Mann steht auf einer Bank und Blickt in Sternenhimmel mit Milchstraße, Haus in der Ecke strahlt Licht aus
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Astronomie Unsere (außer)gewöhnliche Milchstraße – Zu massig für ihre Nachbarschaft?

30. März 2023, 09:27 Uhr

Unsere Milchstraße soll zu viel Masse für ihre umgebenen Galaxien haben, berichtet ein Astronomen-Team. Aber was bedeutet das – besonders für die Suche nach Leben im Universum – wirklich? Und was haben die Forschenden tatsächlich herausgefunden? MDR WISSEN hat nachgefragt.

Leben im Universum? Die Milchstraße ist der einzige Ort in diesem großen dunklen Raum, von dem wir nachweislich wissen, dass es dort Leben gibt. Uns, und alle anderen Lebewesen auf diesem blauen Planeten namens Erde. Man müsste meinen, die Milchstraße wäre ein außergewöhnlicher, ja sogar einzigartiger Ort. Doch dem ist nicht so. 

Die Milchstraße "ist nicht das Zentrum des Universums. Und die Sonne ist nur ein gewöhnlicher Stern unter Milliarden von Sternen in der Milchstraße. Sogar unsere Galaxie schien nur eine weitere Spiralgalaxie unter Milliarden von anderen im beobachtbaren Universum zu sein", erklärt Miguel Aragón. Er ist Astronom an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko und Erstautor einer Studie, die nach analogen Milchstraßen-Galaxien in unserer Nachbarschaft gesucht hat.  

Ist unsere Milchstraße doch besonders?

Als die Wissenschaftler jedoch einen Teil unseres Universums in einer Simulation, der TNG300-Simulation, untersuchten, ist ihnen etwas merkwürdiges aufgefallen: Nur knapp eine Handvoll Galaxien sind so massiv wie die Milchstraße, verglichen mit unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Analoge Milchstraßen sind somit selten. Und das unter Millionen von Galaxien in einem Raumvolumen mit einem Durchmesser von etwa einer Milliarde Lichtjahre, die die Forschenden untersuchten.  

Was ist die TNG300-Simulation? Die IllustrisTNG-Simulation ist die zurzeit hochauflösendste und umfassendste Simulation der Galaxienentwicklung. Sie wurde mit Supercomputern im Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart generiert. 

Die TNG50-Simulation war im 2018 die erste dieser gigantischen Galaxien-Nachbildungen. Kurz darauf folgten die Simulationen TBG100 und TNG300, die einen noch viel größeren Bereich als die ursprüngliche TNG50-Nachbildung darstellten. Die TNG300-Galaxiennachbildung umfasst einen Würfelbereich mit den Kantenlängen von 978 Lichtjahren. Der uns nächstgelegene Stern, Proxima Centauri, befindet sich in einer Entfernung von 4,25 Lichtjahren. 

Aber was bedeutet das genau? MDR WISSEN hat bei Uwe Wolter vom Fachbereich für Physik an der Hamburger Sternwarte, der Universität Hamburg nachgefragt, der nicht an der Studie beteiligt war: "Die Milchstraße ist auf jeden Fall eine ziemlich normale, große Scheibengalaxie. Und insofern liegt auch sie auf dem Rand einer Blase." Um das zu verstehen, muss man sich erst einmal den Aufbau des Universums anschauen. 

Wie ist unser Universum aufgebaut? 

Es gibt wahnsinnig viele Bereiche im Universum, die leer sind. Viele der Galaxien ballen sich auf einem – wenn man den gesamten Kosmos betrachtet – eher engen Raum. Man kann es mit der Besiedlung eines Landes vergleichen. Dort gibt es auch Ballungsräume mit vielen Städten und Dörfern. Entlang des Straßennetzes, das zu weiteren Ballungsräumen führt, befinden sich kleinere Städte und Dörfer. Im Weltall werden solche Straßen-Strukturen als Filamente bezeichnet. Abseits der Filamente ist so gut wie nichts. 

IllustrisTNG Simulation – Nachfolgeprojekt von Illustris basierend auf Updates des Illustris Modells. Hier sind die Nachbildungen des Universums in den Simulationen TNG50, TNG100 und TNG300 im Größenvergleich dargestellt.
IllustrisTNG Simulation – Nachfolgeprojekt von Illustris basierend auf Updates des Illustris Modells. Hier sind die Nachbildungen des Universums in den Simulationen TNG50, TNG100 und TNG300 im Größenvergleich dargestellt. Bildrechte: IllustrisTNG Collaboration

Wie das Innere einer Blase, auf deren Außenhaut sich die Galaxien tummeln. Im Inneren der Blase "ist nichts – bei einer echten Base Luft – im Universum findet man da einfach unfassbar wenig Materie und nahezu keine Galaxien, vielleicht gar keine", beschreibt Wolter. Auf dessen Blasenoberfläche, die "grob kugelförmig ist", befindet sich auch unsere Milchstraße: "Und daran ist überhaupt nichts Ungewöhnliches."

Außergewöhnliche Milchstraße: Was haben die Forscher aus Mexiko gefunden?

Für unsere Nachbarschaft sind wir laut den Studienautoren zu massig. Nur Andromeda, der größte galaktische Nachbar der Milchstraße, hat ein ähnliches Ausmaß. Wobei die Forschenden die Andromeda-Galaxie nicht beachtet haben. Sie haben sich auf Milchstraßen-Analoge konzentriert, der Milchstraße ähnliche Galaxien.  

"Dieses Merkmal – zu groß für ihren kosmologischen Wall – ist physikalisch bedeutsam und relevant genug, um die Milchstraße als etwas wirklich Besonderes zu bezeichnen", berichtet der Co-Autor der Studie, Mark Neyrinck von der Universität des Baskenlands. Mit Wall meint er die Blasenoberfläche. "Die Milchstraße hat weder eine besondere Masse noch einen besonderen Typ. Es gibt viele Spiralgalaxien, die ihr ähnlich sehen", erklärt Joe Silk, ein weiterer Co-Autor der Studie. Er ist Astronom am Institut d'Astrophysique de Paris der französischen Universität Sorbonne.  

Vier Himmelskarten, die mit den neuen, im Juni 2022 veröffentlichten ESA-Gaia-Daten erstellt wurden. 1. Radialgeschwindigkeit, 2. Radialgeschwindigkeit und Eigenbewegung, 3. Interstellarer Staub, 4. "Landkarte" des Metallgehalts
Vier Himmelskarten der Milchstraße, die mit den neuen, im Juni 2022 veröffentlichten ESA-Gaia-Daten erstellt wurden.
1. Radialgeschwindigkeit, 2. Radialgeschwindigkeit und Eigenbewegung, 3. Interstellarer Staub, 4. "Landkarte" des Metallgehalts
Bildrechte: ESA/Gaia/DPAC/IGO

Dann führt Silk fort: "Aber sie [die Milchstraße] ist selten, wenn man ihre Umgebung berücksichtigt." Die Wahrscheinlichkeit, eine Galaxie wie die Milchstraße innerhalb des untersuchten Ausschnittes auf der Oberfläche einer kosmischen Blase zu finden, liegt bei 0,001 und 0,2 Prozent:

Was wir neu herausgefunden haben, ist, dass andere Wälle von Galaxien im Universum nur sehr selten eine Galaxie in sich zu haben scheinen, die so massiv ist wie die Milchstraße.

Joe Silk, Co-Autor der Studie

Massenbestimmung von Galaxien? War da nicht noch was wie dunkle Materie?

Nun muss man aber erwähnen, dass das mit der Massenbestimmung gar nicht so genau geht. Denn auch die Dunkle Materie spielt hier eine dominierende Rolle. "Wir wissen leider noch nicht, welche Natur sie hat. Es kann gut sein, dass wir in dieser Frage noch etwas grob missverstehen. Aber im Moment gehen die meisten Astrophysiker davon aus, dass es wirklich Materie ist, die wir einfach nicht beobachten können, die aber ansonsten gravitativ wirkt wie die andere Materie auch", sagt Wolter. 

Das, was wir beobachten können, "die großräumige Verteilung der 'leuchtenden Materie' ist in unserem Universum – so verstehen wir es jedenfalls derzeit – nur so eine Art Schaumkrone auf der Dunklen Materie". Da die Dunkle Materie somit ausschlaggebend für die Gesamtmasse einer Galaxie ist, kann diese für die Milchstraße auf eine Genauigkeit von Faktor zwei bis drei bestimmt werden. 

"Für das gesamte Universum ist das völlig Wurscht. Und auch für uns als Menschen und die Entwicklung unserer Spezies ist das ganz gleichgültig", relativiert Wolter. Auf dem Blasenausschnitt, einem local sheet (einer lokalen Membran), finden die Forschenden zumindest in der Simulation nur "wenige ähnlich massive Galaxien wie die Milchstraße. Das scheint ein bisschen ungewöhnlich zu sein". 

Wie wir es auch drehen: Milchstraßen-Analoge in der kosmischen Nachbarschaft eher selten

Die Massenangabe haben die Forschenden tatsächlich nur am Rande untersucht. In ihrer Zusammenfassung jedoch als Besonders postuliert. Was sie eigentlich im Detail untersucht hatten, waren der Eigendrehimpuls (Spin) und die Drehrichtung der Galaxien auf den Blasen. Und tatsächlich scheint die Geschwindigkeitsdispersion unserer simulierten Milchstraße ungewöhnlich niedrig zu sein. 

Als Geschwindigkeitsdispersion wird die Eigengeschwindigkeit von Partikeln gegenüber gebundenen Systemen beschrieben. Wobei die Dispersion einer (jedenfalls zum Teil) zufällig verteilten Messgröße als "Streuung" bezeichnet werden kann. In der Astronomie kann die Geschwindigkeitsdispersion Aufschlüsse über eine Materieverteilung geben und Forschende konnten im Falle unserer Milchstraße schon lange auf ein Schwarzes Loch in deren Zentrum schließen. Ein Foto von Sagittarius A*, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, wurde erst 2022 veröffentlicht.

Das erste Bild des schwarzen Lochs Sagittarius A*: Ein orangener Ring mit hellen gelben Stellen und dem schwarzen Schatten des Lochs in der Mitte vor dunklem Himmel.
Das erste Bild des schwarzen Lochs Sagittarius A*: Ein orangener Ring mit hellen gelben Stellen und dem schwarzen Schatten des Lochs in der Mitte vor dunklem Himmel. Bildrechte: EHT Collaboration

Uwe Wolter erklärt: "Wenn Sie viele Galaxien untersuchen, dann zeigt ihre Richtungsverteilung eine systematische Verteilung. Jede einzelne Galaxie macht dann am Ende doch wieder so ein bisschen die Zufälligkeiten ihres Lebens. Doch dieses System ist interessant, weil es eine Art kosmischer Fingerabdruck der frühen Entwicklung unseres Universums ist." Jedoch müssen dafür viele Galaxien angeschaut werden – sowohl in der Simulation, als auch am wahren Himmel, so Wolter weiter. Doch dies ist in dieser Studie nicht geschehen. 

Die Frage, ob die Drehrichtung relevant ist, ist in der Astronomie noch nicht geklärt. Klar ist zumindest, dass sich in einer Entfernung von 600 Lichtjahren von mehr als 300.000 Galaxien des nördlichen Sternenhimmels mehr Galaxien in Uhrzeigerrichtung drehen als andersherum. Ihre Rotationsrichtung hängt davon ab, wie herum die schwerste Galaxie sich dreht, auf die die gesamte umgebende Masse einfällt. Ist die umgebende Masse jedoch schwerer und verfügt über einen größeren Drehimpuls, kann sich die Rotationsrichtung auch umkehren oder die ganze Galaxie kippen.

Doch die Links- oder Rechtsdrehung ist hier weniger gemeint. Es geht darum, wohin die Ausrichtung der Galaxien im Bezug zur dünnen Blasenoberfläche zeigt. Liegt die Drehausrichtung beispielsweise parallel zur Membran oder ist sie anders ausgerichtet. Jedoch heißt es in der Studie, dass die gewählte Stichprobe zu klein sei, um hier eine klare Aussage zu treffen. 

Ungewöhnliche und seltene Milchstraße: Ist Leben im Universum vielleicht einzigartig? 

Somit zeigen die Forschenden der Studie zwar, dass die Milchstraße für ihre Lage in dieser Membran in der Simulation durchaus unterschiedlich zu Milchstraßen-Analogen in anderen Bereichen des Universums ist – viel mehr jedoch nicht. Aber wenn die Milchstraße doch etwas anderes ist, was bedeutet das für die Suche nach Leben im Universum?

"Um in einer Galaxie Leben zu bilden – und in der Milchstraße ist offensichtlich geschehen, denn wir sind ja da – brauchen Sie eine Galaxie, die im folgenden Sinne noch 'lebendig' ist: Sie bildet ständig neue Sterne, Sterne versterben", erklärt Wolter. Es braucht somit eine aktive und lebendige Galaxie wie unsere Milchstraße, damit Sterne entstehen können. Darunter wären dann auch viele sonnenartige Sterne. 

"Ob die zehnmal kleiner, sogar zehnmal größer ist und wie rum sie sich dreht, das spielt wirklich keine Rolle", sagt Wolter und ergänzt, dass wir nun mal nur diesen Einzelfall von Leben im Universum haben, von dem wir bisher wissen. Zur Veranschaulichung vergleicht er die Milchstraße mit einem Sandkorn und das Weltall mit einem gigantischen Strand aller Galaxien:

Wir haben uns ein bisschen diesen Strand angeguckt und da ist ein großes Sandkorn, unsere Milchstraße. Davon gibt es aber ziemlich viele.

Uwe Wolter, Physiker an der Hamburger Sternwarte

In der Studie wird wiederum eine Aussage anhand dieses einen Sandkorns gemacht. Weitere Milchstraße-analoge Galaxien wären auf den gesamten Strand bezogen jedoch möglich. Nur wurde hier ein Abschnitt betrachtet und nicht der gesamte Strand. Wo es lebendige Galaxien gibt, kann oder konnte bereits Leben entstehen. 

Studien

Farbige Illustration eines Planeten, ähnlich eines Gasriesen wie Jupiter; rotbraune Struktur wie langgezogene Wolken. Auf dem dunklen Hintergrund Sterne, bunte Wolke.
Home alone, und das zu Weihnachten! Diese künstlerische Darstellung zeigt ein Beispiel für einen Einzelgänger-Planeten, der von ESO-Forschenden in der Region Rho Ophiuchi entdeckt wurde. Bildrechte: ESO/M. Kornmesser

Dieses Thema im Programm: MDR JUMP | 24. Februar 2023 | 06:20 Uhr