Künstlerische Darstellung eines streunenden Schwarzen Lochs, das durch eine dichte Gaswolke stürmt. Das Gas wird von der starken Schwerkraft des Schwarzen Lochs mitgerissen und bildet einen engen Gasstrom.
Künstlerische Darstellung eines streunenden Schwarzen Lochs, das durch eine dichte Gaswolke stürmt. Das Gas wird von der starken Schwerkraft des Schwarzen Lochs mitgerissen und bildet einen engen Gasstrom. Bildrechte: Keio University

Astronomie Schwarzes Loch aus seiner Galaxie geschleudert

08. März 2023, 12:55 Uhr

Astronomen haben möglicherweise den ersten Beobachtungsnachweis erbracht, dass supermassereiche Schwarze Löcher aus ihren Wirtsgalaxien herausgeschleudert werden können. Das entdeckte Schwarze Loch in der Zwerggalaxie RCP28 hat eine Größe von 20 Millionen Sonnen und rast mit einigen neugeborenen Sternen durchs Weltall.

Das Weltraumteleskop James Webb verändert unseren Blick auf das Weltall – auch nach der Entdeckung früher massereicher Galaxien, die es so nicht geben dürfte. Manchmal scheint es so, als sei sein Vorgänger Hubble in Vergessenheit geraten. Dabei bringen Astronominnen und Astrophysiker mit den Hubble-Daten immer wieder teils bahnbrechende Studien heraus. Manchmal braucht es eine kleine Prise Glück und den ein oder anderen Zufallsfund für eine Veröffentlichung, die an die Grenzen der denkbaren Astrophysik stößt.

So war es auch bei der zufälligen Entdeckung in der Zwerggalaxie RCP 28 – einer Galaxie, die von ihrer Größenordnung zwischen den eher normalen Galaxien wie unserer Milchstraße und einem kleinen Kugelsternhaufen liegt. Eigentlich ist RCP 28 nicht so besonders. Doch sie beherbergt ein Schwarzes Loch, dass den Anschein erweckt, wegzulaufen. 

Wir haben eine dünne Linie in einem Hubble-Bild gefunden, die auf das Zentrum einer Galaxie zeigt.

Pieter van Dokkum, Hauptautor der Studie

In der 7,5 Milliarden Lichtjahre entfernten Zwerggalaxie (zur Veranschaulichung der Entfernung: unser nächster Nachbar, der Stern Proxima Centauri, ist dagegen nur knappe 4,3 Lichtjahre von uns entfernt) hatte das Forschungsteam um Pieter van Dokkum von der renommierten Yale University (New Haven, USA) einen hellen Lichtstreifen in den untersuchten Hubble-Daten entdeckt. 

Leuchtspur deutet auf supermassives Schwarzes Loch hin

Das Forschungsteam schaute sich diesen Lichtschweif genauer an. "Mithilfe des Keck-Teleskops auf Hawaii haben wir herausgefunden, dass die Linie und die Galaxie miteinander verbunden sind", sagt Dokkum. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass es sich nicht um astrophysikalische Jets handele, da es dafür keine verräterischen Anzeichen gebe. 

Bei einem Jet handelt es sich in der Astronomie um einen gerichteten Gas-Strom. Dieser entspringt meistens einem aktiven galaktischen Kern und manche von ihnen können sich über Lichtjahre hinaus erstrecken und mit beinahe Lichtgeschwindigkeit durch den Raum rasen.

Während astrophysikalische Jets schwächer werden, je weiter sie sich von ihrer Emissionsquelle entfernen, wird der Schweif eines potenziellen supermassiven Schwarzen Lochs stärker, je weiter er sich von seinem scheinbaren galaktischen Ausgangspunkt entfernt. Zudem würde sich ein Jet, der von einem Schwarzen Loch ausgeht, auffächern. Doch dieser Schweif ist anscheinend linear geblieben.

Ein fünfstufiges Schema, das zwei schwarze Löcher in einer binären Partnerschaft zeigt, bevor ein drittes schwarzes Loch eindringt, das Gleichgewicht im Zentrum der Galaxie stört und eines der schwarzen Löcher in den intergalaktischen Raum schickt. Feld 6 zeigt die gasförmige Spur, die in der neuen Studie beobachtet wurde.
Ein fünfstufiges Schema, das zwei schwarze Löcher in einer binären Partnerschaft zeigt, bevor ein drittes schwarzes Loch eindringt, das Gleichgewicht im Zentrum der Galaxie stört und eines der schwarzen Löcher in den intergalaktischen Raum schickt. Feld 6 zeigt die gasförmige Spur, die in der neuen Studie beobachtet wurde. Bildrechte: MDR, Pieter van Dokkum, Imad Pasha, Maria Luisa Buzzo, Stephanie LaMassa, Zili Shen, Michael A. Keim, Roberto Abraham, Charlie Conroy, Shany Danieli, Kaustav Mitra, Daisuke Nagai, Priyamvada Natarajan, Aaron J. Romanowsky, Grant Tremblay, C. Megan Urry, Frank C. van den Bosch

Als Erklärung für den linearen Streifen – der 200.000 Lichtjahre lang ist und damit beinah doppelt so breit wie die Milchstraße – sieht das Team ein supermassereiches Schwarzes Loch, dass scheinbar aus seiner Wirtsgalaxie geschleudert wird, als am plausibelsten an. 

Das entweichende Schwarze Loch durchschlägt dabei das Gas der Galaxie, die es durchwandert. Dieses wird so stark komprimiert, dass in dem Kielwasser des Schwarzen Lochs neue Sterne entstehen. "Sollte sich dies bestätigen, hätten wir zum ersten Mal einen klaren Beweis dafür, dass supermassereiche Schwarze Löcher aus Galaxien entkommen können", erklärt van Dokkum. 

Warum das supermassives Schwarze Loch aus seiner Galaxie herausgeschleudert wird

Nun ist das entdeckte Schwarze Loch 20-Millionen-Mal größer als unsere Sonne. Wie kann es also sein, dass es aus seiner Galaxie herausgeschleudert wird? Und das auch noch mit einer 4.500-fachen Schallgeschwindigkeit (5,6 Millionen Kilometer pro Stunde)? 

"Das wahrscheinlichste Szenario ist eine Schleuder, die durch eine Dreikörperwechselwirkung verursacht wird", erörtert van Dokkum. "Wenn drei Körper mit ähnlicher Masse gravitativ aufeinander einwirken, führt die Wechselwirkung nicht zu einer stabilen Konfiguration, sondern in der Regel zur Bildung eines Doppelsterns und zum Ausstoß des dritten Körpers."

Wenn dem tatsächlich so ist, könnte das herausgeschleuderte Schwarze Loch einst Teil eines seltenen binären supermassereichen Schwarzen Lochs gewesen sein. Während einer galaktischen Verschmelzung wurde ein drittes supermassereiches Schwarzes Loch in diese Partnerschaft eingebracht – doch dieses polyamoröse Verhältnis war zum Scheitern verurteilt und führte dazu, dass eines dieser Schwarzen Löcher hinausgeschleudert wurde.  

Eifersucht unter Schwarzen Löchern

Eine gescheiterte Dreierbeziehung unter Schwarzen Löchern scheint für einige Astronomen keine Seltenheit zu sein. "Ausgeworfene supermassereiche Schwarze Löcher wurden seit 50 Jahren vorhergesagt", sagt van Dokkum. Doch bisher konnte keines eindeutig beobachtet werden. Vielleicht ist die Beobachtung des Forschungsteams aus Yale der Beweis für Schwarze Löcher, die aus ihrer Wirtsgalaxie herausgeschleudert werden. 

Doch van Dokkum gibt zu bedenken, dass sie weitere Beobachtungen benötigen, um eindeutig zu bestätigen, dass sich an der Spitze des mysteriösen Streifens ein Schwarzes Loch befindet. 

Studie

Die Studie wurde auf dem Pre-Print-Server arXiv.org unter dem Titel "A candidate runaway supermassive black hole identified by shocks and star formation in its wake" (engl. Ein entweichendes supermassereiches Schwarzes Loch durch Schocks und Sternbildung in seinem Kielwasser identifiziert) am 9. Februar 2023 veröffentlich und wurde bereits für eine Publikation im Fachmagazin The Astrophysical Journal Letters angenommen.

Ein blauer leuchtender, kugelrunder Stern, im Vordergrund eine schwarze Kugel, die ein Schwarzes Loch darstellt.
Diese künstlerische Darstellung zeigt, wie das Doppelsternsystem VFTS 243 aussehen könnte, wenn wir es aus der Nähe beobachten würden. Das System, das sich im Tarantelnebel in der Großen Magellanschen Wolke befindet, besteht aus einem heißen, blauen Stern mit der 25-fachen Masse der Sonne und einem schwarzen Loch, das mindestens die neunfache Masse der Sonne hat. Die Größen der beiden binären Komponenten sind nicht maßstabsgetreu: in Wirklichkeit ist der blaue Stern etwa 200 000 Mal größer als das schwarze Loch. Bildrechte: ESO/L. Calçada