Ohrenpodcast Wie steht es um die Barrierefreiheit in Sachsen?
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15. Oktober 2022, 08:00 Uhr
Fast jede fünfte Person in Sachsen lebt mit Behinderung(en). Das entspricht etwa 800.000 Menschen. Die Gründe für die Behinderung(en) sind vielfältig. Sie reichen von körperlichen über geistige bis hin zu seelischen Beeinträchtigungen. Was jedoch auf fast alle zutrifft: Sie können nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Damit diesen Menschen ein möglichst "normales" Leben leben können, ist es notwendig, ihre Bedürfnisse bei der Gestaltung der Umwelt zu berücksichtigen.
Inhalt des Artikels:
Straßenampeln, die während der Grünphase Geräusche machen, Gebäude mit Rampen in Treppenbereichen, Pflastersteine mit Rillen und Noppen an Haltestellen, Vorlesefunktionen für Internetseiten und und und. Worüber sich viele keine Gedanken machen, machen diese Dinge für einige Menschen ein alltägliches Leben erst möglich. All diese Beispiele zeigen, wie Barrierefreiheit im Alltag umgesetzt werden muss, damit auch Menschen mit Behinderungen wie zum Beispiel Blinde und Hörgeschädigte Teil unserer Gesellschaft sein können. Auch wenn sich im Bereich der Barrierefreiheit in den letzten Jahren viel getan hat, gibt es an einigen Stellen noch Nachholbedarf.
Zur Geschichte der Barrierefreiheit
Grundlage vieler Gesetze der vergangenen 14 Jahre, die sich positiv auf die Rechte behinderter Menschen auswirkten, ist die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Das am 3. Mai 2008 in Kraft getretene Übereinkommen sicherte mehr als einer Milliarde behinderter Menschen weltweit festgeschriebene Rechte zu. Dazu zählen unter anderem:
- Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung
- Gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion zum Beispiel in den Bereichen Politik, Bildung, Arbeit, Kultur, Tourismus, Wohnen, Mobilität, Sport
- Barrierefreiheit
Um diese Rechte in Sachsen umzusetzen, gibt es seit 2019 das sogenannte Inklusionsgesetz, welches das Integrationsgesetz von 2004 ablöste. Seither ist der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung kein Ehrenamt mehr, sondern eine hauptamtliche Tätigkeit, die seit Ende 2021 Michael Welsch inne hat.
Er berät die Staatsregierung in Fragen der Politik für Menschen mit Behinderungen. Außerdem müssen die Ministerien ihn frühzeitig bei allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen Vorhaben grundsätzlicher oder besonderer Bedeutung beteiligen, soweit sie Fragen der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft behandeln oder berühren.
Zur Bestandsaufnahme wird in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Sozialministerium alle fünf Jahre der "Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen" herausgebracht. Der letzte Bericht ist 2019 erschienen und hebt besonders die Kampagne "Behindern verhindern - Zeit für barrierefreies Handeln!" und den damit zusammenhängenden "Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention" von 2016 hervor. Dieser umfasst nach eigenen Angaben mehr als 200 konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Menschen, so auch für den Bereich Kultur.
Barrierefreiheit in Sachsens Museen
Einen systematischen Überblick über barrierefreie Angebote von Kultur-, Freizeit- und Tourismusangebote in Sachsen gibt es seitens des Sozialministeriums nicht. Auch zum Freizeitverhalten liegen den Angaben nach keine statistischen Daten vor, weshalb auf bundesweite Befragungen verwiesen wird. Diese zeigen laut Ministerium, dass rund 60 Prozent aller Menschen mit Behinderungen regelmäßig Kultureinrichtungen besuchen. Bei Menschen ohne Beeinträchtigungen liegt die Zahl bei ungefähr 80 Prozent. Das Sozialministerium kommt deshalb zu dem Schluss, dass mehr für die Barrierefreiheit getan werden muss.
Perspektivisch sollten alle kulturellen Einrichtungen des Freistaates Sachsen und der Kommunen barrierefrei zugänglich sein. Dazu sind Angebote für die einzelnen Behinderungsformen (Seh-, Hör-, kognitive und körperliche Beeinträchtigungen) ebenso notwendig wie qualifiziertes Personal für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen.
Was das Ministerium nicht vorweisen kann, übernimmt die Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen (TMGS). Unter dem Titel "Sachsen Barrierefrei" bringt sie einen regelmäßig aktualisierten Katalog über Kultur- und Freizeitangebote sowie Unterkunftsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen im Freistaat heraus, der auch als Hörfassung erhätlich ist. Laut TMGS gibt es insgesamt 75 vor Ort geprüfte barrierefreie Unterkünfte und 483 barriere Kultur- und Freizeiteinrichtungen im Freistaat.
SKD geht mit gutem Beispiel voran
Nach Angaben des Ministeriums gibt es in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), dem Sächsischen Staatstheater sowie dem Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz (SMAC) "bereits Voraussetzungen für einen barrierefreien Zugang zu den Angeboten." So bieten die SKD zum Beispiel regelmäßig Führungen für Blinde, Sehbehinderte, Gehörlose und Besucherinnen und Besucher mit Lernschwierigkeiten in leichter Sprache an. Selbiges gilt für das SMAC und ausgewählte Stücke im Staatstheater.
Bis auf das Museum für Völkerkunde sind zum Beispiel alle Museen der SKD stufenfrei zugänglich und verfügen über ein Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte. Außerdem gibt es für das Residenzschloss ein sogenanntes Begleitbuch. In diesem sind die Grundrisse jedes einzelnen Stockwerks erfühlbar. Sie zeigen unter anderem Ein- und Ausgänge, die Standorte der Vitrinen und die Sitzgelegenheiten. Zusätzlich ist 2016 ein dreidimensionales Modell des Residenzschlosses zum Ertasten angefertigt worden.
Eine genaue Auflistung der Maßnahmen zur Sicherung und Herstellung der Barrierefreiheit in Sachsens staatlichen Kunstsammlungen bietet der Aktionsplan ab Seite 167.
Finanzielle Hilfe auch für nichtstaatliche Museen
Doch auch nichtstaatliche Museen konnten sich in den vergangenen Jahren über finanzielle Hilfen des Freistaats freuen. So förderte die Landesregierung laut des Aktionsplans 2016 verschiedene Maßnahmen zur Barrierefreiheit mit insgesamt 420.000 Euro. So bekam zum Beispiel die Albrechtsburg Meißen einen Plattformlift zu ihrer Sonderausstellungsfläche und das Heimatmuseum in Wilsdruff ein Tastmodell zur Topographie des Wilsdruffer Landes sowie Ausstellungstexte in Leichter Sprache. Weitere geförderte Kultureinrichtungen sind:
- Schloss Lauenstein (barrierefreie Homepage)
- Museum für Naturkunde Chemnitz (Podcast für Sehbehinderte und Handpuppen)
- Deutsches Hygiene-Museum Dresden (Erstellung von Führungen in Gebärdensprache)
- Kulturfabrik Meda Mittelherwigsdorf (barrierefreier Zugang zu Räumlichkeiten)
- Projekttheater Dresden e.V. (barrierefreier Theatersaal)
- Heimatmuseum Großhartmannsdorf (barrierefreier Zugang)
Der aktuelle Koalitionsvertrag der Landesregierung sieht für die Jahre 2021 und 2022 ingesamt eine Fördersumme in Höhe von 5,2 Millionen Euro vor.
Eine weitere Besonderheit, die einige Sächsische Museen vorweisen können, ist die Erlaubnis zum Ertasten von Exponaten. So bekommen Blinde zum Beispiel im Industriemuseum Chemnitz und im August-Horch-Museum in Zwickau an der Kasse Baumwollhandschuhe ausgehändigt und dürfen dann die Ausstellungsgegenstände durch das Erfühlen näher kennenlernen. Ähnliche Möglichkeiten bietet das Hygiene-Museum in Dresden, das Staatliche Museum für Archäologie in Chemnitz sowie das Stadtgeschichtlichen Museum in Leipzig.
Hilfe bei der Umsetzung: Die Servicestelle Inklusion im Kulturbereich
Viele Museen in Sachsen haben in den vergangenen Jahren einen großen Schritt in Richtung vollständiger Barrierefreiheit getan. Die gesetzlich verpflichtende Anpassung der Ausstellungen an die Bedürfnisse behinderter Menschen ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Es bedarf unter anderem viel Rücksprache mit Expertinnen und Experten, ob geplante Maßnahmen den gewünschten Effekt erzielen. Eine der erfahrensten Anlaufstellen dafür ist die Servicestelle Inklusion im Kulturbereich des Landesverbands Soziokultur Sachsen. Sie hilft sowohl bei der Verbesserung der Barrierefreiheit von Kulturangeboten als auch der Mitwirkung von behinderten Kulturschaffenden in Sachsen.
Die Servicestelle engagiert sich seit 2017 für eine gleichberechtigte kulturelle Teilhabe von Künstler:innen und Kulturbesucher:innen mit Behinderung in Sachsen. (...) Alle Abteilungen, von der Programmgestaltung über das Facility Management bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit und Vermittlung sind gefragt, in ihren jeweiligen Bereichen Barrieren abzubauen.
Die Servicestelle hat deshalb ein Handbuch herausgebracht, das Kultureinrichtungen konkrete Möglichkeiten aufzeigt, wie sie barrierefreier werden können und neue Barrieren verhindern. Des Weiteren werden Beratungstermine, Weiterbildungen, Teamschulungen und Begleitungen während des Umsetzungsprozess von Inklusion und Barrierefreiheit angeboten.
BIKOSAX - Die sächsische Prüfstelle für Barrierefreiheit
Doch Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, dass Museum vor Ort erlebbar zu machen, sondern auch, dass zum Beispiel der Internetauftritt einer solchen Einrichtung besonders für Blinde und Gehörlose verständlich gestaltet wird. Das Sächsische Integrationsgesetz verpflichtet staatliche Träger dazu, ihre Internetauftritte schrittweise barrierefrei zu gestalten. Zur Unterstützung ist dafür das sogenannte Kompetenzzentrum Barrierefreie Informations- und Kommunikationsangebote des Freistaates Sachsen entstanden, kurz BIKOSAX. Neben Schulungen und Beratungen für die digitale Barrierefreiheit ist das BIKOSAX zudem mit der Prüfung von Internetseiten beauftragt. Die Ergebnisse dieser Überprüfung können online eingesehen werden.
Barrierefreiheit ist ein wichtiges Thema. Eines mit vielen Facetten. Umso wichtiger ist es, sich des Themas anzunehmen, egal ob als Individuum, Gesellschaft oder Kulturbetrieb. Zwar gibt es hier noch eine Menge Nachholbedarf, doch der erste Schritt in Richtung Inklusion von Menschen mit Behinderung und damit einhergehender wachsender Barrierefreiheit ist getan.
MDR (koh)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Der Tag | 14. Oktober 2022 | 12:31 Uhr