Urnengang Parlamentswahl in Bulgarien: Corona als Wahlkampfhelferin

04. April 2021, 08:57 Uhr

Am 4. April wählt Bulgarien ein neues Parlament. Ob es den von vielen Bürgern ersehnten Regierungswechsel geben wird, ist unklar. Fest scheint indessen zu stehen, dass die Bulgaren den Gang in die Wahllokale aus Angst vor Corona eher scheuen werden. Ein landesweiter Lockdown dürfte dem regierenden Ministerpräsidenten Bojko Borissow dabei in die Hände spielen.

Vessela Vladkova
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Im vergangenen Sommer forderten Tausende Bulgaren bei Massenprotesten den Rücktritt der Regierung. Nun finden neue Parlamentswahlen statt. Sowohl Anhänger der oppositionellen Sozialisten als auch bürgerlich-konservativer außerparlamentarischer Kräfte werfen dem seit 2009 fast durchregierenden Bojko Borissow Korruption und Machtmissbrauch vor. Zu seinem Sturz kam es nicht, mit der zweiten Corona-Welle im Spätherbst ebbten die Proteste ab. Und geschadet haben die Proteste Borissow ebensowenig: Meinungsforscher sehen die regierende GERB-Partei erneut als Wahlsieger. Jüngste Umfragen unter den Wahlberechtigten ermitteln für die proeuropäische Partei einen voraussichtlichen Stimmenanteil von ca. 30 Prozent und damit rund sechs Prozentpunkte mehr als für die größte Oppositionskraft, die ehemalige kommunistische Partei BSP (Bulgarische Sozialistische Partei).

Populist Trifonow ist die große Unbekannte

Der eigentliche Kampf um die Wählergunst wird um den dritten Platz ausgetragen. Rang 3 war bisher für die wirtschaftsliberale Partei der bulgarischen Türken "Bewegung für Rechte und Freiheit" (DPS) reserviert, die sich fast ausschließlich aus den Stimmen der türkischen Minderheit in Bulgarien speist und bisher oft das Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung in Sofia war. Laut Wahlprognosen kommt sie auf etwa zwölf Prozent der Stimmen.

Ein bis zwei Prozent mehr ermitteln die Meinungsforscher für eine populistische Formation, die zum ersten Mal bei Wahlen antritt und als die große Unbekannte gilt, soweit sie kein Parteiprogramm zu wichtigen Fragen vorgestellt hat, wie Gesundheit, Soziales und Wirtschaft. Die Partei "Ein Volk" wird vom höchst umstrittenen Fernsehmoderator und Entertainer Slawi Trifonow angeführt, der sehr geschickt vom TV-Bildschirm ins Parlament gleiten möchte. Ob Trifonow jedoch wie seine populistischen Vorreiter eine Eintagsfliege bleibt, wird sich noch zeigen. Die populistischen Botschaften jedoch könnten viele enttäuschte Wähler im ärmsten und korruptesten EU-Land einfangen.

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Keine inhaltliche Auseinandersetzung

Pandemiebedingt finden in Bulgarien keine Wahlveranstaltungen statt. Die politische Auseinandersetzung – soweit es sie gibt – hat sich in die sozialen Medien verlegt. Doch es mangelt an Themen. Grundsätzliche Fragen nach Wirtschaft, Sozialem, Energie oder Klimaschutz werden kaum diskutiert. So kommt Covid-19 eine Hauptrolle zu.

Der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow
Der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow wird wohl auch zukünftig sagen, wo es langgeht. Bildrechte: IMAGO / photonews.at

Lockdown, um Wahl zu gewinnen?

Monatelang ging Bulgarien europaweit beispiellos "locker" mit der Coronakrise um: Bulgariens Schulen und Kitas sowie Geschäfte, Restaurants und Fitnessstudios blieben geöffnet. Eine Woche vor der Wahl jedoch am 22. März kam der landesweite Lockdown. Offizieller Grund dafür sind die steigenden Corona-Infektionen im Land: Fast jeder Vierte der binnen 24 Stunden Getesteten erweist sich zurzeit als positiv. In dem Balkanland wurden nach amtlichen Angaben vom Donnerstag zuletzt 679 Neuansteckungen pro 100.000 Menschen binnen sieben Tagen verzeichnet. Doch viel mehr vermutet man hinter der Lockdown-Entscheidung der Regierung ein politisches Kalkül. Die politischen Gegner von Ministerpräsident Borissow werfen ihm vor, den Menschen vor der Wahl Angst zu machen, so dass die Wahlbeteiligung niedrig ausfällt. Dann – davon sind alle politischen Beobachter in Bulgarien überzeugt – werden am Sonntag nur die Stammwähler zur Urne gehen und das dürfte der Regierungspartei den Wahlsieg bringen. Laut Umfragen, die jedoch vor dem Lockdown durchgeführt worden sind, liegt die erwartete Wahlbeteiligung bei 52 Prozent.

Neuwahlen nicht ausgeschlossen

Unbeachtet der Wahlbeteiligung erwarten die politischen Beobachter in Bulgarien ein zersplittertes Parlament und äußerst schwierige Regierungsbildung nach den Wahlen. Koalitionen im sich abzeichnenden Parlament sind wegen der großen Unterschiede in ihren Wertvorstellungen schwer vorstellbar. Daher sind Neuwahlen noch in diesem Jahr nicht ausgeschlossen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 09. Oktober 2020 | 17:45 Uhr

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