Ozempic, Wegovy und Rybeslus Diabetes-Medikament Semaglutid: Verzicht auf Insulin bei Typ 1 möglich?
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07. September 2023, 17:14 Uhr
Semaglutid ist der Wirkstoff aus den "Abnehmspritzen" Ozempic und Wegovy, wurde aber ursprünglich zur Therapie von Diabetes Typ 2 entwickelt. Eine aktuelle Studie testet Semaglutid nun bei Typ 1-Diabetikern.
In einer aktuellen Studie der University of Buffalo konnten frisch diagnostizierte Typ 1-Diabetiker mitunter komplett auf Insulin verzichten, wenn ihnen stattdessen der Wirkstoff Semaglutid verabreicht wurde. Der Leitautor der Studie, Paresh Dandona sagt, das könnte "womöglich die dramatischste Veränderung in der Behandlung von Diabetes Typ 1 seit der Entdeckung von Insulin 1921" sein. Diese Aussage ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn untersucht wurden in der Studie lediglich zehn Menschen mit Diabetes Typ 1 und alle diese Personen waren frisch diagnostiziert. Das macht einen großen Unterscheid, weil sich die Diabetikerinnen und Diabetiker somit in der Remissionsphase befanden, was bedeutet, dass ihr Körper noch kleinere Mengen an Insulin produziert. Diese Phase dauert einige Monate bis zwei Jahre, danach produziert die Bauchspeicheldrüse von Typ 1-Diabetikern keinerlei eigenes Insulin mehr.
Gewichtsverlust dank "Abnehmspritze" Wegovy?
Semaglutid, das als Wirkstoff in den Medikamenten Ozempic, Wegovy und Rybelsus steckt, ist in Europa seit 2018 für die Behandlung von Typ 2-Diabetes zugelassen. Bei Menschen mit dieser Krankheit produziert die Bauchspeicheldrüse noch Insulin, die Menge reicht nur nicht aus. Abseits der Verwendung im Zusammenhang mit Diabetes erlebten die Medikamente in den vergangenen Monaten einen regelrechten Hype als "Abnehmspritzen". Dabei sind sie teilweise tatsächlich zur Behandlung von Adipositas zugelassen und können hauptsächlich bei Menschen mit einem BMI über 30 helfen, ein Zielgewicht zu erreichen. In einer im "New England Journal of Medicine" veröffentlichten Studie verloren Patienten, die begleitend zu Änderungen in der Ernährung eine Dosis Semaglutid pro Woche erhielten, im Schnitt nach 68 Wochen etwa 15 Prozent Gewicht.
Wirkweise: Semaglutid senkt den Blutzucker
Damit der Wirkstoff im Körper ankommt, wird Semaglutid mithilfe eines Pens (einer kleinen Spritze) ins Fettgewebe injiziert und zwar lediglich einmal pro Woche zu einem beliebigen Zeitpunkt, unabhängig von Mahlzeiten. Bei Diabetes Typ 2 wirkt das Medikament auf mehreren Ebenen: Zum einen wird bei einem hohen Glukosespiegel im Blut die Ausschüttung von Insulin in der Bauchspeicheldrüse gefördert, zum anderen hemmt Semaglutid den Appetit und sorgt so dafür, dass von vorneherein weniger Energie aufgenommen wird. Damit erreichen die Patientinnen und Patienten niedrigere Blutzuckerspiegel.
Nebenwirkungen von Ozempic und Wegovy bislang kaum erforscht
Das klingt gut, wird jedoch in der Praxis bei schwer einstellbaren Fällen von Diabetes Typ 2 eingesetzt – nebenwirkungsfrei ist das Medikament nämlich nicht. Ozempic und Wegovy beispielsweise werden aktuell von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA wegen schwerer Nebenwirkungen überprüft. Dabei geht es um Hinweise darauf, dass es nach einer Einnahme zu Suizidgedanken und Gedanken an Selbstverletzung kommen kann, so die Behörde. Im November soll die Überprüfung abgeschlossen sein.
Außerdem kann ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Semaglutid und Schilddrüsenkrebs bestehen. Eine solche Korrelation deutete sich in einem Versuch mit Nagetieren an. Insgesamt sind die Langzeitfolgen der Medikamente aber noch vergleichsweise unerforscht.
Bauchspeicheldrüse: Bei Diabetes Typ 1 gibt es eine Remissionsphase
Die Behandlung von Typ 1-Diabetikerinnen und Diabetikern mit Semaglutid, wie sie in der aktuellen Studie im New England Journal of Medicine durchgeführt wurde, ist dagegen eher ein Novum. Bei Diabetes Typ 1 sind die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse aufgrund einer Fehlreaktion des Immunsystems zerstört. Man kann sie also nicht mehr "anregen".
In den ersten zwei Jahren der Erkrankung gibt es allerdings eine Remissionsphase, in der die Bauchspeicheldrüse noch aktiv ist. Für viele Diabetikerinnen und Diabetiker ist diese Phase kompliziert, weil sie bereits von außen Insulin zuführen, aber kaum einschätzen können, welche Insulinmenge der Körper noch selbst zur Verfügung stellt. Es kann ein gefährlicher Insulin-Überschuss entstehen, man spricht von "Hypoglykämie".
Semaglutid regt auch bei Typ 1-Diabetes die Insulinproduktion an
Von 2020 bis 2022 untersuchten die Forschenden bei zehn neu diagnostizierten Menschen mit Diabetes im Alter von 21 bis 39 Jahren, wie sich die Gabe von Semaglutid auswirkte. Diese Menschen spritzten alle bereits Insulin und konnten die Dosis parallel zur Semaglutid-Therapie stark absenken und teilweise sogar ganz einstellen. Das zeigt, dass das Medikament die Zellen der Bauchspeicheldrüse auch bei diesen Menschen noch anregen konnte – und zwar über den gesamten Untersuchungszeitraum von zwei Jahren hinweg.
Mit einer Heilung der Krankheit hat das nichts zu tun, wenn die Bauchspeicheldrüse schließlich ihre Arbeit einstellt, wirkt auch Semaglutid nicht mehr und es muss Insulin gespritzt werden. Aber die Gabe von Semaglutid anstelle von Insulin hätte in der Remissionsphase den entscheidenden Vorteil, dass ersteres abhängig vom Glukosespiegel wirkt. Lediglich, wenn die Glukose-Konzentration im Blut zu hoch ist, regt Semaglutid die Insulinproduktion an, sodass das Risiko für einen Insulin-Überschuss und Hypoglykämien in diesem Fall deutlich geringer ist. Das zeigt auch die aktuelle Studie: Die Patientinnen und Patienten hatten bessere Langzeit-Blutzuckerwerte, weniger Schwankungen und weniger Hypoglykämien.
Ist die Bauchspeicheldrüse dank Semaglutid länger aktiv?
Außerdem deutete sich in der Studie an, dass die Remissionsphase der mit Semaglutid behandelten Probanden möglicherweise länger andauerte als unter "Normalbedingungen", was ein Hinweis darauf sein könnte, dass die Bauchspeicheldrüse durch das Medikament auch länger weiterarbeitet. Das ist eine spannende Entdeckung, da die aktuelle Studie lediglich zehn Teilnehmende hatte, lässt sich daraus noch nicht viel ableiten. Nebenwirkungen der Semaglutid-Behandlung in der aktuellen Studie waren Übelkeit, Brechreiz und ein stark verringerter Appetit.
Links/Studien
Die Studie Semaglutide in Early Type 1 Diabetes ist im New England Journal of Medicine erschienen und hier verlinkt – leider aber nicht komplett kostenlos zugänglich.
Einen empfehlenswerten Artikel im Deutschen Ärtztblatt von 2020 zur Wirkung von Semglutid-Medikamenten bei Diabetes Typ 2 finden Sie hier.