"Öhrchen"-Podcast Ideengeberin Marion Waldhauer im Interview
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08. Oktober 2022, 08:00 Uhr
"Augen zu und durch!" heißt der neue Podcast von MDR SACHSEN, der am besten mit Kopfhörern genossen wird. Dort nehmen wir Sie mit auf eine audiovisuelle Reise durch unser schönes Sachsen und gehen unter anderem der Frage nach, ob blinde Menschen eigentlich reisen und wenn ja, wie? Die Idee für den Podcast stammt von Marion Waldhauer. Sie ist es auch, die die einzelnen Folgen maßgeblich gestaltet und umgesetzt hat. Ein Interview mit der Macherin über die Idee und kreative Umsetzung des Projekts.
Eigentlich ist Marion Waldhauer die Frau fürs Fernsehen. 2003 hat sie ihre Ausbildung beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig abgeschlossen und arbeitet seitdem als Videoeditorin in Dresden. Im Schnittraum kommt ihr so ziemlich alles auf den Tisch: angefangen von der Kurznachricht bis hin zu längeren Formaten wie Reportagen und Dokumentationen. In Zusammenarbeit mit Autorinnen und Autoren erzählt sie mit den dazugehörigen Bewegtbildern Geschichten. Mit dem Podcast "Unterwegs mit den Öhrchen - Augen zu und durch!" begibt sie sich nun in ein neues Metier.
Dein Beruf ist so sehr von Bild geprägt - warum wechselst Du jetzt zum Ton?
Marion Waldhauer: Mein Abenteuer "irgendwas mit Medien" begann damals beim Radio. Das Praktikum hatte so viel Spaß gemacht, dass ich mehr lernen wollte. Die Sache mit dem Fernsehen war eher ein Zufall - aber ein sehr, sehr schöner. Es ist toll, noch eine Ebene mehr zum Gestalten zu haben.
Der Ton ist auch in einem Video etwas ganz Wichtiges, allerdings wird er gern unterschätzt. Doch gerade Ton ist der Schlüssel zu unseren Gefühlen. Möchte ich mit dem Werk etwas aussagen und wähle dabei eine Musik, die so gar nicht passt, kommt beim Zuschauer im günstigsten Falle nur Verwirrung an. Man kann sagen, es braucht Fingerspitzengefühl, die richtige Tonkulisse zu wählen, damit Informationen beispielsweise nicht auf einmal zu Satire werden. Wenn ich Auszubildende schule, lege ich immer besonderen Wert darauf, dass sie Ton als eigene Ebene bewusst wahrnehmen und sich vorher immer genau überlegen, was sie aussagen wollen.
Dein aktuelles Projekt ist ein 3D-Podcast. Wie bist Du auf die Idee gekommen?
Vor einer ganzen Weile hatte ich beim Abendessen mit meinem Mann eine Sendung der BBC geschaut, die sich mit binauralem Audio beschäftigt hat. Gleich nach dem Essen haben wir zwei uns das Video noch einmal mit Kopfhörern angeschaut und waren begeistert: Kunstkopfstereophonie ist zwar nichts, was erst vor kurzem erfunden wurde, aber der Einsatz und die neuen Gestaltungsmöglichkeiten haben unsere Gedanken auf eine Reise geschickt. Schnell war der Gedanke da, doch was für Blinde zu machen. Das Was, Wie und für wen genau reifte über die Jahre. Und da die Technik mittlerweile noch transportabler geworden ist, konnte es nicht anders, als endlich losgehen. Wer mag denn schon einen Kunstkopf quer durch eine Stadt tragen?! (lacht)
Warum gibt's das Ganze "nur" als Audio und nicht auch als Film?
Ohne die Bildinformation begegnet man den Inhalten intensiver. Klar, ich hätte auf unserem Öhrchen auch eine Kamera befestigen können. Die Halterung dazu ist da. Aber man schaut dann auf ein nicht gestaltetes Bild und ist vom Ton abgelenkt. Das räumliche Klangerlebnis würde einfach verpuffen. Außerdem taucht man so besser in die Welt ein, die uns von Protagonist Daniel Martin eröffnet wird.
Immer wieder begegnet uns das Wort "Öhrchen" im Zusammenhang mit dem Podcast. Was steckt dahinter?
Das ist unser Mikrofon. Eigentlich sind es ja sogar zwei, wenn man es ganz genau nimmt. An einem Balken, der so breit ist, wie ein durchschnittlicher menschlicher Kopf, sind links und rechts zwei Ohrmuscheln angebracht. Dahinter liegen die Mikrofone. Sie zeichnen alles so auf, wie es dieser künstliche Mensch würde hören - also wenn er ein Mensch wäre. Wenn man das Mikrofon betrachtet, fallen die Ohren sofort auf. Deshalb haben wir ihm einfach den Spitznamen "Öhrchen" gegeben.
Hast Du privat mit Blinden und Sehbehinderten zu tun?
Ich kannte bis zur Produktion des Podcasts keine blinden Personen. Das Thema ist also für mich Neuland. Ich kann da nur mit Neugier dienen.
Wie bist Du zu deinem Protagonisten Daniel Martin gekommen?
Als Unwissende suche ich mir gern Wissende, um nicht versehentlich vor Wände zu rennen oder Füße zu plattieren. Deshalb hatte ich Kontakt zum Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen e.V. aufgenommen. Daniel hat mir bereits am Telefon viele meiner Fragen charmant und witzig beantwortet. Deshalb war schnell klar, dass er einfach mein Held der Geschichte werden muss. Und er hat glücklicherweise "Ja" gesagt. (lacht) Wir haben die Staffel jetzt fertig vor uns auf dem Tisch liegen. Nach all den vielen Stunden Rohmaterial wieder und wieder hören möchte ich unbedingt hervorheben, dass das alles in der Form ohne Daniel nie so geworden wäre.
Was hast Du alles mit Daniel erlebt?
In der ersten Staffel lernen wir uns alle kennen - also ich Daniel, Daniel das Mikrofon und wir drei gemeinsam die Orte direkt vor unserer Haustür. Wir reisen durch Dresden, machen eine Safari in Leipzig und gehen mit kostbarem Blech in Zwickau auf Tuchfühlung. Aber es ist immer mehr als nur ein Spaziergang, wo wir von A nach B gelangen. Wir treffen auf charmante Menschen, die uns in ihre private Welt einlassen oder uns an ihrer Arbeit teilhaben lassen. Das heißt, wir entdecken nicht nur Orte, sondern auch Kunst und Kultur, Entspannung und Abenteuer. Und alles mit einer gehörigen Portion Leichtigkeit. Wir wollen unterhalten und Lust machen, selbst diese oder ähnliche Dinge zu erleben.
Außerdem ist es auch für mich eine persönliche Reise. Daniel ist der erste blinde Mensch, mit dem ich verreise. Ich habe viele Fragen, aber Daniel hat mich während keiner der Folgen gebissen. Er erklärt mit Witz und Ausdauer. Nach den vier Folgen hat sich bei mir ganz privat etwas geändert. Ganz langsam nehme ich andere Details meiner Umwelt wahr: Habe ich zum Beispiel bei einem Stadtbummel früher nicht darauf geachtet, was alles so kreuz und quer im Wege steht, fällt es mir jetzt auf. Und ich bin mir sicher: Es gibt viel zu lernen.
Hat sich auch Dein Hören verändert?
Ich bin zu Beginn davon ausgegangen, dass Blinde komplett anders hören als Sehende. Allerdings musste ich feststellen, dass es im Alltag einfach mal richtig laut und alles wuselig ist. Wenn man da dann versucht, herauszuhören, wo vielleicht ein Gegenstand im Weg steht, ist man wahrscheinlich entweder längst dagegengelaufen oder hat durch die vielen Reize den Schallschatten überhört. Ich muss sagen, wer sich in all dem Chaos jeden Tag seinen Weg bahnt – Respekt!
Außerdem interessant war, was alles so zu hören ist, wenn das Auge nicht dabei ist. Wenn ich einem Gesprächspartner auf einem belebten Platz gegenüberstehe und wir uns unterhalten, nehme ich den Rest vom Platz nur im Hintergrund wahr. Mein Auge erzählt mir, was mein Gegenüber gerade macht und hilft auch, das Gesagte zu verstehen. Dazu kommt mein Aufmerksamkeitsfilter und damit ist die andere Welt da draußen ausgesperrt. Wenn ich mir jetzt die Tonaufnahme anhöre, muss ich erstmal entziffern, woher, warum und was ein Geräusch zusätzlich zur Sprache macht. Und es ist erstaunlich, was so ein Platz alles an Details bietet, was man vor Ort gar nicht bewusst wahrgenommen hat.
Wie hast Du die Protagonisten und Orte gefunden?
Mundpropaganda. Es waren Tipps von Leuten, die Leute kennen, die Leute kennen, die entweder etwas Schönes erlebt haben, was sie teilen mögen, oder einen schönen Ort kennen, der nicht in einem Stadtführer ganz oben steht. Oder sie tun etwas für andere, woran man teilhaben kann.
Ich hoffe, dass sich in der nächsten Zeit viele Leute melden, die uns noch mehr Vorschläge und Ideen schreiben, was man alles mit dem "Öhrchen" erleben könnte. Es gibt in Sachsen noch ganz, ganz viele tolle Menschen, Aktionen, Angebote und Orte zu entdecken!
MDR (koh/maw)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 11. Oktober 2022 | 19:00 Uhr