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Das Museum Gunzenhauser zeigt eine Ausstellung mit Porträts der 20er- und 30er-Jahre, die Menschen möglichst typisch zeigen sollten. Mehr dazu von Grit Krause. Bildrechte: Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauserm Chemnitz, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz, Punctum, Bertram Kober
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Das Museum Gunzenhauser zeigt eine Ausstellung mit Porträts der 20er- und 30er-Jahre, die Menschen möglichst typisch zeigen sollten. Mehr dazu von Grit Krause.

MDR KULTUR - Das Radio So 12.05.2024 16:35Uhr 04:11 min

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Museum Gunzenhauser Neue Ausstellung in Chemnitz zu Menschenbildern und Stereotypen

12. Mai 2024, 18:06 Uhr

In den 1920er- und 30er-Jahren versuchten Künstler, des Typische von Menschen zu zeigen. Das führte, neben hervorragenden Charakterstudien, auch zu Stereotypen, zu Klischees. Die Ausstellung "Sieh Dir die Menschen an!" zeigt diese Porträts von Künstlern wie Otto Dix, George Grosz oder Hanna Nagel.

Das Museum Gunzenhauser in Chemnitz zeigt in seiner neuen Ausstellung "Sieh Dir die Menschen an!" unter anderem Werke von Otto Dix, George Grosz, Jeanne Mammen und Hanna Nagel. Die Bilder stellten das "Typische" der porträtierten Personen in den Vordergrund. Im Mittelpunkt stehe die Frage, was unser Gesicht möglicherweise über unseren Charakter, über unser Leben oder über unsere politische Gesinnung verraten könnte.

Stereotype verfälschen Realität

Bis heute existieren Stereotype und Klischees, was Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten an zusätzlichen Eigenschaften zugeschrieben werden kann. Brillenträger sind intelligent, Ganoven haben einen verschlagenen Blick etc. Sie halten sich hartnäckig in den Köpfen.

Viele davon stammen aus der Zeit der Weimarer Republik, als ein regelrechter Typisierungswahn einsetzte – der Wunsch, Menschen nach ihren Äußerlichkeiten einschätzen zu können. Bei den Nationalsozialisten dienten diese Theorien als Vorlage für ihre Rassenideologie und lieferten ein zentrales Argument für ihre Vernichtungsmaschinerie.

Auch in der Kunst gibt es menschliche Klischees

Auch Künstlerinnen und Künstler waren nicht frei von diesen Typisierungen und regelrecht besessen von Gesichtern. Unzählige dieser Porträts entstanden in den 20er- und 30er-Jahren.

Gemälde einer Frau, die ihre Hände auf ihren Beinen ruhen lässt, hinter ihr sind zwei Bilder von Menschen an einer Wand.
Hans Grundig: Bildnis Gerda Laube, 1925, Kunstsammlungen Chemnitz Bildrechte: VG Bild-Kunst Bonn 2024

In der Schau wird beispielsweise das Porträt des jungen Autors und Filmregisseurs Géza von Cziffra von Rudolf Schlichter gezeigt. Darauf zu sehen ist ein Mann im Anzug in einem Sessel mit schmalem Gesicht und einer Zigarette in der Hand. Zusammen mit vier anderen Gemälden aus den 1920er-Jahren leitet dieses Bildnis Besucherinnen und Besucher in die Ausstellung hinein, in der viele dieser Typen zu sehen sind – und alle in kühl-distanzierter Weise porträtiert.

Kuratorin Anja Richter vom Museum Gunzenhauser beschreibt einige der Bilder Schlichters: "Hier haben Sie einen ungarischen Dichter, der sehr kommunikativ war, deswegen hat er auch da hinten dieses Telefonbuch liegen oder sie haben den Zahnarzt mit seinen Instrumenten oder den Fabrikanten mit einer Farbprobe oder aber die junge mondäne Frau mit dem Kurzhaarschnitt." An ihrer Aufzählung wird bereits deutlich: Das Subjekt, der konkrete Mensch tritt hinter den Typus zurück: der Intellektuelle, der Ingenieur, der Arbeiter.

Gemälde einer älteren Frau
Ernst Thoms: "Meine Mutter", 1928 Bildrechte: Museum Nienburg/Weser, Foto: Museum Nienburg/Weser, Maciej Michalczyk, © Nachlassverwalter M. Allnoch

Vermeintlich Ordnung ins Chaos bringen

Anhand von äußerlichen Merkmalen wurde damals kategorisiert und klassifiziert. Es sollte Ordnung ins Chaos gebracht werden, das der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte. Wissenschaftlich, oder aus heutiger Sicht eher pseudowissenschaftlich untermauert wurde dieser Wunsch durch Ratgeber, wie der von Gerhard Venzmer, der der Ausstellung letztlich auch ihren Titel gab: "Sieh Dir die Menschen an!".

Es wurde verstärkt auf Charaktereigenschaften des Menschen geschlossen, sagt Richter zu der damaligen Stereotypisierung und verweist auf die Folgen: "Dieses Bild hat sich massiv verbreitet. Das war im Film, in Illustrierten, also es war allgegenwertig und das ist kein Phänomen, was es nur in der Kunst gibt, sondern in der Gesellschaft der Zwischenkriegszeit." In der Ausstellung wird das mit einer umfassenden Materialsammlung aus Fotos, Filmen und Zeitungsausschnitten illustriert.

Porträt erfuhr neuen Hype

In der Malerei der Neuen Sachlichkeit erfährt das Porträt einen neuen Hype. Otto Dix, George Grosz, Jeanne Mammen – sie alle stellen dabei das Typische in den Vordergrund.

Allerdings interessiert man sich häufig auch für Menschen am Rand der Gesellschaft. Arbeiterinnen und Arbeiter, Prostituierte sind in der Kunst damals extrem präsent. Andererseits werden charakteristische Attribute auch für Inszenierungen übernommen, wie ein Selbstbildnis Conrad Felixmüllers in Arbeiterpose zeigt.

Gemälde eines Mannes im Anzug, der die Hände zu Fäusten ballt.
Conrad Felixmüller: Selbstbildnis mit Sportmütze, 1920 Bildrechte: VG Bild-Kunst Bonn 2024

Kuratorin Anja Richter sagt zu dem Künstler: "Felixmüller hat auch mal den Rompreis der Villa Massimo gewonnen und hat gesagt: Ich will nicht nach Rom, ich will ins Ruhrgebiet, ich will dahin, wo das wahre Leben spielt – und hat dann eben Arbeiter porträtiert."

Emanzipierte Frauen

Die Darstellung der "Neuen Frau" bildet einen weiteren Schwerpunkt in der Ausstellung. Kurzhaarschnitt, Zigarette, Hosenanzug und Krawatte, manchmal auch im schlichten Hängekleid, aber immer androgyn, so begegnet sie uns in einer Reihe von Porträts. Auf jeden Fall sehr emanzipiert. Was im Grunde einem Brückenschlag in die Gegenwart gleichkommt.

Gemälde einer Frau, die zur Seite blickt, vor ihr kneiet ein Mann, der zu ihr hinaufschaut und den sie mit den Händen von sich weist.
Dodo (Dörthe Clara Wolff): Der erledigte Romeo, 1928, Privatsammlung, Hamburg Bildrechte: VG Bild-Kunst Bonn 2024

Typisierung ist bis heute ein Thema

Den findet man in der Ausstellung im Museum Gunzenhauser aber noch an anderer Stelle: in der Installation "Alpha Dog" von Cemile Sahin. Die Künstlerin knüpft mit ihren Roboterhunden an den Typisierungswahn von damals an und thematisiert "racial profiling". Diese Roboterhunde würden von der Polizei zur Verbrecherjagd anhand von Äußerlichkeiten genutzt, so Kuratorin Richter, mit KI-Profilen, die von Vorurteilen geprägt seien.

Und spätestens, wenn die von den Roboterhunden gefilmten, stark verfremdeten Kurzvideos von Besucherinnen und Besuchern auf TikTok hochgeladen werden, sieht man sich mit der Frage konfrontiert, inwieweit Stereotype und Klischees, die vor hundert Jahren letztendlich konstruiert wurden, unseren Blick auf Menschen nach wie vor beeinflussen.

Ein mehretagiges Haus.
Das Museum Gunzenhauser in Chemnitz. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Quelle: MDR KULTUR (Grit Krause); redaktionelle Bearbeitung: op

Die Ausstellung

Sieh Dir die Menschen an!
Das neusachliche Typenporträt in der Weimarer Zeit

12. Mai bis 1. September 2024

Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser
Falkeplatz, 09112 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag, Feiertag: 11 bis 18 Uhr
Mittwoch: 14 bis 21 Uhr

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