Truppenübung in der Oberlausitz
In einer gemeinsamen Übung von Militär und zivilen Katastrophenschutz ging es um das Retten von Verletzten aus einem radioaktiv verstrahltem Gelände. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Truppenübungsplatz Oberlausitz Atomare Gefahr: Feuerwehr übt Ernstfall mit ABC-Abwehr der Nato

12. Juni 2023, 09:09 Uhr

Endzeitstimmung herrschte am Wochenende auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz bei Weißkeißel. In einem Szenario wurde simuliert, dass ein atomarer Sprengsatz detoniert ist. Bei der großangelegten Übung agierten der zivile Katastrophenschutz und das Militär gemeinsam.

Es ist ein rein fiktives Szenario: Ein Natobündnispartner wird angegriffen. Auch deutsche Truppen sind in dem Land vor Ort. Da zündet der Feind an einem Bahnhof eine sogenannte schmutzige Bombe. Es gibt viele Verletzte, sowohl unter Zivilisten als auch unter Soldaten. Die Gegend ist verstrahlt.

ABC-Abwehrkräfte Zur ABC-Abwehr der Bundeswehr gehören aktuell 2.100 Soldaten und Soldatinnen. Die Kräfte sollen auf 2.700 aufgestockt werden.

Es handelt sich um Spezialisten, die beim gegnerischen Einsatz von atomaren, biologischen oder chemischen Kampfmitteln auf den Plan treten.

Sie können atomare, biologische und chemische Kampfstoffe aufspüren und Proben sichern.

Außerdem sind sie in der Dekontamination von Menschen und Material geschult.

Eine Katastrophe, die hoffentlich nie in Deutschland eintreten wird, trainiert auf dem Truppenübungsplatz in der Oberlausitz ein Großaufgebot. 200 Soldaten der ABC-Abwehr Task Force der Nato sowie 160 Feuerwehrleute und Rettungskräfte aus dem Landkreis Görlitz agieren in sengender Hitze Hand in Hand, um mit ihrer jeweiligen Ausrüstung Leben zu retten und möglichst schnell die Verwundeten zu versorgen.

Seltene Militärübung mit Zivilisten

Dass die Bundeswehr mit dem zivilen Katastrophenschutz eine gemeinsame militärische Übung macht, ist äußerst ungewöhnlich. Aber sie sei wichtig, betont Oberst Stephan Saalow, der Kommandeur des ABC-Abwehrkommandos der Bundeswehr.

Denn auch wenn die hier angenommene Bedrohung für Armee und Zivilschutz gleich sei, unterschieden sich die Einsatzverfahren. "Selbst die Begrifflichkeiten zwischen einem zivilen Feuerwehrmann oder einem Rettungssanitäter und einem Soldaten sind anders", sagt Saalow. Durch die Übung soll nachvollziehbar werden, wer, was, wie und warum macht. "Denn am Ende geht es um Menschenleben."

Oberst Saalow bei der Truppenübung
Oberst Stephan Saalow ist Kommandeur des ABC-Abwehrkommandos der Bundeswehr. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Rasselndes Atmen mit der Sauerstoffflasche

Ein Unterschied zeigt sich gleich mit dem Eintreffen des ersten Gefahrgutautos der Feuerwehr Weißwasser. Das hält in großer Entfernung vom angedeuteten Explosionsort. Die Gruppenführerin der Feuerwehr lässt sich von den Soldaten, die aus der Gefahrenzone zu ihr laufen, nicht unter Druck setzen. "Wurde Strahlung festgestellt?", fragt sie und sondiert die Lage.

Es wird entschieden, nicht näher in den Bereich zu fahren, um die Mannschaft nicht zu gefährden. Die ersten Feuerwehrmänner schultern die Sauerstoffflaschen, setzen Masken auf und stapfen mit rasselnden Atemgeräuschen los. Ein Mann misst die Gegend auf ihre Radioaktivität hin aus. Die Straße wird abgesperrt.

Truppenübung in der Oberlausitz
Unter Atemschutz marschieren die ersten Feuerwehrleute los. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Sperrbereich wird bestimmt

Den Überblick hat schnell der ABC-Fachberater des Landkreises, Marvin Förster von der Freiwilligen Feuerwehr Rothenburg. "Wir können Strahlung messen und lokalisieren, woher sie kommt", erklärt er. Den Radius des Sperrbereichs hat er auf etwa 25 Meter festgelegt. Hier darf ohne Schutzanzug niemand mehr rein. Im Alltag habe die Feuerwehr typischer Weise mit C-Lagen zu tun, sagt Förster. Also mit Chemieunfällen, wie einem ausgelaufenen Dieselfass zum Beispiel.

Wir können Strahlung messen und lokalisieren, woher sie kommt.

Marvin Förster ABC-Fachberater vom Landkreis Görlitz

ABC-Fachberater des Landkreises Görlitz
Der ABC-Fachberater des Landkreises, Marvin Förster, hat den Sperrbereich auf einen Radius von 25 Metern um den fiktiven Sprengssatz festgelegt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Vollkörperschutz unter sengender Sonne

In Vollkörperschutz gehen nun Notärzte unter dem Absperrband hindurch zum Bahnhofsgebäude. Dort liegen einige Soldaten und Feuerwehrleute, die die Verwundeten darstellen. Die Sonne brennt vom Himmel und sorgt für Gewächshausklima in den Anzügen. In einem Holzunterstand beobachten zwei Sanitäter die Szenerie. "Wir sichern die Übung ab. Falls jemand Probleme mit dem Kreislauf bekommt", erklärt der Notfallsanitäter Marko Jeschke. Gerade durch den Atemschutz bestehe in der Hitze das Risiko.

Truppenübung in der Oberlausitz
In einem Bahnhofsgebäude liegen die Verwundeten-Darsteller. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, wann und wie sie versorgt werden. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Oberst Lutz: Auf den Ernstfall vorbereitet sein

Während auf der zivilen Seite mehr und mehr Feuerwehrautos heranfahren und Material entladen, knacken die Funkgeräte ohne Pause. Es gibt Absprachen zwischen Katastrophenschutz und Militär. Oberst Michael Lutz führt die militärische ABC-Abwehr. Die ist multinational aufgestellt und aktuell sind Soldaten und Soldatinnen aus Bulgarien, Slowenien und Rumänien dabei.

Lutz nennt die Herausforderungen des Einsatzes: möglichst wenige Personen zusätzlich gefährden, die Lage schnell überblicken, zunächst die Schwerverletzten retten und dekontaminieren und dann alle weiteren. "Wir üben, um auf einen Einsatzfall vorbereitet zu sein. Wir sehen heutzutage immer wieder, dass es keine rein militärischen und keine rein zivilen Lagen gibt, sondern dass es immer eine gemeinsame Lage ist."

Oberst Lutz bei der Truppenübung in der Oberlausitz
Oberst Michael Lutz: "Wir üben, um auf einen Einsatzfall vorbereitet zu sein." Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Dekontaminationsstrecken aufgebaut

Während im Bahnhofsgebäude die Verwundeten sortiert und notversorgt werden, entstehen in der kargen Heidelandschaft nach und nach Dekontaminationsstrecken mit Behältern für verseuchte Kleidung und Duschzelten. Die Feuerwehrleute bringen hier Praxiserfahrung mit. Bei etlichen Unfällen mit Chemikalien oder Bränden, bei denen sich giftige Dämpfe entwickelt haben, gehört die Dekontamination, also das Entfernen der giftigen Verunreinigungen, zum Einsatz dazu.

Doch hier auf dem Truppenübungsplatz zieht der zivile Katastrophenschutz des Landkreises Görlitz alle Register. Große Zelte werden hochgezogen, viele Schläuche an die Wasserversorgung angeschlossen und parallel nebeneinander entstehen gleich zwei Dekontaminationsstrecken. "Das Spannende ist, dass wir heute erstmals die Liegenddekontamination für Schwerstverletzte probieren", erklärt Feuerwehrsprecher Mathias Krause.

Truppenübung mit Rettungsdienst und Feuerwehr in der Oberlausitz
Der Katastrophenschutz des Landkreises hat Zelte für die Dekontamination der Verletzten aufgebaut. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Vor der Behandlung auf Reststrahlung untersucht

Im Zelt beugt sich Daniel Schädlich im Vollschutz über eine Trage mit einem hypothetisch schwer Verwundeten. Die Stimme des Kameraden von der Freiwilligen Feuerwehr Oderwitz klingt dünn und weit entfernt. "Ich trage eine Maske mit einem Filter drauf, wird schwer mit mir zu sprechen", meint er entschuldigend.

Der Verletzte wurde eben von seiner verstrahlten Kleidung befreit und abgewaschen. Schädlich fährt mit einem gelben Messgerät den Körper ab. "Wir messen hier, ob noch eine Reststrahlung vorhanden ist", erklärt er. Direkt hinter ihm befinden sich bereits die Sanitäter in Warteposition. Schädlich gibt das Okay: Der Patient ist nicht mehr radioaktiv und kann jetzt medizinisch weiterbehandelt werden.

Ein Kamerad der FFW Oderwitz untersucht einen Mann auf Strahlung.
Daniel Schädlich von der FFW Oderwitz untersucht einen Mann auf Reststrahlung. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Verwundeten-Darsteller mit verschiedenen Farbkarten

Nach und nach lassen die fingierten Verletzten das Prozedere über sich ergehen. Glück hat, wer nicht in der prallen Sonne auf einer Trage liegen muss, sondern "gehfähig" ist. So hat sich Sven Schulz mit weiteren Verwundeten-Darstellern einen kleinen Schattenplatz unter einigen mageren Kiefern gesucht.

Schmutzige Bombe Bei einer schmutzigen bzw. dreckigen Bombe handelt es sich um einen Sprengsatz, der auch radioaktives Material enthält.

Durch die Explosion wird das radioaktive Material in der Region gestreut.

Im Fall der Übung in der Oberlausitz handelte es sich um Gammastrahlung, die angenommen wurde.

Die Schutzanzüge schützten nicht vor der Strahlung, sondern vor dem radioaktiven Staub und anderen Material, das sich sonst auf Körper und Kleidung gelegt hätte.

Bei der Dekontamination geht es darum, radioaktive Materialien zu entfernen. Die Kleidung wird komplett abgelegt. Die kontaminierte Person wird geduscht oder mit Wasser und Bürste gewaschen.

Der Mann von der Freiwilligen Feuerwehr Krauschwitz trägt, wie auch die anderen, eine Karte über seine medizinischen Zustand um den Hals. "Wir sind nur verstrahlt und haben ein Knalltrauma", sagt Schulz und deutet auf das Grün an seiner Karte. Gelb sei verwundet, rot schwer verwundet und schwarz sei der Zettel am Zeh, erklärt er. Der Feuerwehrmann ist von der Übung beeindruckt: Es wirke sehr real.

Militär schickt Fahrzeuge in die Dekontamination

Die Bundeswehrsoldaten haben ebenfalls eine Dekontaminationsstrecke aufgebaut. Sie ist weder schick noch komfortabel und hat zum Beispiel keinen schwarz-gelben Stolperschutz wie bei der Feuerwehr gegenüber. Sie ist dafür sehr zweckmäßig. Das Dekontaminieren geht hier um ein Vielfaches schneller.

Truppenübung in der Oberlausitz
Slowenische und bulgarische Soldaten dekontaminieren Militärfahrzeuge. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Da auch Militärfahrzeuge in der radioaktiven Zone waren, müssen auch diese gereinigt werden. Eine gewaltige sogenannte Deconline wird von slowenischen und bulgarischen Soldaten aufgebaut. Lkw fahren hindurch, jeder Zentimeter wird mit Hochdruckstrahlern abgespritzt. Ausrüstung und Waffen werden abgelegt und gereinigt.

Der Katastrophenschutz baut unterdessen ab. Man schält sich aus den Anzügen, der Schweiß läuft. Dabei bleiben die Blicke immer wieder an den Soldaten hängen. Sie bleiben in schwerer Montur mit Gasmasken auf ihren Positionen - bis zum Ende der Übung.

Radio

Katastrophenschutz und Militär proben den Ernstfall

In der Oberlausitz haben Feuerwehr und Rettungsdienst mit der Bundeswehr den Ernstfall geprobt. Bei der Übung mit 200 Soldaten und 160 Rettungskräften ging es um das Retten von Verletzten aus einem verstrahlten Gebiet.

Truppenübung in der Oberlausitz
Das Szenario: An einem Bahnhof ist ein radiologisch angereicherter Sprengsatz detoniert. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Das Szenario: An einem Bahnhof ist ein radiologisch angereicherter Sprengsatz detoniert. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Bei der angenommenen Explosion wurden Zivilisten und Soldaten verletzt. 60 Leute übernahmen diese Rollen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Bei der Übung ging es um das gemeinsame Agieren von zivilen und militärischen Kräften. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Das Gebiet wird auf Strahlung untersucht. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Feuerwehrleute bereiten die Schutzkleidung vor. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Notfallsanitäter bei der Truppenübung in der Oberlausitz
Die Notfallsanitäter Felix Grundei und Marko Jeschke (v.l.) sicherten die Übung medizinisch ab. Bei der Hitze war es unter den Schutzanzügen extrem heiß. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Rettungskräfte heben eine Soldaten, der einen Verwundeten spielt von der Trage. Weil der Kreislauf nicht mehr mitspielte, durften die Sanitäter den Vollschutz ausziehen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung mit Rettungsdienst und Feuerwehr in der Oberlausitz
Ein Dekontaminationszelt wurde speziell für schwer Verwundete aufgebaut. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
In dem Zelt konnten sie im Liegen von radioaktiven Substanzen befreit werden. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
ein Feuerwehrmann der FFW Krauschwitz bei der Übung
Sven Schulze von der FFW Kauschwitz musste auch durch die Dekontamination. Das bedeutete Kleidung aus und duschen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Die deutschen ABC-Kräfte wurden von Einheite aus Bulgarien und Slowenien unterstützt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Die Bundeswehr baute eine eigene Dekontaminationsstrecke auf. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Auch hier wurde Vollkörperschutz getragen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Das Dekontaminieren ging bei den Soldaten um ein Vielfaches schneller. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Auch für Waffen und Ausrüstung gab es eine Dekontaminationsstrecke. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
Truppenübung in der Oberlausitz
Selbst die großen Fahrzeuge wurde komplett gereinigt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 09. Juni 2023 | 18:30 Uhr

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