Zwei Busse in einem Busbahnhof.
Der Kreistag in Stendal hatte sich vor zwei Wochen gegen das Deutschlandtickets für Busse in Stendal ausgesprochen. Nun kommt das Ticket doch. Bildrechte: picture alliance/dpa | Cevin Dettlaff

ÖPNV Warum Stendals Fast-Ausstieg aus dem Deutschlandticket ein Alarmsignal ist

von Lars Frohmüller, MDR SACHSEN-ANHALT

21. Dezember 2023, 18:51 Uhr

Vor zwei Wochen hatte sich der Landkreis Stendal teilweise aus dem Deutschlandticket zurückgezogen. Am Mittwochabend gab es in einer Sondersitzung des Kreistages die Rolle rückwärts. Doch der Fall Stendal könnte sich wiederholen.

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Am Mittwoch gegen 18 Uhr stimmte der Kreistag in Stendal nach einer zweiwöchigen Hängepartie doch noch für das Deutschlandticket. Zusicherungen der Landesregierung über fast 500.000 Euro für den Nahverkehr der Kommunen gaben den Ausschlag. Damit kann Stendal die Lücke von über 40.000 Euro für das Deutschlandticket stopfen.

Seit Jahren bekommen die Landkreise zunehmend mehr Aufgaben durch den Bund übertragen. Und seit Jahren sind im Landkreis Stendal die Kassen leer, für 2022 lag der Fehlbetrag bei 62,4 Millionen Euro. Bis 2030 sollen die Schulden abgebaut werden. Jeder Euro an Mehrausgaben ist für den Landkreis ein Kraftakt.

"Das 49-Euro-Ticket war ein Auslöser. Es hätte aber auch irgendetwas anderes sein können, wo wir sagen – wir leisten jetzt kommunalen Ungehorsam, weil wir es nicht mehr können", sagt Annegret Schwarz (CDU), die Vorsitzende des Kreistages in Stendal. In ihrer Wahrnehmung ist das Deutschlandticket auf dem flachen Land weniger nachgefragt, deswegen fiel es ihrer Fraktion auch leichter, sinnbildlich ein Stoppschild vor den Bus zu stellen.

Ein Ticket ohne Bus

Für dieses Argument kommt sogar aus den Befürworterreihen des Deutschlandtickets indirekt Unterstützung. Katrin Kuhnert, die für die Linke im Kreistag sitzt, sagt: "Wir haben einen ÖPNV im Landkreis Stendal, der völlig an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger vorbeifährt. Der ÖPNV ist zu 80 bis 85 Prozent auf den Schülerverkehr ausgerichtet, das heißt: Ist keine Schule, fährt kein Bus." Und damit lohnt sich auch für die Gelegenheitsfahrt kein 49-Euro-Ticket, beispielsweise um eine Fahrt zum Supermarkt oder zum Arzt zu realisieren, so Kuhnert.

Juliane Kleemann von der SPD sieht das ähnlich. Sie sagt, in anderen Bundesländern beweise man einen längeren Atem und unterstütze die regionalen Verkehrsanbieter, um das Angebot zu verbessern. "Diese Landkreise sagen, wir müssen es hinkriegen, dass Leute sehen, dass wir das ernst meinen, dass der Bus in ihrem Dorf drei oder vier Mal am Tag fährt. Und wir halten aus, dass wir ein bisschen Minus in der Kasse haben." Nicht nur das Minus in den Kassen treibt die Kommunen um, es steht auch schlecht um die gesamte Substanz.

Eine Collage aus einem Bild von grünen Fahrzeugen auf einer Straße und einem Bild von einem Bus. 2 min
Bildrechte: MDR

Burnout der Kommune

Sei es die Unterbringung von Geflüchteten, das Onlinezugangsgesetz oder das Deutschlandticket – die Umsetzung findet immer auf kommunaler Ebene statt. Für Landrat Patrick Puhlmann (SPD) wird das zunehmend schwieriger: "Viel gravierender wird jedoch in den nächsten Jahren der Personalmangel. Wir werden auf Dauer nicht mehr alle Aufgaben in der gewohnten Qualität erfüllen können. Überall finden Sie eine hohe Quote an unbesetzten Stellen. Sie bekommen, selbst wenn Sie wollen, die Leute nicht."

Der Bund und das Land müssten die Kommunen zukünftig besser finanziell ausstatten: "Wenn ihr wollt, dass wir etwas tun in den Kommunen, wenn andere bestellen, dann muss das auch mit den entsprechenden finanziellen Mitteln unterlegt sein. Das ist oft nicht so und geht dann zu Lasten von anderen Aufgaben", so Puhlmann.

Das sehen auch die Stadträte so. Katrin Kuhnert von den Linken sieht die Landtagsabgeordneten in der Pflicht: "Wir haben eine Reihe von Landtagsabgeordneten im Kreistag, und da bleibt bei mir ein Fragezeichen, wie man dort im Landtag die Probleme des Landkreises artikuliert, die sich dann in einen vernünftigen Haushalt niederschlagen."

Fahrausweis Deutschlandticket 5 min
Bildrechte: IMAGO / Gottfried Czepluch

Zukunft des Deutschlandtickets weiter in Gefahr

Der Landkreis Stendal hat auf seiner Sitzung am Mittwoch die Weichen für das neue Jahr gestellt, doch die Finanzierung hat erneut ein Ablaufdatum. Bis zum Mai sind die Mittel nun bereitgestellt. Danach wird noch einmal neu verhandelt: "Es verschiebt sich nur die Gesamtproblematik. Das Thema kommt zum 1. Mai wieder auf den Tisch. Bis dahin muss eine Lösung für die Finanzierung her", so die Kreistagsvorsitzende Annegret Schwarz. Ansonsten könnte es zum erneuten Ausstieg von Stendal, aber auch anderer Landkreise aus dem Ticket kommen, da ist sich Schwarz sicher.

Der erste Ausstiegsversuch hatte deutschlandweit Aufsehen erregt. Für Puhlmann, den Landrat aus Stendal, ein Signal an die Entscheider im Bund: "Diese breite Berichterstattung führte dazu, genau diese Botschaft zu setzen: Man kann sich nicht etwas ausdenken, was dann Kommunen, die man nicht ordentlich ausstattet, austragen. Weil man hofft, dass die Mitglieder eines Kreistages sich nicht trauen, dagegen zu stimmen. Das Zeichen haben wir gesetzt, dass wir das so nicht hinnehmen."

MDR (Lars Frohmüller)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 21. Dezember 2023 | 14:00 Uhr

6 Kommentare

pwsksk vor 21 Wochen

Ich gönne den Pendlern (von Zug und Öffentlichen) das 49€ Ticket. Es gibt aber mindestens genauso viele Menschen, die auf das Auto angewiesen sind.
Was nicht geht ist, das die Menschen mit dem Auto der anderen Seite die Vergünstigungen bezahlen. So ist es aber bei grünrot angedacht.
Ich frage mich, wie man in Berlin eigentlich denkt, wenn man sich schon mit den Dienstwagen hin und her chauffieren lässt.

dieja vor 21 Wochen

Die Landkreise klagen über Geld- und Personalmangel, d.h sie können die vom Gesetzgeber vorgegebenen Aufgaben nicht in ausreichender Qualität erfüllen. Ein Weg zur Besserung wäre, wenn den Bürgern mehr Eigenverantwortung zugetraut würde. Der Staat muss sich nicht um alles kümmern und nicht alles regeln. Statt immer mehr Regelungen zu erlassen, deren Umsetzung natürlich Geld kostet und Personal benötigt, sollte geprüft werden welche Regelungen/ Gesetze wirklich erforderlich sind und so das System entschlacken. So ließe sich Personal und Gels einsparen. Ich muss nicht von der Wiege bis zur Bahre vom Staat betreut werden und so geht es vielen Menschen. Früher kamen öffentliche Verwaltungen mit viel weniger Personal aus. Vieles klappte sogar besser. Wie gesagt der Staat sollte sich auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren.

Freies Moria vor 21 Wochen

Das Deutschlandticket muss zum echten Preis (ca. 69 Euro) verkauft werden, anders geht es nicht.
Die Milliarden fehlen sonst woanders.
Und genauso muss das mit allen fehlerhaften Milliardenausgaben passieren.
Wer weiss, vielleicht bekommen wir dann sogar funktionierenden Nahverkehr...

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