Marathon Laufsport – Dünger fürs Gehirn und Balsam für die Seele
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09. Mai 2024, 04:59 Uhr
Einmal bei einem Marathon mitlaufen, das ist für viele ein Lebenstraum. Auch die selbst ernannte Sport-Hasserin Daniela vom Selbstversuchs-Podcast "Meine Challenge" stellt sich der Herausforderung und will einen Halbmarathon laufen. Der Weg dahin ist lang und steinig, aber auch gespickt mit vielen Erkenntnissen: Laufen macht nicht nur gesünder und vitaler, sondern auch entspannter, glücklicher – und potenziell sogar schlauer!
Sport ist gesund, stärkt den Körper, kann Alterungsprozesse verlangsamen und Krankheiten vorbeugen. So weit, so bekannt. Alles Gründe, warum MDR WISSEN-Podcasterin Daniela Schmidt – von Haus aus eigentlich eher im Team "Wir hassen Sport" – sich Großes vorgenommen hat: Sie will einen Halbmarathon laufen! Ob das was wird?
Trainingserfolge sind auch eine Frage der Gene
Kuno Hottenrott, Professor für Trainingswissenschaft und Sportmedizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat gute Nachrichten für Daniela: Jeder Mensch sei trainierbar. Aber wie schnell es vorangeht mit den Trainingsfortschritten und wie gut man in einer bestimmten Sportart werden kann, da gebe es Unterschiede: "Die genetischen Anlagen spielen eine ganz große Rolle. Wir sagen immer: Sprinter werden geboren, aber auch Ausdauersportler werden geboren", so Hottenrott. "Diese haben mehr lange Muskelfasern, gewissermaßen eine bessere Sauerstoffversorgung, mehr Mitochondrien, also Zellkraftwerke. Das ist natürlich ein Riesenvorteil."
Langsames Training bringt am meisten
Podcasterin Daniela fühlt sich leider so gar nicht wie die geborene Sportlerin. Da kommt ihr einer der zentralen Grundsätze für ein nachhaltiges Ausdauertraining sehr entgegen: lieber erstmal langsam machen!
Die Wissenschaft unterscheidet fünf verschiedene Belastungszonen, in denen der menschliche Körper unterwegs sein kann, von "entspannt, null Anstrengung" auf Stufe eins bis hin zu "kurz vorm Kollaps" auf Stufe fünf. Einen Großteil ihres Lauftrainings soll Daniela in den Belastungszonen eins und zwei verbringen, also so langsam laufen, dass sie ohne Probleme dabei reden oder sogar singen könnte.
Mehr Mut zur Geh-Pause!
Wer entspannt startet, nimmt hinten raus mehr mit – das gilt nicht nur für das Trainingskonzept, sondern auch für die späteren Läufe und Wettkämpfe, wie eine Studie von Trainingswissenschaftler Kuno Hottenrott zeigt: Dafür wurden Läuferinnen und Läufer eines Marathons in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe joggte die Strecke komplett durch, die andere machte alle 2,5 Kilometer eine einminütige Geh-Pause.
Ergebnis: "Die Gruppe, die zwischendurch gegangen ist, war letztendlich genauso schnell wie die Gruppe, die durchgelaufen ist", berichtet Hottenrott und ergänzt: "Das hat auch psychologisch einen Riesenvorteil, wenn ich weiß: Nach 2,5 Kilometer kann ich durchatmen und mal Gehen."
Das sei generell eine gute Strategie für lange Trainingsstrecken oder das Rennen selbst: Die Laufstrecke nicht als großes Ganzes betrachten, sondern sie stattdessen lieber in kleine Häppchen unterteilen, sich etwa von Versorgungs-Station zu Versorgungs-Station vorarbeiten – das hilft, die Motivation zu halten.
Grenzerfahrungen als ein Geschenk an sich selbst
Die beständige Selbstmotivation, der innere Antrieb und die eigene Willensstärke sind bei Ausdauer-Sportarten wie dem Laufen natürlich von besonderer Bedeutung. Und bei all jenen, die lieber klatschend und zujubelnd am Straßenrand stehen und zuschauen, statt selbst aktiv mitzulaufen, kommt oft die Frage auf: Wieso machen Läuferinnen und Läufer das, sich über mehrere Stunden quälen, um dann am Ende bloß wieder an dem Punkt anzukommen, von dem aus sie gestartet sind?
"Ich glaube, dass wir diese Grenzerfahrungen brauchen, um das Leben wertzuschätzen, um uns auch selber wertzuschätzen", sagt Stefan Schneider, Professor für Bewegungs-Neurowissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Zu wissen: Da gibt es eine Grenze, aber ich bin stark genug, um über diese Grenzen hinauszugehen. Und der Sport ermöglicht eben diese Grenzerfahrungen, die wir sonst im Leben eben nicht mehr so machen."
Laufsport als Anti-Stress-Medizin
Auch, wenn es uns wohl allen gelegentlich schwerfällt, den inneren Schweinehund niederzuringen: Eigentlich sind wir Menschen dafür gemacht, uns regelmäßig zu bewegen. Gerade Laufen ist ein uraltes, tief in unsere Gene eingeschriebenes Programm: "Die rudimentäre Antwort auf Stress ist Bewegung", weiß Stefan Schneider. Dabei kann unser Gehirn jedoch nicht entscheiden, was die Quelle unseres Stresses ist: Muss ich um mein Leben fürchten, oder stapelt sich bloß die Arbeit auf meinem Schreibtisch?
"Ganz früher mussten wir gegen Säbelzahntieger oder Mammuts kämpfen, oder wir mussten vor möglichen Gefahren abhauen. Das heißt: Bewegung ist eigentlich die evolutionsbiologisch erlernte Reaktion des Menschen auf Stress und das müssen wir heute irgendwie kanalisieren. Im Arbeitsalltag könnte man natürlich dem Kollegen und der Kollegin ein paar aufs Maul hauen, das wäre evolutionsbiologisch durchaus angebracht. Aber sozial, politisch ist das heute natürlich nicht gerne gesehen. Ja, und Bewegung kanalisiert eben diesen Stress", so Schneider.
Die Magie der transienten Hypofrontalität
Entsprechend belohnt der Körper uns auch, wenn wir uns bewegt haben. Daniela vom Podcast "Meine Challenge" stellt schnell fest: Nach einer ordentlichen Laufeinheit ist ihre Laune oben, ihr Kopf entspannt, ihre Gedanken klar. Und tatsächlich: Die oft gehörte Erzählung, dass sich beim Laufen der Kopf gut "mal ausschalten" lässt, ist wissenschaftlich belegt.
"Wir sehen, dass es während Sport und Bewegung zu einer Abnahme der Aktivität in jenen Arealen kommt, die wir normalerweise im Alltag benutzen. Wir sprechen da von den exekutiven Funktionen, also: Informationen aufnehmen, analysieren, bewerten und Handlungen initiieren", erklärt Sportwissenschaftler Stefan Schneider.
Stattdessen werde der Energie-Einsatz in jene Areale verlagert, die für Bewegung zuständig sind. "Und die Wahrnehmung ist dann: Wir kriegen den Kopf frei, lassen die Grübelspiralen des Tages hinter uns." In der Forschung wird dieses Prinzip als transiente Hypofrontalität bezeichnet.
Bewegung ist Dünger fürs Gehirn
Zugleich gilt, was Stefan Schneider auch mit dem Titel seines Buches zusammenfasst: "Bewegung ist Neuronen-Dünger". Wenn wir uns bewegen, werden im Gehirn sogenannte neurotrophe Faktoren freigesetzt. "Das führt dazu, dass sich Lernprozesse und strukturelle Anpassungsprozesse schneller und effizienter ergeben können", beschreibt Schneider. "Neuronen verbinden sich miteinander, Kommunikation zwischen Neuronen wird möglich durch eine Synapsen-Sprossung, das Gehirn entwickelt sich, Informationen können besser weitergeleitet werden."
Also macht Bewegung uns nicht nur gesund und fit, sondern auch noch schlau? – Stefan Schneider lacht. Das werde er nach Vorlesungen und Vorträgen oft gefragt. Doch so funktioniere das leider nicht: "Wir haben eine riesige Feldstudie laufen, mit Tausenden von Spitzensportlern, die täglich, zum Teil mehrfach am Tag trainieren. Und wenn Bewegung per sehr intelligent machen würde, wäre das die kognitive Elite des Landes. Das ist sie nicht. Da sind ein paar sehr Clevere bei, da sind ein paar Dumpfbacken dabei, aber die meisten sind irgendwie normalverteilt."
Das zeige, dass Bewegung zwar ein wichtiges Element sei, aber die kognitiven Areale unseres Gehirns eben noch weitere, andere Stimulation bräuchten. "Um beim Beispiel des Neuronen-Düngers zu bleiben: Wenn ich Dünger aufs Feld aufbringe, passiert gar nichts, wenn ich nicht vorher auch Samen eingepflanzt habe."
Wissen als Motivationshilfe
Doch auch, wenn Sport allein uns nicht zu Intelligenzbestien macht: Er unterstützt unser Gehirn sozusagen dabei, die passende Infrastruktur dafür auszubilden. Und das, sagt Schneider, sei doch eine wunderbare Motivation: "Mir persönlich macht Training auch keinen Spaß. Ich muss mich tatsächlich aufraffen, mich zu bewegen. Aber ich antizipiere eben, dass ich weiß: Nach einer Stunde Training geht es mir mental einfach besser, ich habe den Kopf freibekommen, ich kann mich wieder konzentrieren. Und in dieser mentalen Antizipation steckt letzten Endes meine Motivation, mich zu bewegen."
Also, Laufschuhe anziehen und einfach loslaufen! Und welche körperlichen und mentalen Herausforderungen sich für Daniela auf dem Weg zum ersten Halbmarathon ihres Lebens noch aufgetan haben und ob sie tatsächlich zum Rennen antreten ist, gibt es im zweiten Teil ihrer Halbmarathon-Challenge zu hören.
Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 03. Mai 2024 | 12:00 Uhr