Ausgrabungsarbeiten der Eötvös-Loránd-Universität auf dem awarischen Gräberfeld (6.-9. Jahrhundert u.Z.) von Rákóczifalva, Ungarn, im Jahr 2006
Ausgrabungsarbeiten der Eötvös-Loránd-Universität auf dem awarischen Gräberfeld (6.-9. Jahrhundert u.Z.) von Rákóczifalva, Ungarn, im Jahr 2006. Bildrechte: Institut für Archäologische Wissenschaften, Eötvös Loránd Universitätsmuseum, Budapest, Ungarn

Wissen-News Leipziger MPI EVA: Lebensweise frühmittelalterlicher Steppenvölker Ostmitteleuropas rekonstruiert

25. April 2024, 13:59 Uhr

Ein Team des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (MPI EVA) hat alte DNA-Daten analysiert, um die soziale Dynamik awarischer Steppenvölker zu rekonstruieren. Diese besiedelten das Karpatenbecken im 6. Jahrhundert.

Die aus dem östlichen Zentralasien stammenden Awaren beherrschten vom 6. bis zum 9. Jahrhundert für ein Vierteljahrtausend weite Teile Ostmitteleuropas. Sie sind zwar weniger bekannt als ihre weniger erfolgreichen Vorgänger, die Hunnen. In ihren Gräberfeldern hinterließen sie jedoch – mit bisher rund 100.000 ausgegrabenen Grabstätten – eine der umfangreichsten archäologischen Vermächtnisse der europäischen Geschichte. Aus den Bestattungsbräuchen der Awaren und den schriftlichen Überlieferungen ihrer Nachbarn konnten teilweise Rückschlüsse auf ihre sozialen Praktiken und Lebensweisen gezogen werden. Die Archäogenetik ermöglicht nun aber einen völlig neuen Blick auf die awarischen Gemeinschaften, die vor mehr als 1.000 Jahren lebten. Verwandtschaftsbeziehungen können nun bis auf den sechsten bis zehnten Grad zurückverfolgt werden.

Tapir und Urpferdchen 3 min
Bildrechte: MDR/Oliver Wings/MLU

MDR AKTUELL Do 26.03.2020 17:16Uhr 02:54 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/evolution-forschung-geiseltal-urpferd-tapir100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Neue Forschungswege beschritten

Durch die Kombination alter Genome mit archäologischen, anthropologischen und historischen Informationen haben Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Ungarn, Österreich und den USA aus dem multidisziplinären ERC-Projekt HistoGenes neue Wege beschritten, um mehr über Verwandtschaftsmuster, soziale Praktiken und Bevölkerungsentwicklung in der fernen Vergangenheit zu erfahren. Das Team nutzt neueste Methoden und Werkzeuge aus Genetik und Bioinformatik und setzt damit neue Maßstäbe. Das Forschungsteam konnte Gemeinschaften identifizieren, die ein streng patrilineares Abstammungssystem praktizierten, in dem Patrilokalität (männliche Individuen bleiben nach der Heirat in der Gemeinschaft) und weibliche Exogamie (weibliche Individuen ziehen nach der Heirat in die Gemeinschaft ihres Partners) die Norm waren. Die Gemeinschaften waren lokal um eine Hauptpatrilinie – einen Stammesvater – zentriert, blieben aber durch die Zu- und Abwanderung von Frauen miteinander verbunden.

"In gewisser Weise zeigt dieses Muster, dass die Rolle der Frauen darin bestand, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken, indem sie die einzelnen Gemeinschaften miteinander verbanden", sagt die Studienautorin Zuzana Hofmanová. Es war auch üblich, mehrere Fortpflanzungspartner zu haben. Die Forscherinnen und Forscher konnten mehrere "Leviratspaare" nachweisen. Dabei zeugten verwandte Männer (Brüder oder Vater und Sohn) mit derselben Frau Nachkommen. "Diese Praktiken und das Fehlen von Inzucht deuten darauf hin, dass diese Gesellschaft ein detailliertes Gedächtnis ihrer Abstammung besaß und über Generationen hinweg wusste, wer ihre biologischen Verwandten waren", fügt Guido Alberto Gnecchi-Ruscone, ein weiterer Studienautor.  Diese Entdeckung zeigt, wie genetische Kontinuität auf Abstammungsebene den Austausch ganzer Gemeinschaften verschleiern kann, mit wichtigen Implikationen für zukünftige Studien, die genetische Abstammung mit archäologischen Veränderungen vergleichen.

Links/Studien

Die Studie "Network of large pedigrees reveals social practices of Avar communities" ist im Fachjournal "Nature" erschienen.

cdi/pm

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 23. April 2024 | 15:30 Uhr

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