Es war einmal Autorin Angelika Hirsch unterweist in die Erzählkunst der Märchen
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05. Mai 2024, 14:56 Uhr
Märchen sind voller Zauber und Sehnsüchte und manche auch furchtbar traurig und grausam. Im deutschen Sprachraum sind unzählige von ihnen über die Jahrhunderte mündlich überliefert worden. Auch wenn sie mittlerweile in Büchern festgeschrieben sind, spielt wohl gerade deshalb bei Märchen die Kunst des Erzählens eine herausragende Rolle.
"Unke, Unke, komm geschwind, komm herbei, du kleines Ding." Ein Kind, das von seiner Mutter Milch bekommt, ruft im Hof eine Unke und lässt sie davon trinken. Die Unke dankt es ihr mit Steinen, Perlen und goldenem Spielzeug aus ihrem geheimen Schatz. Doch, ach, das Märchen endet tragisch in der Fassung der Gebrüder Grimm: Das Seelentier des Kindes wird von der Mutter erschlagen und mit ihm stirbt schließlich das kleine Kind.
Doch so muss es nicht enden. Märchen kommen in vielen Gewändern daher, wie Angelika Hirsch den Kursgästen im Domowina-Haus von Hoyerswerda erklärt. In der Grimmschen Version begreife die Mutter die Verbindung des Kindes zum Tier nicht. "Im sorbischen Märchen kriegt die Mutter gerade noch die Kurve und das Kind wird später reich beschenkt", weiß Hirsch zu berichten. Im Sorbischen ist das Tier übrigens keine Unke, sondern eine gekrönte Schlange.
Nicht die Stimme verstellen
Die kulturelle Hintergründe und die Einbettung der Märchen darin, das sei ihre Spezialstrecke, sagt die Autorin Angelika Hirsch. Sie ist nämlich Märchenforscherin und - was das Genre betrifft - Profierzählerin. Die 68-Jährige ist ein Wochenende von Berlin nach Hoyerswerda in die Lausitz gereist, um ihr Wissen über die Kunst des Erzählens weiterzugeben. Das funktioniere nicht mit den gängigen Tricks wie Geschwindigkeit, Lautstärke oder das Verstellen der Stimme.
Am wichtigsten ist es, wahrhaftig zu erzählen und das ist ganz schön schwer.
"Am wichtigsten ist es, wahrhaftig zu erzählen und das ist ganz schön schwer", sagt die Märchenforscherin. Die Stimme zu verstellen, sei leicht gemacht, den Märchencharakter in sich zu finden dagegen der anspruchsvolle Weg. Das bedeute, sich die Geschichten ernsthaft anzueignen, dass man in die dunklen Seiten genauso reinkrieche, wie in die liebenswerten, mit dem Bösen böse ist und mit dem Guten gut. "Wenn wir das beim Erzählen ehrlich zeigen, dann wird's am besten."
In Kindergärten wird viel erzählt
Hinweise auf Zäsuren, Rhythmus und Betonungen sorgen für weitere Aha-Momente im Kurs. "Ich muss nach dieser Weiterbildung meine Technik ändern", beschließt Bärbel Link. Sie arbeitet als Erzieherin in einer Kita und erzählt den Kleinen oft Märchen. Nun stellt sie für sich fest, dass sie wohl zu sehr in der Schauspielerrolle aufgegangen sei. "Gerade bei Kindern sollte man beim Erzählen nicht in die Karikatur gehen. Das wirkt nicht glaubhaft", gibt die Kursteilnehmerin ihren frisch erworbenen Input weiter.
Auch Susann Domanja ist Erzieherin im Kindergarten. Bisher liest sie dort den Kindern die Geschichten vor. "Ich möchte gern lernen, wie man Märchen frei erzählt." Und: "Sich von einem Profi Märchen anzuhören, gibt einem so einen Impuls, was man bei sich besser machen kann", sagt Hanka Schein, eine weitere Teilnehmerin in der Runde. Das Märchenerzählen eigne sich sehr gut zur Förderung von Kindern mit unterschiedlichem Sprachniveau.
Leider hätten Märchen dieses Klischee, dass sie nur für Kinder sind. Dem kann Hanka Schein nicht zustimmen: "Sie sind auch für Jugendliche und Erwachsene wunderbar geeignet. Man muss sich nur darauf einlassen."
Märchen sind kein Kinderkram
Bärbel Link ist bespielsweise so ein erwachsener Märchenfan. "Ich habe ganz viele Märchen zu Hause, auch ganz alte Märchenfilme in schwarz-weiß, wie 'Das Zauberkorn'." Die Erzieherin geht auch gern ins Puppentheater und für ein Märchen ins Kino. Selbst, wenn sie dann zwischen den ganzen Kindern sitze. Bärbel Link lacht ein bisschen verlegen, doch die Märchenexpertin Angelika Hirsch kann sie nur bestärken. "Das Märchen wird total unterschätzt und für Kinderkram gehalten. Das stimmt nicht!" Erwachsene müssten erst einmal merken, dass es nicht albern ist, sondern, dass es richtig große, gigantisch tolle Geschichten gebe, sagt sie.
Die neuen Medien sind dem Erzählen nicht förderlich und wir haben keine langweiligen Arbeiten, wo man erzählen muss, um Mensch zu bleiben.
Angelika Hirsch beobachtet seit einigen Jahren eine kleine Renaissance des Erzählens, etwa in der Altenpflege bei Demenzkranken oder im Hospiz. Sie selbst erzählt am liebsten im Erwachsenenkreis. Leider würden sich in der heutigen Gesellschaft Märchen nicht mehr weiterentwickeln. Dafür brauche es nämlich Zeit und Gelegenheit zum Erzählen. "Die neuen Medien sind dem Erzählen nicht förderlich und wir haben keine langweiligen Arbeiten, wo man erzählen muss, um Mensch zu bleiben." Das aber seien die Situationen gewesen, wo damals die Märchen entstanden und weitergegeben wurden.
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Guten Morgen Sachsen | 05. Mai 2024 | 06:40 Uhr