Eltern mit ihrem Kind auf einem Bett 32 min
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Wie können beide Generationen an einem Strang ziehen und vielleicht sogar voneinander profitieren? Das Motto heute: "Beziehung statt Erziehung". Was sagt unsere Familientherapeutin dazu?

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Di 16.01.2024 12:00Uhr 31:39 min

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Kindererziehung Vom Durchschlafen, Verwöhnen und dem Zuckerschock

Das sagt die Wissenschaft zu gängigen Erziehungstipps

14. Mai 2024, 16:09 Uhr

Eine neue Studie zeigt: Eltern neigen zum Burnout, wenn sie versuchen perfekt zu sein und das hat auch gesundheitliche Auswirkungen auf die Kinder. Dabei spielt vor allem das Gefühl, von anderen beurteilt zu werden, eine große Rolle. Aber sind die gängigen Erziehungsratschläge überhaupt wissenschaftlich korrekt?

Junge Frau mit langen, braunen Haaren gelben Mantel, lacht und blickt mit leicht gesenktem Kopf in Kamera
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Ein Kind verändert alles. Der Alltag steht Kopf, die Verantwortung ist groß, die Angst etwas falsch zu machen ebenso. Vergleiche zwischen gleichaltrigen Kindern oder dem inszenierten Familienleben auf Social Media führen zu falschen Erwartungen. Gutgemeinte Tipps und schnell dahingesprochene Glaubensätze geben gerade Eltern mit Babys oder Kleinkindern oft das Gefühl, be- oder verurteilt zu werden. Und das kann laut einer Studie des Ohio State University College of Nursing gesundheitliche Auswirkungen auf Eltern und Kind haben. Dabei entsprechen viele der Ratschläge nicht unbedingt dem aktuellen Forschungsstand. Hier drei gängige Beispiele.

"Du verwöhnst das Kind"

Das Kind im Elternbett oder Stillen nach Bedarf – dass viele Eltern heute sofort darauf eingehen, wenn das Kind etwas braucht oder haben möchte, führt oft zu Unverständnis bei älteren Generationen. Denn lange Zeit war Erziehung davon geprägt, dass bereits Kleinkinder abgehärtet werden müssten. Auch heute noch sind viele Eltern verunsichert, ob sie ihr Kind zu sehr verwöhnen. Eine Angst, die oft von außen bestärkt wird.

Wissenschaftlich gesehen ist dies erst einmal unbegründet: Verwöhnen im ersten Lebensjahr geht nicht, so Burkhard Rodeck, Kinder- und Jugendarzt sowie Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V.. In dieser Zeit ist der Alltag des Kindes geprägt von grundlegenden Bedürfnissen wie Essen, Zuwendung und Schlaf. Das könne ein Baby nicht steuern und entsprechend auch sein Verhalten nicht ändern. Etwas an- oder umerziehen ist daher, gerade im jungen Säuglingsalter, nicht möglich.

Im Gegenteil: Vom Bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz heißt es, ein Kind zum Durchschlafen zu zwingen oder weinen zu lassen, widerspräche allen neueren Erkenntnissen über das frühkindliche Gehirn. Demnach wird das Gehirn des Babys mit Stresshormonen überflutet, wodurch die Stressreaktionssysteme dauerhaft auf Überempfindlichkeit programmiert wären. Das Kind kann dadurch auch später schwerer seine Gefühle regulieren. Denn diese Fähigkeit erlernt es im Austausch mit den Bezugspersonen.

Mit zunehmenden Alter wächst aber auch das Bedürfnis nach klaren Strukturen. Nach dem ersten Lebensjahr sollten liebevoll Grenzen gesetzt werden, so Burkhard Rodeck. Wichtig sei dabei, die Regeln selbst vorzuleben und sie auch verlässlich beizubehalten. Sätze wie "Wenn du das machst, dann …" sollten Eltern aber generell vermeiden. Denn zu solchen kausalen Verknüpfungen sei ein Kleinkind noch nicht fähig.

"Schläft dein Kind (immer noch) nicht durch?"

In den ersten Lebenswochen schläft ein Kind nur unregelmäßig über den Tag und die Nacht verteilt. Einen Tag-Nacht-Rhythmus gibt es nicht. Nach ein paar Monaten stellt sich der aber ein und daran geknüpft ist oft die Hoffnung der Eltern, dass das eigene Kind bald durchschläft. Vergleiche mit anderen sorgen dabei aber eher für Frust: Dem Universitäts-Kinderspital Zürich zufolge kann der Gesamtschlaf bei gleichaltrigen Kindern eine Differenz von bis zu 6 Stunden ausmachen. Denn ein Kind kann nur so viel schlafen wie es dem persönlichen Schlafbedarf entspricht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Großbritannien verweist darauf, dass das Schlafbedürfnis mit den individuellen kognitiven Bedürfnissen zusammenhängt. Kann ein Kind Informationen im Schlaf gut verarbeiten, so braucht es weniger Schlaf.

Vergleiche mit anderen und gutgemeinte Tipps von außen sind deshalb oft wenig hilfreich und führen eher zu mehr Stress und Frustration bei den Eltern, was sich wiederum auf das Wohlbefinden des Kindes auswirkt. Auch das Wort "Durchschlafen" ist irreführend: Denn, dass wir nachts immer mal wieder kurz aufwachen, ist eigentlich die Regel – auch bei Erwachsenen. Nur erinnern wir uns daran nicht und sprechen deshalb vom "Durchschlafen".

Die Wachphasen sind ein Überbleibsel vergangener Zeiten, so Burkhard Rodeck. Und zwar aus Zeiten, in denen es überlebenswichtig war, nachts immer wieder kurz zu überprüfen, ob die Umgebung sicher ist. Das würden auch kleine Kinder und Babys machen. Durchschlafen bedeutet in diesem Sinne also eigentlich, dass das Kind zwar kurz wach wird, dann aber ohne Hilfe der Eltern wieder einschlafen kann. Und dabei könnten Eltern helfen, so Burkhard Rodeck. Zum Beispiel, indem sie dafür sorgen, dass die Kinder in der gleichen Situation einschlafen wie sie aufwachen. Ein Gefühl der Sicherheit hätten Kinder außerdem, wenn die Eltern mit im Schlafzimmer seien.

Kinder wecken oder den Schlaf auslassen, sollte man dagegen vermeiden. Denn eine neue amerikanische Studie zeigt, wie wichtig der Schlaf besonders in jungen Jahren ist: Die Zeit des REM-Schlafes nutzt das Gehirn bei kleinen Kindern demnach, um Synapsen aufzubauen und zu stärken - also genau die Hirnstrukturen, die Neuronen miteinander verbinden und ihnen die Kommunikation untereinander ermöglichen. Im Schlaf wird also die Infrastruktur des Hirns aufgebaut. Erst mit zweieinhalb ändert sich diese Funktion: Dann werden, wie bei Erwachsenen auch, Schäden im Gehirn repariert, die etwa durch die tägliche Produktion von Chemikalien oder den Blutfluss auftreten.

"Das Kind hat einen Zuckerschock"

Ein Stück Schokolade, ein bisschen Limonade und schon wird das Kind hyperaktiv. Was wir oft umgangssprachlich als Zuckerschock bei Kinder diagnostizieren, ist wissenschaftlich nicht belegt: Zahlreiche Studien haben den Zusammenhang von Zucker und Hyperaktivität bereits untersucht und konnten keinen Zusammenhang herstellen.

Trotzdem: Der Mythos, der wahrscheinlich auf den amerikanischen Kinderarzt Benjamin Feingold zurückgeht, hält sich hartnäckig. Viele Eltern betonen, tatsächliche eine Hyperaktivität bei den Kindern festzustellen.

Erklärungsmodelle dafür gibt es einige: Eine Studie, bei dem die Forschenden den Müttern bewusst falsche Informationen über den Zuckerkonsum ihrer Kinder gegeben hatten, zeigte beispielsweise, dass diese mehr Hyperaktivität feststellten, wenn ihre Kinder angeblich viel Zucker gegessen hatten. Andere führen die Beobachtungen auf die besondere Situation zurück. So würde Zucker oft zu einem besonderen Anlass konsumiert, bei denen die Kinder dann auch tatsächlich aufgedrehter seien. Ein dritter Erklärungsansatz sieht die Farb- und Konservierungsstoffe in den Süßigkeiten als möglichen Grund.

Zwar sei das Gehirn in den ersten Lebensjahren besonders empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen wie der Ernährung, eine direkte toxische Wirkung durch zu viel (zugesetzten) Zucker schließen Mathilde Kersting und Kathrin Sinningen vom Forschungsdepartment Kinderernährung an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum aber aus. Das erklären sie in einem Artikel für das Wissenschaftsmagazin Spektrum Psychologie. Die Blutzuckerkonzentration sei in der Regel durch das körpereigene Hormon Insulin geregelt. Die Blut-Hirnschranke sorge außerdem als natürliche Barriere dafür, dass Schadstoffe abgehalten würden.

Dennoch zeigten sich sowohl in Versuchen mit jungen Ratten als auch in Beobachtungsstudien bei Kindern mit steigendem Zuckerkonsum auch eine Veränderung in einigen Bereichen des Hippocampus – der Hirnregion, die für das Kurz- und Langzeitgedächtnis, aber auch für Emotionen sowie Hunger- und Sättigungsgefühle verantwortlich ist. Was das für Folgen hat, ist aber noch nicht klar.

Klar ist hingegen, dass Kinder mit höherem Zuckerkonsum zu Übergewicht, Karies und Diabetes neigen. Zu viel (zugesetzter) Zucker ist also tatsächlich nicht gut. Ein schlechtes Gewissen, wenn das eigene Kind mal nascht, müssen Eltern aber nicht haben. Den Forscherinnen zufolge sei entscheidend, wie ausgewogen der Rest der Ernährung sei und ob das Kind ausreichend Schlaf und Bewegung habe. Süßigkeiten sollten also nicht als Ersatz dienen. Etwas, das laut Burkhard Rodeck auch für den Fernsehkonsum gilt. Allen frischgebackenen Eltern möchte er zwei Botschaften mitgeben.

Weniger Stress für Eltern und Kind

Zum einen sollten und könnten Eltern ruhig auf das eigene Gefühl vertrauen. "Jedes Elternteil lernt mit seinem Kind zu kommunizieren und das verbessert sich mit der Zeit sogar noch". Sprich: Die individuellen Bedürfnisse und Verhaltensweisen des eigenen Kindes können Außenstehende oft gar nicht bewerten. Eltern sollten deshalb nicht alles infrage stellen.

Zum anderen brauche ein Kind nicht viel: "Das Wichtigste ist viel Zeit. Das ist ein Geschenk." Ein Geschenk, dass laut Studie des Ohio State University College of Nursing auch einen gesundheitlichen Effekt auf die Kinder hat: Mehr freie Spielzeit von Eltern und Kindern bedeute demnach auch weniger mentale Gesundheitsprobleme wie Angst oder ADHS bei den Kindern.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 16. Januar 2024 | 12:00 Uhr

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