wochen

Ortschafträte haben lediglich eine "beratende" Funktion, mehr nicht!

Das begreifen die entsprechenden Mitglieder ehe nicht. Sie sind als eine "Scheindemokratie" zu verstehen. An anderer Stelle werden die Entscheidungen getroffen, es sei denn deren Vorschläge decken sich mit div. Mehrheitsentscheidungen oder sie werden halt ignoriert.

Von dem fehlenden Geld ganz zu schweigen, um eventuell gute Vorschläge umzusetzen. Um den eigenen "Schein" zu wahren, werden ehrenamtlich Arbeiten durchgeführt, die Aufgabe der Gemeinde sind.

Je größer die Gemeinden sind, um so unbedeutender sind Ortschaftsräte.

Vor 1990 gab es da eher noch Mittel um auf örtliche Sorgen hinweisen zu können, heute wird das ausgesessen/ ignoriert. Daher auch mein eigener Rückzug aus div. Dingen (auch wenn ich manchmal mich unbemerkt einbringe/ nicht wegsehen kann).

pwsksk vor 20 Wochen

Demokratie auf dem Dorf. Man redet über vieles und ist auf das Geld von woanders angewiesen. Diese Demokratie gab es auch schon vor 40 und 50 Jahren in der DDR. Der Unterschied zu heute besteht worin? Damals wie heute ist kein Geld da.

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