Gestaltung, die Tiere unterstützt Animal-Aided Design: Wilde Tiere und Stadt - das geht
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31. Juli 2020, 15:01 Uhr
Warum sind Tiere in der Stadt? Aus welchen Gründen verschwinden sie wieder? Urbane Räume sind wichtige Lebensräume für Tiere. Doch das Wissen darüber, was Insekten, Vögel und andere Tiere eigentlich brauchen, um in der Stadt zu überleben, ist nicht immer vorhanden. Ein Designkonzept will das ändern.
MDR-WISSEN-Reporterin Daniela Schmidt und Christiane Heinichen vom Leipziger Umweltverein Ökolöwe sitzen auf ihren Knien und hacken den staubtrockenen Boden rund um einen Stadtbaum im Leipziger Süden auf. Neben ihnen stehen ein paar Wildpflanzen, die der Laie auch leicht als Unkraut abtun könnte und die in diesem Boden Wurzeln schlagen sollen.
Auch kleine Lebensräume helfen
"Es ist im Grunde die Idee, diese Baumscheibe in ein Baumbeet zu verwandeln, um zusätzlichen Lebensraum und zusätzliche Nahrungsquellen für Bestäuber in der Stadt zu schaffen; für Wildbienen, Käfer und Schmetterlinge", erzählt die Umweltschützerin Christiane Heinichen. Bei den Wildstauden handelt es sich um mehrjährige regionale Wildpflanzen, die widrige Bedingungen aushalten und über mehrere Monate hinweg Futter für Bestäuber bieten können. Vor dem Begrünungseinsatz glich die Baumscheibe einem Mülleimer:
Das ist eigentlich viel zu schade. Wir wollen diesen Platz einfach nutzen und die Leipzigerinnen aktivieren hier vor ihrer Haustür ein Baumbeet zu schaffen, mit blühenden Wildstauden.
Leipzig hat ca. 60.000 Stadtbäume, viel Fläche um die Artenvielfalt zu fördern. Die Baumbeete sind Teil eines Konzepts, das der Verein überall in der Stadt umsetzen will. Es heißt Animal-Aided Design – was auf Deutsch so viel bedeutet wie: Gestaltung, die Tiere unterstützt. Konkret geht es darum, Lebensräume für Insekten, Vögel und andere Tiere in der gesamten Stadt mitzudenken und zu planen. Einer der Ideengeber des Animal Aided Designs ist der Biologe Wolfgang Weisser: "Tiere passieren einfach in der Stadt. Wir planen mit Gebäuden, wir planen mit Pflanzen, aber wir planen nicht mit Tieren. Wir wissen eigentlich gar nicht, warum gewisse Tiere dort vorkommen und andere eben nicht, beziehungsweise wir wissen auch nicht, wenn die Tiere auf einmal nicht mehr da sind, warum sie einfach nicht mehr da sind."
Wir planen mit Gebäuden, wir planen mit Pflanzen, aber wir planen nicht mit Tieren.
Beispiele für ungewollte Verluste gebe es viele, erklärt der Professor für terrestrische Ökologie von der TU München: "Angefangen von den großen Glasflächen oder Glas am Balkon, wo die Vögel sterben oder Kellerschächte, wo die Eidechsen reinfallen oder das Fehlen von Nahrung oder das Wegräumen von Überwinterungsstrukturen: Das passiert ja alles nicht mit dem Ziel Tiere zu vernichten, sondern das passiert, weil man sich nicht bewusst ist, was man macht. Und deswegen: Wenn wir Tiere in der Stadt haben möchten, müssen wir uns damit beschäftigen was sie benötigen."
Der urbane Raum für Mensch und Tier
Aus Nichtwissen soll Wissen werden, und aus dem Wissen eine Praxis um tierisches Leben zu fördern. Dieser Appell richtet sich an alle Städter: Hausbesitzerinnen und Mieter können Gärten als Lebensräume gestalten, Architekten können Gebäude mit Nischen für Tiere entwickeln, Stadtplanerinnen und Verwaltungsbeamte können den urbanen Raum als gemeinsamen Ort für Mensch und Tier entwerfen. "In den Professionen ist dieses Wissen noch nicht so vorhanden. Niemand der ein Haus baut, geht als Erstes zum örtlichen Vogelschutzverband und sagt: Wie muss ich mein Haus gestalten, damit eine Amsel vorkommen kann? Er geht zum Landschaftsbauer und zum Architekten und das sind die Professionen, auf die wir zielen", sagt Wolfgang Weisser.
Wie muss ich mein Haus gestalten, damit eine Amsel vorkommen kann?
Insekten reichen häufig schon kleine Strukturen wie Blühstreifen oder Kletterpflanzen. Diese müssen sich aber durch die ganze Stadt ziehen – man spricht hier von der Vernetzung der Lebensräume. Je mehr Insekten es in einer Stadt gibt, desto mehr Vögel und andere Tiere sind wahrscheinlich unterwegs. Auch die geben sich häufig mit wenig zufrieden, Beispiel: der Spatz: "Der Spatz ist eben auch ein sehr schreckhafter Vogel. Wenn der brütet, will er alles in 50 bis 100 Meter Umkreis haben, er möchte unter anderem auch ein Wasserbad und ein Sandbad, wo er sich pudern kann. Das kann man in der Planung ganz einfach schaffen. Ein Sandbad können sie unter einem Baum haben. Können sie natürlich auch auf einem Flachdach oben extra designen. Der Spatz ist eigentlich bei uns so das typische Beispiel dafür, dass die Gestalter ihre ganze Kreativität ausleben können" so Weisser.
Pflanzen und Tieren mehr Raum in der Stadt zu geben, hilft nicht nur der bedrohten Artenvielfalt. Auch wir Menschen profitieren von der urbanen Flora und Fauna, erklärt die Biologin Aletta Bonn vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig: "Hier gibt es Forschungen, die zeigen, dass gerade in Krisenzeiten Natur auf vielerlei Arten therapeutisch wirken kann. In der Natur zu sein, kann Stress reduzieren und auch dazu führen, dass wir uns glücklicher ausgeglichener und weniger traurig fühlen. Forschungsergebnisse zeigen, dass eine naturnahe Umgebung mit größerer Vielfalt von Vögeln zum Beispiel eine Verminderung von Stress bewirkt. Gerade jetzt, wo wir eventuell auch viel mehr Urlaub auf Balkonien machen müssen, wird Stadtnatur natürlich sehr sehr wichtig." Schnelle Erreichbarkeit von Stadtgrün wirkt sich auch positiv auf die Lebenserwartung aus.
In der Natur zu sein, kann Stress reduzieren und auch dazu führen, dass wir uns glücklicher ausgeglichener und weniger traurig fühlen.
Animal-Aided Design könnte dabei helfen, Städtern Naturerlebnisse in die Nähe ihrer Häuser zu bringen, die sie sonst bei Waldausflügen oder im Urlaub suchen. Das Konzept läuft aber auch auf eine im urbanen Kontext besondere Forderung hinaus: Wir sollten mehr Wildnis wagen. Ein Ansatz, mit dem sich gerade Verwaltungen noch schwer tun, wie aktuelle Beispiele zeigen.
part am 31.07.2020
Etwas erschrocken aber dennoch erfreut war ich als ich vor wenigen Wochen eine brütende Amsel zwischen der Pfefferminze in meinem Balkonkasten entdeckte. Leider war das Ausbrüten kurzer Dauer, Krähen hat sich über den geschlüpten Nachwuchs her gemacht. Doch eune noch so kleine urbanische Nische kann manchmal die artenvielfalt fördern, zudem soll es Städten bald mehr Wildbienen geben als auf dem Land. Das Rasenmähen bei großen Wohnungsgesellschaften per Terminvereinbarung und nicht nach Notwendigkeit hinterlässt dann oftmals Mondlandschaften im Trockenzeiten, die nicht sein müssen. Hier sind aber die Kommunen per Verordnungen gefordert mehr Umweltschutz zu gewährleisten.